68er Spätlese. Jost Baum

68er Spätlese - Jost Baum


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atmete aus und ließ sich in seinen bequemen Ledersessel fallen.

      »Wir erwarten von Ihnen Berichte und Fotos über Stadtfeste, Geschäftseröffnungen, Aktionen von Fitneßstudios, Geburtstage von lokalen Größen, Interviews mit Gattinnen von Lokalpolitikern … na ja, Sie wissen schon, wer mit wem, warum, wieso, weshalb …, die Leute lesen sowas gerne!«

      Und die Inserenten kriegen das für’s Geld, was sie verlangt haben, dachte Jablonski grimmig und hatte Mühe, nicht sofort aufzustehen, einfach zu gehen und die Tür des Konferenzsaals hinter sich ins Schloß zu werfen. Den Rest der Diskussion verfolgte Jablonski nur mit halbem Ohr, er träumte von einem schäumenden, kühlen Pils, das ihm eine halbnackte Südseeschönheit unter Palmen servierte, während er braungebrannt in einem Liegestuhl ein Nickerchen hielt.

      Der Sportredakteur monierte, daß kein Wort über seine, wie er fand, wichtigen Berichte von lokalen Sportereignissen erwähnt wurde. Kampmann erhielt von Pohlig einen Abriß dafür, daß er sich beständig weigerte, an Eröffnungen neuer Galerien teilzunehmen. Nur Willi Rehnagel kam mit heiler Haut davon, seine Fotos schienen keinen Menschen zu interessieren.

      Zum Abschied gab Pohlig jedem die Hand. Er hielt Jablonski am Arm zurück, als die anderen drei schon durch die gepolsterte Flügeltür in das Vorzimmer entschwunden waren.

      »Sie sind nicht umsonst verantwortlich für die Lokalredaktion, Jablonski«, begann Pohlig mit warnendem Unterton, »Sie wissen, es gibt Personen in Ihrem Umfeld, die Ihren Posten gerne übernehmen würden, also halten Sie sich daran«, schloß der Justitiar, schaute Jablonski dabei tief in die Augen, drückte ihm noch einmal besänftigend die Hand und schob ihn vorsichtig, aber bestimmt aus dem Konferenzsaal.

       »Ich mag diese Wohltätigkeitsklamotten nicht. Ich finde, in meinem Unternehmen sollte es ein Gefühl der Sicherheit geben, das daher rührt, daß alle wissen, ihre Arbeit wirft Profit ab.«

      Samuel Irving Newhouse,

      amerikanischer Verleger und Multimillionär über die Drucklegung engagierter Texte

      2.

      Der Fahrstuhl hielt mit asthmatischem Stöhnen, klappernd und stockend öffneten sich die Schiebetüren und gaben den Blick in den schwach beleuchteten Metallkorb frei. Jablonski trat ein, drückte auf einen der Bedienungsknöpfe und lehnte sich an die breite Aluminiumleiste, die in Hüfthöhe angebracht war. Leise rumpelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung, glitt an den Büros der Vorstandssekretärinnen vorbei, passierte die Etage, in dem der Vortragssaal und das Büro des Betriebsrats untergebracht waren, schaukelte erst an der Sportredaktion, dann an der Lokalredaktion vorbei und stoppte im Erdgeschoß, in dem die Rotationsmaschinen standen.

      Jablonski verließ den Fahrstuhl und stieg die gewundene Marmortreppe zur Kantine hinunter, aus der ihm der faulige Geruch von gedünstetem Blumenkohl entgegenschlug, fischte sich ein Plastiktablett von einem halbhohen Stapel und reihte sich in die Menschenschlange ein, die auf ihr Mittagessen wartete.

      Nachdem ihm die Küchenhilfe einen Schlag matschiger Dampfkartoffeln, ein angekohltes Kotelett und einen Berg zerkochten Blumenkohl auf das Tablett gehäuft hatte, griff sich Jablonski eine Flasche Pils aus der Kühltheke, drückte der Kassiererin die Essensmarke in die Hand, zahlte das Bier und suchte den Tisch, an dem Willi Rehnagel und Kampmann saßen. Die beiden hatten sich hinter einer Säule verkrochen und winkten Jablonski zu sich, als sie ihn im Gewühl der Mittagsgäste entdeckten.

      »Na, ist dir der Appetit doch noch nicht vergangen?« scherzte Kampmann, trank einen Schluck Bier, rülpste leise und tupfte sich den grauen Vollbart mit einer Serviette ab. »Was meint Pohlig eigentlich damit, wenn er sagt, es gäbe Leute, die auf meinen Posten scharf sind«, erwiderte Jablonski angriffslustig und ließ sich in den roten Plastikstuhl fallen, der an dem Kantinentisch stand. »Nun, es gibt doch genug Freie, die jetzt für sechzig Pfennig pro Zeile arbeiten und die alles tun würden, um fest eingestellt zu werden«, nuschelte Rehnagel zwischen zwei Bissen, wobei ihm ein wenig Blumenkohl aus dem Mund quoll. »Ja, ja der Mensch ist käuflich«, grinste Jablonski, schob den Teller weit von sich, nachdem er die lauwarmen Kartoffeln gekostet, ein Stück von dem vertrockneten Kotelett probiert und das Ganze mit einem großen Schluck Bier hinuntergespült hatte.

