Menschenbilder. Julia Ulrike Mack

Menschenbilder - Julia Ulrike Mack


Скачать книгу
der Zeitschriften zu berücksichtigen. Sie geben dementsprechend keinen sicheren Hinweis auf die Gedanken eines Individuums, aber in vielen Fällen sind sie die einzigen noch existierenden Indikatoren dieser Gedanken.58

      Im Jahr 1880 stellte Gustav Warneck Überlegungen zum 19. Jahrhundert an, das für ihn das Jahrhundert der Mission war.59 In dieser Erkenntnis lag für ihn eine mächtige Stärkung des Glaubens für alle Christinnen und Christen. Jeden Bericht über erfolgreiche Missionen, jede Information über Bekehrungen, jede Nachricht aus einem Missionsgebiet sah er als Fingerzeig, dass Gott die Missionsarbeit will und folglich die Menschen, die in der Mission arbeiten, auf dem richtigen Weg waren. Hier kommt ein weiterer Punkt zum Ausdruck, der mit der Funktion von Missionszeitschriften als Werbeinstrument zusammenhängt: Die Publikationen berichteten vom Erfolg der Mission, requirierten auf diese Weise Unterstützung in Form von Spenden oder Mitarbeitern, was wiederum zum Erfolg der Mission beitrug, über den dann wieder berichtet werden konnte. Das könnte man als eine Art self-fulfilling prophecy bezeichnen. «Dass einem schwachen Glauben aufgeholfen werden müsse durch vermeintliche empirische, historisch erhärtete ‹Fakten›, ist», so Werner Ustorf, «eine Denkfigur mit Tradition.»60 Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass diese traditionelle Denkfigur sehr bewusst und strategisch eingesetzt wurde. |36|

      Die Missionszeitschriften des 19. Jahrhunderts trugen der oben erwähnten ‹Sehsucht› Rechnung. Durch Visualisierung sollte Wirklichkeit reproduziert und Authentizität nachgewiesen werden. Die zahlreichen Landkarten und Illustrationen waren für die ‹Missionssache› zudem in dreierlei Hinsicht von Nutzen: Sie dienten erstens einem pädagogischen Zweck, sollten zweitens den Erfolg der Arbeit demonstrieren und drittens den Einsatz der Spendengelder transparent machen.

      Die Abbildungen boten die gesamte Bandbreite der damals möglichen Drucktechniken im Hochdruck (Holzschnitte bzw. -stiche), Tiefdruck (Radierungen) und dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu aufgekommenen Flachdrucks (Lithografien).61

      Seit den 1850er Jahren waren Missionare in den Missionsgebieten auch als Fotografen tätig. Bedenkt man, dass die Fotografie kaum zehn Jahre zuvor, 1839, ihren internationalen technischen Durchbruch erlebt hatte, ist es erstaunlich, wie früh sich die Missionare diese brandneue, in Vorbereitung und Durchführung zu dieser Zeit nicht gerade anspruchslosen Technik aneigneten. Nicht nur die Basler Mission zeigte großes Interesse an dem neuen Medium der Fotografie, sondern auch London Missionary Society, Church Missionary Society, die Wesleyan Methodist Missionary Society, die Bremer und die Rheinische Mission.62 Fotografien konnten jedoch bis etwa 1880 aus technischen Gründen nicht direkt, sondern nur als Radierung oder Lithografie in Büchern und Zeitschriften abgedruckt werden.63

      Lange Zeit unterschätzte man den historischen Wert von Abbildungen, die auf Fotografien beruhten. Denn entweder sah man sie bloß als künstlerische Impressionen oder als stark redaktionell überarbeitete Abbildungen an, |37| die sich erheblich vom Original unterschieden. Vergleiche von Fotografien und Drucken zeigen aber, dass verschiedene Drucke eine Fotografie als Vorlage hatten und diese detailliert wiederzugeben versuchten. Im Missions-Magazin wird dies sogar an einigen Stellen in der Bildunterschrift kenntlich gemacht.64 Deshalb sind die überlieferten Radierungen und Lithografien wertvolle historische Quellen, insbesondere dann, wenn die fotografischen Vorlagen verschollen sind.

      Fotografien bieten zudem einen Einblick in geschichtliche Bereiche, die in Schriftdokumenten entweder wenig repräsentiert sind oder bewusst ausgelassen werden.65

      Die Missionsgesellschaften partizipierten durch ihre Zeitschriften an der Blütezeit der Druckmedien. Durch ihren erstaunlich fortschrittlichen Umgang mit fotografischen Abbildungen verwiesen sie dabei zugleich schon auf die darauf folgende Epoche der Mediengeschichte, auf die Hinwendung zu Bild und Ton, auf die Dominanz der elektronischen Medien.

