Tony Rinaudo - Der Waldmacher. Группа авторов
außer Schatten auch Früchte – und hin und wieder einzelne Äste als Brennholz abwerfen. Statt seiner Rundhütte konnte sich Anato inzwischen ein richtiges Haus mit Backsteinen und Wellblechdach leisten. Außer dem obligatorischen Mais und Hirse baut er Kaffee und Bananen an, die er zusammen mit den Mangos aus dem Garten auf dem Markt verkauft. Den Erlös investierte der Farmer in die Ausbildung seiner Kinder: Die zwei Ältesten schlossen bereits ihr Studium ab, die drei Jüngsten gehen noch ins Gymnasium. Bei den Katmars gibt es inzwischen dreimal täglich zu essen: »Hunger«, sagt Vater Anato, »kennen wir nur noch aus der Erinnerung.«
Tony Rinaudo folgt den Erzählungen seines Musterfarmers mit strahlender Miene – für den Agronomen geht in Humbo ein Traum in Erfüllung. Schon Anfang der 1980er-Jahre war Rinaudo von seiner Mission »Serving in Mission« (SIM) in den Niger geschickt worden: Dort sollte er den Vormarsch der Wüste mit dem Pflanzen neuer Bäume stoppen. Mehrere Jahre lang ging der Australier als Don Quichotte der Setzlinge gegen die alles verheerenden Sandmühlen vor: Kaum 10% seiner Bäumchen hätten nach dem Einpflanzen die Hitze und die staubigen Stürme überstanden, erinnert er sich. Und falls einer der Setzlinge mal durchkam, wurde er später von Ziegen gefressen oder noch später zu Brennholz zerhackt. Schließlich hätte Rinaudo mit seiner Geduld auch fast noch den Glauben verloren: »Hol mich hier raus«, haderte er wie einst Hiob mit seinem Gott.
In der Wahrnehmung des ehemaligen Missionars ging seine Geschichte in Maradi auch biblisch weiter. Eines Tages, als Rinaudo gerade Luft an den Reifen seines Geländewagens herausließ, um besser durch die trostlose Sandlandschaft zu kommen, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Bei den grünen Trieben, die überall um ihn herum aus dem Sand sprossen, handelte es sich mitnichten – wie er bislang immer angenommen hatte – um nutzloses Kraut: Sie stellten sich bei genauerer Betrachtung vielmehr als Baumtriebe heraus. Wenn diese jedoch mitten im Sand wachsen konnten, musste sich unter ihnen ein noch intaktes Wurzelwerk befinden, folgerte Rinaudo: Und weil dasselbe Phänomen überall in der Region zu beobachten war, durfte man von einem riesigen Wurzel-Netzwerk unter dem Sand der Sahelzone ausgehen. Bäume, die gewissermaßen verkehrt herum im Wüstenboden stecken, schwante dem Agrarexperten: ein unterirdischer Wald.
Sein Damaskus-Erlebnis stellte Rinaudos Welt vom Kopf auf die Füße. Wenn man den grünen Trieben im Sand nur eine Chance gäbe, würden sie ganz von selbst zu Bäumen heranwachsen, mutmaßte er: Sein verzweifeltes Pflanzen neuer Bäume war womöglich völlig überflüssig. Alles, was man zur Regeneration der verheerten Landschaft brauchte, war ein Taschenmesser, das Rinaudo ständig mit sich trägt: Damit pflegt er die zum Verbuschen neigenden Triebe der Bäumchen zu beschneiden. Weil die Sprösslinge auf die noch im Wurzelwerk gelagerten Nährstoffe, vor allem Zucker, zurückgreifen können, wachsen sie meist in atemberaubendem Tempo zu ausgewachsenen Bäumen heran. Er habe schon oft beobachtet, wie aus einem kümmerlichen Stämmchen innerhalb von drei Jahren ein fünf Meter hoher Baum geworden sei, sagt der Australier.
Stadt der unbenützten Tankstellen
Maradi muss die Stadt mit der weltweit größten Zahl an Tankstellen pro Einwohner sein: An den Einfallstraßen der nigrischen Provinzstadt finden sich Spritstationen wie andernorts Telegrafenmasten aufgereiht. Die meisten sind allerdings nicht in Betrieb: Sie verdanken ihr Dasein lediglich einer Bestimmung der nigrischen Regierung, wonach nur derjenige eine Genehmigung zum Export von Kraftstoff ins Nachbarland Nigeria erhält, der eine Tankstelle besitzt. Mit dem kleinen Grenzverkehr lässt sich offenbar dermaßen viel Geld verdienen, dass sich der Bau einer nutzlosen Pumpstation schnellstens amortisiert: Ein Beispiel für die bürokratischen Abenteuerlichkeiten, mit denen die knapp 17 Millionen Einwohner des westafrikanischen Staats leben müssen.