      »Das lukrative Annoncengeschäft hat den Zeitungseigentümern die Mittel gegeben, ein geistiges Proletariat, ein stehendes Heer von Zeitungsschreibern zu unterhalten, durch welche sie konkurrierend ihren Betrieb zu vergrößern und ihre Annonceneinnahmen zu vermehren streben«, zitierte Jablonski Ferdinand Lasalle aus dem Gedächtnis, wobei ihn Kampmann verständnislos anstarrte und mit dem Kopf schüttelte.

      »Du redest dich noch um Kopf und Kragen, Eddie«, sagte er warnend, widmete sich dann aber wieder seinem Kotelettknochen.

      Um sich abzulenken, leerte Eddie mit einem Zug das Bierglas aus und bedauerte im selben Augenblick, daß er nicht gleich zwei Flaschen gekauft hatte. Er mußte sich zwingen, nicht sofort ein weiteres Glas Bier in einem Schluck hinunterzustürzen.

      Schließlich nahm er sich vor, mindestens solange zu warten, bis Kampmann oder Rehnagel mit dem Nachtisch, einer Portion Wackelpudding, die mit einem Klecks Schlagsahne garniert war, beginnen würden. Innerhalb der nächsten zwei Minuten war ihm klar, daß er dieses selbstgesteckte Ziel niemals erreichte. Er stürzte das zweite Glas mit wenigen, gierigen Schlucken hinunter und stand auf. »Übrigens«, sagte er zu Rehnagel, wobei er ihm zuzwinkerte, »falls mich jemand suchen sollte, ich habe einen Termin bei der SPD-Ratsfraktion, das kann etwas später werden«, stellte die leere Bierflasche auf das Tablett und bugsierte den Geschirrberg zu einem der fahrbaren Ablageregale, die in Reih und Glied neben der Kantinentür standen. Jablonski spürte, daß er gleich explodieren würde, wenn er nicht bald ein paar Kurze oder einen doppelten Cognac zu trinken bekäme. Er beschloß, in seine Stammkneipe zu fahren, dort nicht allzusehr zu versacken, und später in die Redaktion zurückzukehren.

      Um in sein Büro zu gelangen, benutzte er diesmal die Wendeltreppe, die sich wie eine Girlande an dem quaderförmigen Fahrstuhlschacht emporschlängelte. Er war sich dabei sicher, daß er so keinen fragenden Blicken und belanglosen Gesprächen ausgesetzt sein würde. Sein Arbeitsplatz war ein mit Stellwänden abgetrennter Raum an der Fensterfront des Redaktionssaales. Jablonski hatte den verchromten, schweren Metallschreibtisch vor das Kippfenster rücken lassen, damit er an grauen Regentagen nicht nur dem kalten Neonlicht ausgesetzt war. Er blickte nun direkt auf die seelenlose Spiegelglasfassade der Stadtsparkasse. Wenn er sich ein wenig vorlehnte, sah er die schmale Fußgängerpassage, in der der naßkalte Novemberwind die letzten Blätter von den jungen Bäumen schüttelte.

      Eddie nahm den Trenchcoat vom Garderobenhaken, den er vom Hausmeister auf eine der Stellwände hatte schrauben lassen, angelte ein frisches Päckchen Gauloises aus der obersten Schreibtischschublade, steckte den Autoschlüssel ein und verließ eilig die Redaktion.

       »Ich denke immer, wenn ich einen Druckfehler sehe, es sei etwas Neues erfunden.«

      Johann Wolfgang von Goethe

      3.

      Jablonski hatte die weinrote Alfa Giuletta in der nahen Tiefgarage geparkt. Er konnte sich immer wieder an den barocken Formen der zwanzig Jahre alten Karosse erfreuen. An den hohen, geschwungenen, aggressiv wirkenden Kotflügeln, den verchromten Sportfelgen und an dem scharf abfallenden Heck, in das breite Rücklichter eingelassen waren.

      Der starke Sechszylinder der Giuletta sprang nach dem zweiten Startversuch an und blubberte leise im Leerlauf. Jablonski betrachtete in stiller Andacht das in Rosenholz gefaßte Armaturenbrett, wartete bis der Öldruckanzeiger das grüne Feld erreicht hatte, gab vorsichtig Gas und ließ den Alfa wie ein gebändigtes Raubtier aus der Parklücke gleiten.

      Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muß man vor allem ein Schaf sein, erinnerte sich Jablonski grinsend an einen Spruch von Einstein, den er einmal gelesen hatte und wunderte sich über sein ausgezeichnetes Gedächtnis, da er annahm, er habe die Hälfte seines Gehirns bereits durch den hohen Alkoholkonsum der letzten Jahre ruiniert.

      Die Betonung liegt auf tadellos, sinnierte Eddie weiter, als er sich in den träge fließenden Verkehr einreihte. Nein, ich bin weder


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