Menschenbilder. Julia Ulrike Mack
wurde von Protestantenvereinen, Ritschl-Schule, Religionsgeschichtlicher Schule und namhaften Theologen wie Adolf von Harnack, Otto Pfleiderer, Richard Lipsius, Heinrich Bassermann und Max Müller unterstützt. Getragen wurde der AEPMV in Deutschland und in der |64| Schweiz durch die von anderen Missionsgesellschaften gut bekannte Form der Hilfsvereine. Trotz der schweizerischen Beteiligung war der Verein eine überwiegend deutsche Missionsgesellschaft mit einem starken nationalen und, daraus folgend, auch kolonialen Element.156
Als ‹Missionsobjekte› wurden nicht ‹ungebildete Naturvölker› angesehen, der geografische Schwerpunkt lag vielmehr vor allem auf den alten Kulturländern Asiens, Japan und China.157 Diese lagen nach Ansicht des AEPMV moralisch danieder und sollten durch die Mission kulturell wieder ‹aufgehoben›, den heimischen, rein äußerlichen Religionen das Christentum entgegengesetzt werden.158
Auf die Bildung eigener Gemeinden wurde verzichtet, weil man die bereits existierenden, vor allem amerikanischen und englischen Gemeinden nicht spalten wollte. Damit folgte man Adolf von Harnack, nach dem Missionare nicht den Protestantismus verkündigen sollten, sondern die Gotteskindschaft.159 Der AEPMV nahm fremde Kulturen und Religionen auf eine neue Art in ihren Eigenheiten wahr. Ansätze zu einer – vor allem kulturellen – Kontextualisierung christlicher Inhalte hatte es zwar in den anderen Missionen schon lange und immer wieder gegeben, doch lagen diese im Ermessen einzelner Missionare vor Ort und wurden von den Missionsleitungen in der Heimat nicht immer geduldet.160 Der Missionsverein hielt die Kontextualisierung sowie eine stark religionswissenschaftliche Ausrichtung seinen Statuten fest: «Sein Zweck ist, die christliche Religion und Kultur unter den nichtchristlichen Völkern auszubreiten, in Anknüpfung an die bei diesen schon vorhandenen Wahrheitselemente. […] Er sucht seine Aufgabe zu lösen: […] durch Förderung des Studiums der nichtchristlichen Religionen […]».161 Auch im Titel der liberalen Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft (1886-1911), in der – neben Beilagen im Kalender des Protestantenvereins, auf Flugblättern und durch Postkarten – für die liberale Missionssache und für Spenden geworben wurde, kommt dieser religionswissenschaftliche und akademische Anspruch zum Ausdruck.
Die etablierten Missionsgesellschaften blieben auf Distanz. Aus ihrer Sicht wurden die Ziele des AEPMV bereits kompetent von ihnen in Theorie |65| und Praxis erreicht. Die bewusst allgemein gehaltenen theologischen Leitlinien, die möglichst viele Missionsfreunde ansprechen sollten, kritisierten sie als dogmatisch zu beliebig. Trotz der in den Statuten festgehaltenen evangelischen Fundierung störten sich die anderen Missionsgesellschaften am Begriff der ‹Kulturmission›, für die das Evangelium immer nur in Verbindung mit Kultur, im Sinne einer ‹Völkerpädagogie› weitergegeben werden sollte und der christlichen Religion nur ein relativer Stellenwert eingeräumt wurde.162 Zu den Missionskonferenzen wurde der AEPMV deshalb gar nicht erst eingeladen und keine Redner aus seinem Umfeld angefragt.163
Im Umfeld der Missionsgesellschaften wurde der AEPMV offenbar vor allem im negativen Sinne wahrgenommen.164 Die ‹Kulturmission› war den Veränderungen unterworfen, welche die Bedeutung des Kulturbegriffs im ausgehenden 19. Jahrhundert durchlief. Theologisch und in seiner Missionsmethode wollte der Missionsverein mit seiner starken Betonung von kulturellem und religiösem Kontext in Ansätzen eine Alternative zu den anderen Missionsgesellschaften eröffnen und sich für alle kirchlichen Kreise öffnen. Einerseits stellte er tatsächlich eine Alternative zu den positiven und erwecklichen Missionsgesellschaften dar, andererseits war er als liberale Organisation theologisch genauso festgelegt wie pietistische, erweckliche und lutherische Missionsgesellschaften. In seinem Gebrauch von Druckmedien zur Schaffung einer eigenen Öffentlichkeit, schloss sich die liberale Mission an die Praxis der etablierten Missionsgesellschaften an. Die angestrebte Relativierung von konfessionellen Grundlagen rückte den AEPMV in die Nähe der überkonfessionellen Missionsgesellschaften. Mit der hohen Wertschätzung, den der AEPMV der akademischen Bildung der Missionare einräumte, lag er auf einer Linie mit den konfessionellen Missionsgesellschaften.
