Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv. Wiglaf Droste

Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv - Wiglaf Droste


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      Durch das Internet wurde ein reiches Paar auf ihn aufmerksam, das sich nachts stark miteinander langweilte und deshalb gern »surfte«, wie man so sagte. Das Duo wollte eine »Ereignishochzeit« begehen und ihn dafür als Hausfotografen anheuern. Die beteiligte Dame schickte Gott eine Elektropost: ob er das zum Termin tun könne und was er denn dafür »aufrufen« werde.

      In seiner Zeit auf Erden hatte Gott das Wort Kostenvoranschlag ebenso erlernt wie die Fähigkeit, sich darüber zu freuen. Es war ein Synonym dafür, beispielsweise ein Honorar von einer Million Moppen verbindlich zu vereinbaren und später acht Milliarden zu fordern.

      Aber weil er sich aus anderem Lehm geknetet und aus härterem Holz geschnitzt hatte, schickte er einen fairen Honorarvorschlag; auch seinen Assistenten, dessen pittoreske Wundmale immer gut ankamen bei der Kundschaft, stellte er trotz grassierender Inflation nicht höher als mit den üblichen 30 Silberlingen in Rechnung.

      Zügig erhielt er elektronische Antwort. Die Dame teilte ihm mit: »Ich konnte zwischenzeitlich mit meinem Mann sprechen und dabei feststellen, dass der skizzierte Rahmen für diesen ganz privaten kleinen Event wohl doch etwas zu groß ist ...«

      Gott freute sich ein Loch in den Bauch. Von allem, das er je erschaffen hatte, war ihm die menschliche Spezies am trefflichsten gelungen. An ihrer Sprache erkannte man ihre Vertreter immer und zuverlässig. Der »skizzierte Rahmen« war schon ganz große Kunst, auch der »ganz private kleine Event« stand nicht dahinter zurück, aber die Formulierung »ich konnte zwischenzeitlich mit meinem Mann sprechen« war einfach nicht zu schlagen.

      Kein Wunder, dass ich Adam und Eva damals vor die Tür gesetzt habe, schoss es ihm durch den Kopf. Und zwar achtkantig, dachte er noch und lächelte zufrieden.

      Zonenwelten

      Man kennt die Fußgängerzone, die Tempo-dreißig-Zone, die Umweltzone, die Sicherheitszone am Flughafen und die Gebetszone. Frauennormierungszeitschriften erfanden die Bikini-Zone und, ganz besonders niederträchtig, die Problemzone. Auch die Michelhouellebecq’sche »Aus­wei­tung der Kampfzone« steht jedem offen, der sowas mag, und der Fernsehmoderator Dieter Moor erklärte den brandenburgischen Landstrich, dem er zuzog, gleich ge­winnbringend zur »arschlochfreien Zone«.

      Ein geographisch kleinerer Teil Deutschlands wurde jahrzehntelang als »die Zone« beziehungsweise »sowjetisch besetzte Zone« oder »Ostzone« bezeichnet und nach der Aneignung durch den größeren Part wahlweise durch Partyzonen oder durch »national befreite Zonen« ersetzt.

      An Zonen herrscht also keinerlei Mangel, an einer Zonengrenze möglicherweise schon, denn Zonen gibt es so überreichlich, wie es »Kulturen« gibt, beispielsweise die von Wolfgang Thierse ausersonnene »Entfeindungskultur«, auf die Eckhard Henscheid schon vor Jahren hinwies.

      Das Wort »Zone« hat die Qualität von »Universum«, »Welt« oder »Philosophie«; jeder Gastronom erklärt sei­ne »Geschäftsphilosophie« – Philosophie bedeutet Liebe zur Weisheit –; Installateure, die Herren von Gas, Wasser und Exkrement, erfinden gänzlich unerbeten die »Erlebniswelt Sanitär«, und schon lange staunen wir über das »Teppich-Universum«, den Perserteppich ad perversum.

      Seit dem Frühjahr 2013 gibt es noch eine Zone mehr: die »Komfortzone«. Das klingt komfortabel und ist dennoch offenbar ungeliebt; vielleicht liegt es an den drei »o« in einem Wort, das aber bei weitem nicht so schön klingt wie der auf vier »o« laufende »Ottomotor«?

      Oder daran, dass »Komfortzone« an Eltern oder Lehrer erinnert, vor denen man sich unter dem Sofa oder in der Turnhalle hinter dem Mattenwagen versteckte und die dann in scharfem Ton befahlen: »Komm ma’ vor«?

      Man weiß es nicht; medial bekannt wurde allerdings, dass die Tatort-Kommissarindarstellerin Maria Furtwäng­ler erklärte, »ihre Komfortzone verlassen« zu wollen, um, wie das branchenüblich heißt, »neue Herausforderungen zu suchen«. Was, ins Deutsche übersetzt, ja meistens be­deutet, dass man in finanziell lukrativere Bequemzonen wechseln möchte und sich zu diesem Zweck öffentlich äußert und anbietet.