      Die Tatsache, dass in Missionsquellen aus europäischer Sicht über fremde Länder und Kulturen geschrieben wurde, lässt noch nicht den Schluss zu, dass diese eurozentrische Sicht unbedingt falsch gewesen sein muss. Ebenso führt auch das missionarische Motiv und das apologetische Interesse der Missionare in der Begegnung mit der fremden Religion nicht von vornherein dazu, dass die Berichte über die Kultur, in der sie oft viele Jahre gelebt hatten, ein Verständnis der Menschen und der Kultur des jeweiligen Missionsgebietes verunmöglichten. Die Vorurteile der Autoren aus dem Umfeld der Mission sind zu einem großen Teil viel deutlicher und besser bekannt als die anderer Autoren. «Die Missionare hatten meist ein kritisches und oftmals ein offen polemisches Verhältnis zu den von ihnen beschriebenen religiösen oder kulturellen Gegebenheiten, und sie haben ihre Kritik offen ausgesprochen, so dass es dem gegenwärtigen Leser möglich gemacht wird, zwischen Kritik und sachlich deskriptivem Gehalt der Berichte zu unterscheiden».66 |38|

      Zusammen mit anderen Quellen und Informationen – Komiteeprotokollen, Briefen, Traktaten – geben Zeitschriften ein detailliertes Bild einer Gesellschaft, einer Epoche oder eine Denktradition. Die Faszination bei der Untersuchung von Zeitschriften – und auch Zeitungen – liegt darin, dass hier Geschichte als ein Prozess sichtbar wird, dessen Ziel den Schreibenden selbst oft verborgen bleibt. «Der Blick auf die Massenmedien gestattet einen in der historischen Forschung unvergleichlichen Blick auf die verlaufende Geschichte.»67 Sie sind «Bewegungstexte»68, die Entwicklungen, Wandlungsprozesse und sowohl langsame als auch sehr explosiv auftretende Neubestimmungen wiedergeben.

      Die Quellen verraten viel über die Personen, die sie verfassten, bzw. über die Institution, welche die Texte und Artikel herausgab, die Einstellungen und Ideen, die sie vertrat. Die Missionsgesellschaften selbst hatten ein großes Interesse an der möglichst detaillierten und zeitnahen Wiedergabe von Informationen in Wort und Bild, lebten sie doch «von der Verlässlichkeit und der Lebendigkeit der Informationen, von einem vielschichtigen Kommunikationsprozeß, der sich durch Missionsanlässe, persönliche Kontakte, die Missionszeitschriften und schon im 19. Jahrhundert durch Diavorträge ‹in der Heimat› vollzog».69

       |39|

      3. Missionsgesellschaften und ihre Publizistik: Von den englischen societies zum ‹Missionsjahrhundert›

      3.1. Das 18. Jahrhundert

      3.1.1. Die englischen societies: Society for Promoting Christian Knowledge (1699) und Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts (1701)

      Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden in der anglikanischen Kirche Englands die societies, die ein soziales und pädagogisches Anliegen mit der Arbeit an einer religiösen Erneuerung verknüpften. Puritanische und hochkirchliche Ideen verbanden sich dabei in unterschiedlicher Gewichtung, wie auch die Anbindung an die Kirche unterschiedlich stark, in jedem Fall aber immer vorhanden war.

      Die englische Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK) wurde 1699 auf Veranlassung Henry Comptons (seit 1675 Bischof von London) vom anglikanischen Pfarrer Thomas Bray zusammen mit vier Gleichgesinnten als private, freiwillige Vereinigung gegründet. Ursprünglich war ein explizit missionarisches Wirken außerhalb Englands gar nicht vorgesehen, im Vordergrund stand die Förderung des christlichen Schulwesens in England. Daraus ergab sich die Aufgabe, Gelder für Bücher, Büchereien und Schulen für die Mission der Kirche in den Kolonien zu sammeln.70 Mit der Dänisch-Halleschen Mission ergab sich ab 1726 eine enge Verbindung, auch weil sich in England nicht genug Missionare fanden, so dass die Society for Promoting Christian |40| Knowledge auf deutsche Missionare angewiesen war, um ihre mittlerweile entstandenen eigenen Missionen in Südindien zu besetzen. Die Mission der Society for Promoting Christian Knowledge wurde dadurch bis ins frühe 19. Jahrhundert stark lutherisch geprägt.71 Dies änderte sich, als die Society for Promoting Christian Knowledge 1825 ihre indischen Stationen an ihre englische Schwestergesellschaft, die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts übergab.

      Wie die Society for Promoting Christian Knowledge verdankte die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts den Anstoß zu ihrer Gründung Thomas Bray, war aber «ursprünglich als Gegenstück zur römischen Propaganda-Kongregation gedacht» und 1701


Скачать книгу