Die Frage, ob der liberale Missionsverein dem herrschaftsnahen oder dem herrschaftsfernen Missionstyp näher stand, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Für den herrschaftsnahen Missionstyp sprechen die starke Verankerung an den Universitäten und die Betonung der Kultur, die immer auch mit einer nationalen Mission einherging. Andererseits wurde auf die Erhaltung bzw. Sicherung des eigenen Amtes, ganz im herrschaftsfernen Sinn, kein Wert gelegt. Im Gegenteil: Es sollten keine eigenen Gemeinden gegründet werden, sondern die individuell Missionierten in ihren bereits bestehenden Gemeinden bleiben. «Deshalb wird man vergeblich nach handfesten Zahlen |66| suchen, nach Erfolgsbilanzen, die sich in getauften Seelen und gebildeten Gemeinden niederschlagen.»165 Und auch der Missionsverein selbst war dezidiert antihierarchisch aufgebaut und gegliedert.166 Gab es also aus missionstheologischer Sicht viele Elemente, welche den AEPMV mit den anderen Missionsgesellschaften verband, so unterschied er sich in seiner demokratischen Ausrichtung, die sich in der praktischen Arbeit vor Ort zeigte, deutlich von der Arbeit der anderen Gesellschaften.
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4. Die Basler Missionsgesellschaft
4.1. Entstehung und Vernetzung
Die Basler Missionsgesellschaft wurde 1815 als eines der zahlreichen ‹Reich-Gottes-Werke› der in Basel gegründeten Deutschen Christentumsgesellschaft gegründet.167 Sie sah sich ihrem Selbstverständnis nach in der Tradition des «guten, alten, gesunden Pietismus» stehen, dessen Erhalt eine Voraussetzung für den Fortbestand der Missionsgesellschaft war.168
Schon in der Person ihres Gründers, Johann August Urlsperger, der enge Kontakte nach England, aber auch nach Halle pflegte, wird die enge personelle und kommunikative Verknüpfung deutlich, an der die Christentumsgesellschaft und damit auch ihr ‹Ableger›, die Basler Missionsgesellschaft, partizipierte.169
Karl Friedrich Adolf Steinkopf, von 1795 bis 1801 Sekretär der Christentumsgesellschaft, aus Württemberg und eng mit den englischen Missionen verbunden, knüpfte erste Kontakte zu Mitarbeitern und Unterstützern sowie zu bereits bestehenden Missionsgesellschaften, von deren Unterstützung die zukünftige Missionsgesellschaft profitieren konnte. Durch ihn kam die Basler |68| Missionsgesellschaft in Verbindung mit der London Missionary Society und der Church Missionary Society. Zunächst wollte man in Basel nach dem Vorbild des Berliner Missionsseminars in einer eigenen Missionsschule die Missionare nur ausbilden, um sie dann im Dienst anderer Missionsgesellschaften in deren Missionsgebiete zu entsenden.170 Dies hatte pragmatische Gründe – die Basler Missionsgesellschaft verfügte anfänglich nicht über die Infrastruktur und die Mittel, ein eigenes Netz von Missionsstationen aufzubauen und zu erhalten. Steinkopf empfahl eine Zusammenarbeit mit der theologisch ähnlich ausgerichteten London Missionary Society.171 Weil die London Missionary Society jedoch genügend eigene Bewerber hatte, scheiterte dieses Vorhaben. Stattdessen ging die Basler Missionsgesellschaft eine enge Verbindung mit der Church Missionary Society ein.172 Jedoch unterstützte die London Missionary Society die Basler Missionsbestrebungen in der Anfangszeit und beschloss auf Anregung Steinkopfs eine Spende in Höhe von 200 Pfund «as a contribution to the first establishment of their Seminary».173 Von 1819 bis 1858 sandte die Church Missionary Society 102 Missionare aus, die im Basler Missionshaus ausgebildet worden waren.174 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts arbeitete Basel eng mit der Norddeutschen Missionsgesellschaft zusammen. 1850 war diese finanziell nicht mehr in der Lage, eine eigene Missionsschule zu unterhalten. Die Basler Missionsgesellschaft sprang helfend ein. Sie bildete in den folgenden |69| Jahrzehnten nicht nur eigene Missionare, sondern auch Missionare für die Norddeutsche Missionsgesellschaft aus.175
Erst ab den 1820er Jahren begann die Basler Missionsgesellschaft mit einer selbständigen Missionsarbeit. Die ersten Missionsversuche waren nicht von Dauer. Das erste Missionsgebiet ab 1821 in den deutschen und schweizerischen Kolonien an der Wolga musste 1835 auf Geheiß des Zaren Nikolaus I. aufgegeben werden. Die Missionsarbeit in der Kolonie Liberia in Westafrika dauerte nur von 1827 bis 1831. 1828 sandte sie dann jedoch erfolgreich die ersten Missionare an die Goldküste in Ghana, weitere Missionsgebiete waren Südindien ab 1834, China ab 1846 und ab 1886 Kamerun.176 Damit wurde sie zu einer der wichtigsten Vertreterinnen der kontinentalen Missionen.177