German Cop. Dieter Jandt
saß im Restaurant des Hotels und hatte das Gefühl, von allen anderen Gästen an den Tischen ringsum angestarrt zu werden. Er hielt die englischsprachige Bangkok Post ein wenig höher vor das Gesicht und studierte zum x-ten Mal die Fotos, die die Seite vier beherrschten, auf der in der Regel immer die Artikel mit kriminellem Hintergrund zu finden waren.
Wagner zog wiederholt die Luft zwischen den Zähnen ein, nicht weil die Fotos ihn beunruhigten, was sie sicherlich taten, nein, sondern weil das Tom Yam, diese Suppe mit Hühnerbrustfiletstücken dermaßen scharf war, dass er aus einer natürlichen Reaktion heraus Luft einsog, um Linderung zu erfahren. Gekochter Reis pur half dagegen, aber den hatte er bereits aufgegessen.
Was er vor allem nicht so einfach schlucken konnte, war sein höchstpersönliches Konterfei, groß und breit über die halbe Seite in schwarz-weiß, er grinsend und neben ihm Nok mit ihrem gequälten Lächeln, als sie beide gerade aus dem Gefängnis hinausspazieren wollten. Daneben das Foto eines arrogant wirkenden, kahlköpfigen Menschen, ebenso hochnäsig wirkend, wie Wagner ihn vorgestern bei der Shiny Gem, dem Edelsteinhandel, erlebt hatte. Nur war nun vermutlich sämtliche Arroganz aus dem Gesicht gewichen. Der Mann war tot. Und das war noch schlimmer, denn die Fotos waren von einem Artikel eingerahmt, in dem es um einen heimtückischen Mord im Skytrain ging. Erst gestern frisch ausgeführt, vermutlich mit einer winzigen Injektionsnadel und indonesischem Gift, das todsicher und sehr schnell zu wirken pflegte, wie ein Polizeisprecher in dem Artikel verriet. Noks Foto war mit den Worten »Angel of death« unterlegt, und links von ihr, unter seinem Konterfei, stand geschrieben: »Who is this man? German cop or a fake?«
Wagner beruhigte sich ein wenig, weil er wusste, dass von den Einheimischen kaum jemand die Bangkok Post las. Aber – und das ließ ihn dann wieder die ganze Schärfe des Tom Yam spüren: Wenn das hier so fett aufgemacht war, dann doch sicher ebenso in den bunten Tageszeitungen, deren schwungvolle Schriftzeichen er nicht entziffern konnte, aber das musste man ja auch nicht. Die Fotos waren deutlich genug, und wenn die in allen möglichen Boulevardblättern erschienen waren, was dann?
Wagner linste rechts an der Zeitung vorbei. Am Tisch schräg vor ihm war eine Gruppe im erregten Disput, dabei aber fast völlig lautlos. Nur ab und zu zwängte sich ein unterdrücktes Gurren aus den Kehlen hervor, was ihn zunächst irritierte, bis er begriff, dass das allesamt Taubstumme waren, die heftig gestikulierend irgendein Thema diskutierten. Den Mord etwa? Der war ja wahrscheinlich nun Stadtgespräch, und hatten Gehörlose nicht ein viel besseres Gespür als Menschen mit intakten Sinnen, im Zuge einer gewissen Kompensation? Wagner versteckte sich wieder hinter der Zeitung.
Nok sollte also diesem arroganten Vogel eine Spritze verpasst haben, mitten im Skytrain? Schon wieder jemanden ins Jenseits befördert, und schon wieder in einem Gefährt, das über den Straßen einer Stadt dahinfuhr, wie damals in der Wuppertaler Schwebebahn, die für Lochner die Endstation bedeutete.
Was da stand, war durchweg plausibel. Dieser hochnäsige Glatzkopf, der ihn vorgestern in den teakholz-getäfelten Büros der Shiny Gem empfangen hatte, als er, Wagner, umständlich nach Nok fragte, und der ihm mit amerikanischem Slang und süßem Lächeln erklärte, dass er bis jetzt davon ausgehe, sie säße in Haft und werde bald nach Deutschland ausreisen. »Travel«, wie er das sagte: reisen, als sei es sogar als Häftling erstrebenswert, ins reiche Europa zu kommen. Irgendwie werde es dann schon weitergehen. Schulterzuckend gab der Mann vor, ihm nicht weiterhelfen zu können, und schickte sich an, Wagner die Edelsteinkollektionen hinter den Vitrinen vorzuführen und den berühmten thailändischen Schliff zu erklären.
Wagner lehnte ab, so höflich es ihm möglich war. Er bedeutete dem Kahlkopf, dass er allein hinausfinden werde, und wäre beim Verlassen des Büros auf dem Weg zum Lift beinahe über die Beine eines vierschrötigen Kerls mit schwarzem Stirnband gestolpert, der mit verschränkten Armen im Flur auf einem Stuhl herumlungerte und ihn irgendwie unverwandt aus den Augenwinkeln abcheckte. Land des Lächelns, was?
Der »Angel of Death« jedenfalls, so las Wagner nun zum fünften Mal, gelte als dringend tatverdächtig, einfach deshalb, weil Mr. Suthipaap, der bornierte, nunmehr verblichene Herr, offensichtlich seinerzeit dafür gesorgt hatte, dass Nok von der thailändischen Polizei aufgegriffen worden und später in Auslieferungshaft gekommen war. Eindeutige Motivlage. Warum auch immer der Lümmel das getan hatte, Wagner verstand Nok – wenn sie denn überhaupt die Täterin war.
