Noch mehr Fußball!. Jürgen Roth

Noch mehr Fußball! - Jürgen Roth


Скачать книгу
völlig überraschend gegen Frankreich gewonnene Halbfinale seien im Bus auf der Fahrt vom Stadion ins Hotel dreihundert Flaschen Bier geleert und durch die Fenster auf die Straße befördert worden. Das Endspiel, so Berthold, habe man denn auch einzig und allein wegen der nie endenden Sauferei vergeigt.

      Am dollsten trieb es, berichtete Berthold, Hans-Peter Briegel. Um den unerträglichen Vogts zu demütigen, hatte der Pfälzer Brecher zum Beispiel eine Riesenpfanne anfertigen lassen, in der er sich spätabends fünfzig (!) Spiegeleier aufs Zimmer bringen ließ, wo eine Kartenrunde tagte, die bis zum Morgengrauen ihre Blätter drosch. Als der Korschenbroicher Berti mal wieder versuchte, die Einhaltung der Ernährungsregeln und des Zapfenstreichs zu kontrollieren, und an die Tür von Briegels Gemach klopfte, öffnete der Athlet mit der Statur eines Zehnkämpfers, schaute auf den Gnom herab und bellte ihn an: »Was willst du hier? Ich hab’ ein Superblatt! Laß dich hier nie wieder blicken!«

      Ich freue mich mittlerweile auf jede neue »Blutwurstgrätsche«, denn da sind Schnurren zu hören, die zeigen, daß die Geheim- oder Realgeschichte des deutschen Fußballs noch geschrieben werden müßte. Merkwürdigerweise hat aber just an der wahren Historie des Fußballs, an seiner »Geschichte von unten«, der durch Boulevardschleim verschlammte Medienapparat nicht das geringste Interesse – obwohl Tratsch und Klatsch prinzipiell in seinen Zuständigkeitsbereich fielen.

      »Es ist doch immer dieselbe Suppe, die hier rumschwimmt«, sagte Thomas Berthold neulich in einem Interview mit dem Magazin 11 Freunde, gefragt, was er von der hiesigen Fußballjournaille halte. Und weil man als Freund des Fußballs diese Suppe permanent auslöffeln muß, ereilt einen nebst der morgendlichen auch noch die abendliche Schwermut, kauernd vor der Stammkneipen-Gonorrhöe-Glotze, aus der das nichtige Moderatoren-, Experten- und Kommentatorengesabber herausschwappt, bis sich die Seele der Sintflut des Schwachsinns hingibt.

      Wer müßte sich da nicht besinnungslos betrinken – beziehungsweise besinnungslos trinken?

      Im Verlauf des UEFA-Cup-Achtelfinalhinspiels zwischen dem RSC Anderlecht und dem FC Bayern München fiel es uns am Kneipentisch nach dem 0:4 simultan wie Schuppen von den Zehennägeln: Hitzfeld muß weg! Ottmar Hitzfeld muß gefeuert werden! Und zwar sofort! Was für ein Versager, was für ein beschissener Trainer, dieser Hitzfeld! Höchste Zeit, daß Henke ihn ablöst. Oder Horst Hrubesch. Bis Klinsmann am 1. Juli das Ruder übernimmt. Hitzfeld? Hinfort mit ihm! Ein bißchen subito!

      Ich mein’, der Mann beziehungsweise die von ihm betreute Mannschaft hat in dieser Saison bislang immerhin eins (in Zahlen: 1) von neununddreißig Pflichtspielen verloren, steht im DFB-Pokalhalbfinale, führt die Bundesliga an, hat in dreiundzwanzig Ligapartien elf Tore kassiert, gewann zum erstenmal seit zehn Jahren auf Schalke, feierte in Brüssel den »höchsten Auswärtssieg der glorreichen Europapokalgeschichte« (Financial Times Deutschland) und …

      Nun, gut, sicher, in der Oberliga NOFV-Nord kommt Spitzenreiter Hertha BSC II in sechzehn Begegnungen gleichfalls auf gerade mal eine Pleite, dasselbe gilt für den SC Renault Brühl in der Landesliga Mittelrhein – Staffel 1 (bei achtzehn Spielen) und Holstein Kiel II in der Verbandsliga Schleswig-Holstein (bei einundzwanzig Partien). Und in der sackstarken belgischen Jupiler League verließ Standard Lüttich in vierundzwanzig Begegnungen noch kein einziges Mal als Loser den Platz, genauso wie Wisla Krakau in neunzehn Matches in der phänomenal besetzten polnischen Ekstraklasa. Aber was heißt das schon?

      Nichts. Oder, im Gegenteil, halt: daß gehandelt werden muß! Denn nachdem der FC Bayern am 8. November des vergangenen Jahres gegen Bolton Wanderers nur ein 2:2 erreicht hatte und zwei Tage später in Stuttgart mit 1:3 untergegangen war, konnte der weise Vorstandsboß Brummelknigge gar nicht anders, als den Lörracher Lehrmeister öffentlich zurechtzuweisen (»Fußball ist keine Mathematik«), das Rotationsprinzip zur Disposition zu stellen und Hitzfeld in der Folgezeit so lange zu piesacken, bis der ankündigte, am Ende der Saison zu verduften.