      So verhält es sich auch mit dem Ex-Shampoo-Model Oliver Bierhoff, seit 2004 Angestellter beim Deutschen Fußball Bund, als – ideales Fitnesswort – »Teammanager« der Nationalmannschaft. Außerhalb des DFB ist weit mehr Fußballgeld zu holen, und so hielt es Bierhoff in seiner Komfortzone kaum mehr aus und wollte raus aus dem Komfort.

      Sowas kommt vor in der Welt der Komfortzonen. Wir aber widmen uns lieber einer gefährlichen, reizenden Amazone.

      Im »freilich«-Museum

      Man kennt das Freilichttheater und die Freiluftsaison, und man kennt, wenn man seine Nase in eine deutsche Zeitung steckt, auch das deutsche Wort »freilich«. Es klingt so feierlich, wie es von Leitartiklern verwendet wird, von jenen Leuten, die immer schon alles gewusst haben, und zwar nicht nur genau richtig, sondern vor allem immer auch alles besser, und die das jahrzehntelang aus dem Repertoire erzählen können.

      Das Wort »freilich« bedeutet nichts; es dient allein der Selbstversicherung des Autors, der, wenn er das Wort »freilich« schon zweimal in ein und demselben Text verwendet hat, auf die ähnlich gut abgehangene Vokabel »gewiss« zurückgreifen kann. Wer ahnungs- oder skrupellos »freilich« schreibt, ist eben auch Gewissträger, dessen Horizont mit einem schönen Reklamereim beschrieben ist: »Wer es kennt, nimmt Kukident.«

      In einem Anflug von Übermut versuchte ich einmal, das Wort »freilich« in einen eigenen Text hineinzuschmuggeln. Es gelang mir nicht, diese Hürde der Hässlichkeit zu überspringen. Jahre später begriff ich: Erst wenn man sich mit der einen Hand die Eier krault, sich mit der anderen abwechselnd auf die Schultern klopft und zum Schreiben keine Hand mehr frei hat, erscheint im Text wie von ganz allein das Wort »freilich«. Dann aber ganz gewiss.

      Gefühlte Zeiten

      Man habe ihn »aus gefühlten zehn Zentimetern angeschossen«, beteuerte ein Fußballspieler, dem ein Ball aus einem Meter Entfernung gegen den Ellenbogen flog; einem seiner Kollegen wurde von einem Journalisten später sogar eine »gefühlte Unsportlichkeit« unterstellt. Dass manche unbeglückte Frau von »gefühlten zehn Zentimetern« ein traurig’ Lied zu singen weiß, liegt bedauerlicherweise im Bereich des Wahrscheinlichen; was aber soll eine »gefühlte Unsportlichkeit« sein, wenn nicht das unfreiwillige Eingeständnis eines Journalisten, dass er ein Rhabarbermann ist, ein Schwätzer, der bloß der ältesten Regel seines Berufs folgt: Man weiß es nicht, man munkelt’s nur.

      Gefühlt wird egalweg alles; Rezensenten beschweren sich über die »gefühlte Ewigkeit«, die sie über der Lektüre eines Romans zubrachten; das sagt möglicherweise etwas über den Rezensenten, aber auch bloß dann, wenn man ihn kennte, und wer kennt schon freiwillig Rezensenten? Temperaturen werden seit vielen Jahren ohnehin nicht mehr gemessen, sondern gefühlt, und Theateraufführungen dauern, wenn man denen, die darüber schreiben, Glauben schenken will, im Schnitt »gefühlte fünf Stunden«. Gefühlt heißt in solchen Fällen aber nicht erlebt und empfunden, sondern bloß, dass man nichts zu sagen weiß, nicht mal das Einfachste.

      In der gefühlten Welt wusste die FAZ sogar von einer »gefühlten Rückkehr in den alten, ungemütlichen Ostblock« zu raunen. Ob bei solch gefühlter Rückkehr unsere Heimatvertriebenen noch mal so richtig aus dem Sulky kommen? Von mir aus, höre ich mich grollen, sollen sie doch alle fühlen, was sie wollen und sich dann bitte trollen und abrollen, nur hätte man ja manchmal auch noch gern so etwas wie eine klitzekleine Information. Dauert der neue Film mit Gérard Dépardieu tatsächlich länger als vier Stunden, oder hat bloß jemand 100 Minuten ganz schwer und wichtig öffentlich verzweieinhalbfacht, um seinen – übrigens längst ausgelatschten – Markenabdruck als gefühlter Feuilletonist zu hinterlassen? Wer Auskunft über die von ihm »gefühlte Zeit« gibt, fühlt dabei zwar den Coolness-Faktor tausend, der aber nur dem eines lausigen »Wie geil ist das denn!«-Sagers entspricht.

      Dass man im Restaurant bislang noch keine gefühlten Auberginen bestellen kann, trifft unsere Gefühlskulturmenschen sicherlich hart. Wenn sie aber einmal eine Auskunft über die Länge einer Veranstaltung geben und nicht nur ihre höchst uninteressante Befindlichkeit aus­petern wollten, hätte ich einen kleinen Rat parat:


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