Wagner fragte sich, wie er nun aufstehen und möglichst ungesehen in sein Zimmer im 15. Stockwerk gelangen sollte. Die ganze Zeit die Bangkok Post vor das Gesicht halten? Auffälliger ging’s wohl kaum. Dann erinnerte er sich daran, was Nok gesagt hatte: Dass für Thailänder Farang zunächst einmal alle ziemlich gleich aussehen. Wagner faltete die Zeitung zusammen, stand auf und ging freundlich nickend an der Gruppe der hochsensiblen Taubstummen vorbei in den angrenzenden »Minimart«, kaufte ein paar Flaschen kaltes »Chiang Beer« und nahm den Lift.
Später, nachdem er wieder und wieder den Artikel studiert hatte, um noch etwas zwischen den Zeilen zu erfahren, wurde ihm angesichts der beeindruckenden Skyline von Bangkok bei Nacht klar, dass er hier wegmusste und zwar ziemlich schnell, erst recht, als er den Fernseher einschaltete und nach einer weiteren kitschigen Show alle drei Konterfeis in den Nachrichten noch einmal bewundern durfte. Aber jetzt ein Taxi zu nehmen und sich zum Flughafen fahren zu lassen, um die erstbeste Maschine nach Deutschland zu nehmen, war sicherlich das Verkehrteste, was er anstellen konnte. Spätestens an der Passkontrolle würden sie ihn aus der Reihe nehmen. Und dann gab es keine Auslieferungshaft, sondern Thaiknast gemeinsam mit mindestens vierzig Schwerstkriminellen in einer Zelle, in der man auf Betonboden nächtigte, wie er einmal irgendwo gelesen hatte.
Cool bleiben, dachte Wagner. Abwarten und Bier trinken. Vier mal 6,0 % waren zusammen fast 25. Das musste fürs Erste reichen. Wo aber war Nok?
5.
Der Jeep fuhr im Schritttempo die steile Piste aus Lehm und feinen Schottersteinen hoch. Eine Landschaft der wilden Idylle breitete sich bis hinunter ins Tal aus. Da waren verknorzte Teakholzstämme, immergrüne Bergkiefern, Farne und Bambuskolonien, die von kaum sichtbaren Pfaden durchzogen waren. Bauern stiegen mit geschulterten Harken den Hang hinauf. Nebel waberten die Hänge empor. Der Mekong war jetzt am frühen Morgen von hier oben noch nicht zu sehen.
Der Jeep hielt auf eine Siedlung der Akha zu, eines der vielen Bergvölker, die seit Jahrhunderten rund um das Goldene Dreieck siedelten. Bambushütten klebten am Hang unter den Feldern, durch die ein warmer Wind über ein Meer von Schlafmohnblumen strich und sanfte Wogen aus Tausenden von Kapseln erzeugte. Blütenblätter schimmerten feucht und zitterten im Morgenlicht. Papaver somniferum. Allein der Anblick konnte Seelenfrieden vermitteln.
Im Dorf spielten ein paar Kinder unter den Stelzenhäusern. Sie hieben mit krummen Stöcken auf alte Reifen ein und trieben sie so über den holprigen Lehmboden vorwärts. Als der Jeep langsam heranrollte, hörten sie damit auf und schauten neugierig herüber. Nok stieg aus dem Fahrzeug. Sie trug immer noch die schlapp-sackige Kleidung, die Wagner ihr gekauft hatte. Auch der Fahrer stieg aus, ein gut aussehender Mann mit glatten Gesichtszügen und vollem Haar. Er war vielleicht Mitte dreißig. Sein quer gestreiftes Polohemd steckte in einer beigefarbenen Hose mit Bügelfalten. Es war Noks Bruder. Er rief etwas zu einem großen Gebäude mit gekreuzten Giebeln hinüber.
Ein stämmiger Mann in zerschlissenen Jeans kam unter dem Stelzenhaus hervor, begrüßte Noks Bruder in gebrochenem Thai und nickte seiner Schwester stumm zu. Er wies die beiden zu einer schmalen Bambushütte, die gleich nebenan an einen Felsen gelehnt stand. Unter einem der Stelzenhäuser sah man auf einer Liege einen alten, ausgemergelten Mann mit nacktem Oberkörper. Er schickte in kurzen Abständen Schmerzensrufe durch das Dorf, während neben ihm Hühner den Boden nach Essbarem aufsuchten. Vor ihm hatte sich ein Pulk von Neugierigen gebildet: Meist Männer, aber auch Minderjährige, die sich zwischen den Erwachsenen drängten. Eine Frau in schwarzem Rock mit bunten Mustern an den Säumen hielt ein Kind in einem Tragetuch auf dem Rücken. Ein Mann mit Dreieckskopf kauerte am Boden. Neben seinen Füßen lag ein brauner, harziger Würfel und ein kleines Tongefäß, darin ein rußgeschwärzter Löffel. Der Mann griff zur Wasserpfeife, die neben ihm auf dem Boden stand, ein Schlauch mit Mundstück baumelte herab. Er reichte es dem Alten, der seine dürre Hand danach ausstreckte, während der Mann ein Feuerzeug über