      Auf www.uefa.com war jetzt zu lesen: »Ein 5:0-Sieg ist natürlich immer ein gutes Ergebnis. Doch der Erfolg des FC Bayern München beim RSC Anderlecht im UEFA-Pokal hat aber noch einige angenehme Nebeneffekte. Wieder einmal durfte sich Trainer Ottmar Hitzfeld für sein Rotationsprinzip feiern lassen, das dem Verein schon 2000/01 den ganz großen Triumph in der UEFA Champions League bescherte.« Welch eklatante Fehleinschätzung! Hitzfeld, das liegt seit den Novembertagen 2007 auf der Hand, ist eine Riesenflasche, sein Rausschmiß dringender denn je geboten. Es wäre eine ähnlich vernünftige Entscheidung wie die durch den großartigen Teppichhändler Michael A. Roth veranlaßte Entlassung Hans Meyers in Nürnberg.

      Sehen wir uns die Fakten an. Seit Hitzfeld wieder an der Säbener Straße regiert, ist Oliver Kahns Torquote dramatisch gesunken. Insgesamt gleicht der Quotient aus erzielten Toren und Zuschauerdurchschnitt einem Offenbarungseid. Bei geschätzten 67.000 Zuschauern pro Bundesligaspiel in der Allianz-Arena und elf Begegnungen trafen die Roten vor in toto 737.000 Fans bis dato ganze einundzwanzigmal, woraus ein Quotient von 2,85 mal zehn hoch minus 5 resultiert. Auf jeden Zuschauer kommen mithin bloß 0,0000285 Tore – der schlechteste Wert seit 1933!

      Das liegt auch daran, daß Hitzfeld in seiner zweiten Amtsperiode an der Isar Giovane Elber kein Vertrauen mehr schenkt. Der Brasilianer hat heuer kein einziges Tor geschossen! Zu schweigen von der kläglichen Korrelation zwischen Abseitspositionen und einsilbigen Spielernamen. Ottl, Lahm, Lell und Kroos – allesamt Deutsche! – tappten dreiundachtzigmal in die Falle, obwohl sie es zusammen auf lediglich siebzehn Buchstaben bringen. Berechnen Sie, lieber Leser, den beschämenden Wert selber! Wir sagen (und leiten diese Worte insbesondere an Karl-Heinz Rummelbummel weiter): Herr Hitzfeld, Sie haben keine Ausreden mehr!

      Was dito gerne vergessen wird: Ottmar Hitzfeld ist ja seit jeher vom Habitus her ein Fluch, handelt er doch im heute so bedeutsamen medialen Umfeld nach einem Motto des gleichermaßen unsäglichen Journalistenverächters Ernst Happel, der mal bekannte: »Ich bin nicht auf Sensationen aufgebaut.« Deshalb stimmt uns wenigstens froh, daß auf den Schwarzwälder Hitzfeld im Sommer ein Schwabe vom glamourösen Kaliber eines Hegel folgen wird – Jürgen Klinsmann, der mit einem Salär von acht Millionen Euro pro Jahr und einem Betreuerstab in Bataillonsstärke in den nächsten zwei Jahren seinen Ruf als »Modernisierer« (www.spiegel.de) untermauern und »ein Energiefeld aufbauen« will, »das den Spielern ziemlich Spaß machen wird«.

      Energiefeld statt Hitzfeld – na endlich. Hitzfeld, dieses Relikt aus einer Epoche, die von Rauchfeldern oder -meldern wie Menotti und Minetti und Ornella Muti und eben auch dem Zigarrenjongleur Heizfeld oder Heidfeld oder halt Hitzfeld geprägt wurde, Hitzfeld, dessen Fähigkeiten, die vergangenen Wochen haben es gezeigt, vielleicht reichen, um Energie Cottbus in die zweite Liga zu geleiten, hat abgewirtschaftet, hat den großen FC Bayern zum Gespött der Fußballwelt gemacht. Schluß damit! Werft ihn raus! Und holt, bis Klinsmann in München landet, meinethalben Lattek! Oder Olm. Oder Zebec.

      Und dann laßt uns mit Franz Beckenbauer in die Zukunft schauen. Der nämlich äußerte Ende Januar auf dem sechzigsten Niedersächsischen Landespresseball in Hannover: »Ich kann nur hoffen, daß Jürgen Klinsmann die zwei Jahre durchhält.« Andernfalls kehrt wer zurück?

      Hitzfeld. Hossa!

      Meine sehr verehrten Damen und Herren,

      was sagen Ihnen die Namen Loy – Eigenbrodt, Höfer – Stinka, Lutz, Weilbächer – Kreß, Sztani, Goethe, Lindner, Pfaff?

      Eben.

      Und wer pfiff?

      Klar. Schiedsrichter Asmussen aus Flensburg pfiff. Mit Ernst Huberty zu raunen: »Asmussen, ein Name, den man sich merken muß.«

      Und Asmussen pfiff hervorragend an jenem 28. Juni 1959 im Berliner Olympiastadion, denn er pfiff, weil er langsam mal nach Hause wollte und es deshalb höchste Zeit für eine Vorentscheidung wurde, in der ersten Minute der Verlängerung Elfmeter, und zwar einwandfrei für die richtige Mannschaft.

      Dort drüben,


Скачать книгу