Ansonsten ist Maradi wie jede andere Provinzstadt in diesen Breitengraden: zu heiß, zu staubig und dennoch rund um die Uhr lebendig. Nur die schlimmste Mittagshitze verbringen die Fahrer der allgegenwärtigen Motorradtaxis über den Tank ihrer chinesischen Maschinen ausgestreckt, während betagte Peugeots 404 weiterhin über die meist ungeteerten Straßen rumpeln und sich alte Männer auf Steinbrocken sitzend mit Brettspielen die Zeit vertreiben. Das einzige saftige Grün in der mit einem sandfarbenen Film überzogenen Stadt ist im Stadion mit seinem von der Fifa finanzierten künstlichen Rasen zu finden. Viehhirten aus der Umgebung rückten regelmäßig mit ihren Herden an, erzählen sich die Städter spöttisch: Im Glauben, dass sich in der Fußballarena frisches Gras befinde. Ansonsten haben auch die Stadtbewohner wenig zu lachen: In Maradi verfügt nicht einmal die Hälfte der Arbeitsuchenden über einen Job, die meisten der nahezu eine Million zählenden Einwohner müssen mit dem Äquivalent eines Euros am Tag auskommen. In ihren Hütten aus Wellblech gibt es meist weder fließendes Wasser noch Strom.
Die Sahelzone ist das Stiefkind des Kontinents, der selbst schon aus zerrütteten Verhältnissen stammt: In dem wenige hundert Kilometer breiten Landstrich, der sich vom Senegal im Westen des Erdteils bis zum ostafrikanischen Sudan hinzieht, scheint die Armut noch tiefer verwurzelt zu sein als der wilde Feigenbaum mit seinen bis zu 120 Metern in die Erde reichenden Trieben. Aus der Sahelzone stammt ein beträchtlicher Teil der Migranten, die ihr Glück trotz der lebensgefährlichen Reise im europäischen Nachbarkontinent suchen. Hier fällt auch den zornigen Islamisten – die den Einfluss der christlichen Weltherrscher als zumindest eine der Ursachen ihres Elends betrachten – die Rekrutierung neuer Kämpfer nicht schwer. Nicht weit von Maradi entfernt treibt die nigerianische Sekte Boko Haram ihr Unwesen, deren Name so viel wie »westliche Erziehung ist Sünde« bedeutet. Und im Norden des Nigers sind Mitglieder der Terrorgruppe »Al Kaida im Maghreb« aktiv. Westliche Militärs betrachten die Sahelzone als ein derart gefährliches Terrain, dass sie dort Tausende ihrer eigenen Soldaten stationiert haben. Doch auch die französischen, amerikanischen und deutschen Truppenkommandeure wissen, dass den wahren Gründen der Gefahr nicht mit Waffengewalt beizukommen ist. Es ist die Armut, die besiegt werden muss, und das ist Rinaudos Metier.
Hausa wie ein Esel aus Kano
»Tony, Tony!«, ruft ein älterer Mann, als er am Dorfrand von Dan Indo den Beifahrer mit der hellen Haut im Geländewagen erkennt: Kurze Zeit später ist das Fahrzeug von einem Schwarm Jugendlicher und einem guten Dutzend lachender Männer umringt. Trotz seiner inzwischen grau melierten Haare erkennt jeder den ehemaligen Missionar auf Anhieb – man klatscht in die Hände, umarmt sich und schüttelt ungläubig den Kopf. Ein stattlicher Mann stellt sich auch selbst als Tony vor: Seine Eltern haben ihn vor mehr als dreißig Jahren nach dem Australier benannt. Keinesfalls der einzige dunkelhäutige Tony im Maradi-Distrikt, wie sich im Verlauf unseres Besuchs herausstellt. Legt man als Maßstab die Ausbreitung seines Namens an, muss Rinaudo hier hervorragende Arbeit geleistet haben.
Sule Lebo, der Dorfälteste von Dan Indo, will die Hand seines Besuchers gar nicht mehr loslassen. Die beiden unterhalten sich in Lebos Muttersprache Hausa, was diesen immer wieder laut auflachen lässt: »Er kann es noch immer!«, klatscht sich der Bürgermeister auf die Schenkel. Tony spreche Hausa »wie ein Esel aus Kano«, heißt es in den kommenden Tagen immer wieder: Das ist als Kompliment gemeint.
Nach der überschwänglichen Begrüßung kommt Sule Lebo allerdings schnell zur Sache. Die vergangenen Jahre seien hart gewesen, erzählt der Dorfchef: Der Regen fiel miserabel aus, die Ernten waren schlecht, schließlich musste sich der 63-Jährige auch noch für umgerechnet EUR 400 an der Prostata operieren lassen. Um das Schulgeld seiner Kinder zahlen zu können, sah sich Lebo gezwungen, drei seiner acht Ochsen zu verkaufen – und trotzdem geht es dem Farmer mit seinen zwei Frauen und 17 Kindern heute wesentlich besser als zu Beginn der 1980er-Jahre, als er Rinaudo kennenlernte. Damals bewirtschaftete Lebo nur drei Hektar Land, heute sind es 22. Erntete er damals noch lediglich 150 Kilogramm Hirse pro Hektar, so sind es heute 500 Kilogramm. Und die rund zwanzig Ziegen und Schafe seiner Frau gab es damals auch noch nicht. Als der australische Agronom hier mit der Arbeit begann, habe man zwischen dem Dorf und der rund zwei Kilometer entfernten Teerstraße kaum einen Baum gesehen, fährt Lebo fort: Heute stehen Hunderte von ihnen über die Felder verteilt.
Der Dorfchef war einer der wenigen, der Rinaudo damals eine Chance einräumte: Dan Indo wurde zu einem der ersten Projektdörfer des ausländischen Agrarexperten. Der Feldversuch hätte kaum besser verlaufen können: Schon nach wenigen Jahren waren auf den Äckern der Dorfbewohner wieder zahlreiche Bäume herangewachsen – sie spendeten