fair-fish. Billo Heinzpeter Studer
hier entwickelt haben. Damit können Fische gleich nach der Entnahme aus dem Wasser rasch und einfach betäubt und getötet werden. Den Fischessenden hier ist das wohl egal; in Europa aber wächst die Zahl jener, die es vorzögen, Fische zu kaufen, die nicht in großen Netzen an Bord geschüttet wurden und qualvoll verenden mussten. Wer täglich für andere Fische fängt, sie sterben sieht und sich in der Stille der Arbeit so seine Gedanken macht, kann etwas Mitleid mit dem Tier schon nachvollziehen, bloß: Wie soll er denn jeden Fisch erlösen, ein ganzes Netz voll, und selbst wenn, der Mehraufwand lohnt sich ja dann doch wieder nicht … Senegals Fischer sehen das offenbar anders als ihre Kollegen im Norden; sie verdienen so wenig, dass ein wenig mehr schon viel wäre. Ich führe den Betäubungsschlag auf den Kopf des Fisches vor, drehe den Stock in der Hand um 180 Grad, setze den Kiemenschnitt durch die Schlagader zum Ausbluten. Dann zeige ich auf die Spur, die das mit Schraubgewinde versehene Stockende auf dem Fischkopf hinterließ, dank der sich später leicht kontrollieren lässt, ob der Fisch betäubt worden ist. Banda beobachtet alles aufmerksam, lässt sich den Sinn erklären, versucht es selbst. »Geht ganz gut«, meint er, »und für solche Fische gibt’s dann einen höheren Preis?«
»Ja!«
»C’est intéressant, ça; da würden wir uns das mit dem Abhauen vielleicht nochmals überlegen …«
Ob ich denn noch nicht genug hätte, will Banda wissen. Ich sei nicht hier, um genug zu haben, antworte ich, sondern um ihre Arbeit eins zu eins mitzuerleben. Wie lange sie denn jeweils auf dem Meer blieben?
»Etwa sechs Stunden, je nachdem.«
»Nun, wir sind ja erst zwei Stunden draußen.«
»Mais ce n’est pas la pêche aujourd’hui. Wir sind ja heute nicht zum Fischen ausgefahren, sondern weil du dafür bezahlt hast.«
»Ich habe nicht bezahlt, um ausgefahren zu werden. Ich habe bezahlt, weil ihr sagtet, dass ihr weniger fangen werdet, wenn ich mitfahre, und ihr Zeit braucht für das, was ich euch zeige.«
»Alors, on rentre? Willst du jetzt zurück?«
»Nein, wir gehen zurück, wenn ihr mit dem Fischen fertig seid.«
Neugierig beginnen uns Kollegen von Banda in ihren Pirogen zu umkreisen. Ganz so, als wär hier ein toubab, ein Weißer, an Bord eines Fischerboots eine Rarität. Worte in Wolof, der regionalen Sprache, fliegen hin und her, die ich nicht verstehe; Scherze, offenbar, und eher derbe. »Was sagen die denn?« Banda erklärt, seine Kollegen machten sich darüber lustig, dass er und sein Cousin überhaupt die Angeln auswürfen, heute, da ich ja den ganzen Tag schon finanziert hätte, und einer rufe grad, ich soll sie alle nur auch bezahlen, dann könnten sie nach Hause. Verdammt, das hat sich schnell rumgesprochen! Ich schwöre mir, nie wieder für eine Trainingsfahrt von künftigen Projektteilnehmern zu bezahlen; ich hatte schon gestern ein eigenartiges Gefühl, als ich dem Schnorren des Capitaine nachgegeben hatte.
Nach sechs Stunden habe ich wieder Boden unter den Füßen, doch der Strand schwankt bedenklich unter mir. Ein gutes Zeichen, meint Banda: »Das bedeutet, dass du gar nicht seekrank werden kannst.« Ich möcht’ es nicht drauf ankommen lassen, wasche mich und ziehe mir etwas anderes an, bevor ich mich von den jungen Fischern zu ihnen nach Hause führen lasse, durch enge Gassen der Medina, in weite sandige Innenhöfe. Kinder lachen mich neugierig mit großen Augen an, Frauen schauen lächelnd zu Boden, Väter und Onkel, stolz darauf, dass ihre Söhne den Beruf fortführen, heißen mich willkommen wie einen alten Freund, obwohl ich kein Wolof spreche, mit nur einer Frau verheiratet bin (was Männer und Frauen hier so erklärungsbedürftig finden wie wir die Polygamie) und mich nicht nach Mekka verneige (was die meisten hier täglich tun), geschweige denn nach Rom (was sie ersatzweise begrüßen würden). Die Jungen, die mich zu ihnen geführt haben, ziehen sich nach der ersten Begrüßung diskret zurück. Es schickt sich nicht, eine andere Ansicht zu äußern als jene der Älteren, also ziehen sie es vor, abwesend zu sein. Die Väter aber begrüßen mich nicht nur im Innersten ihrer Häuser, sondern im Innersten ihrer Hoffnung. Wie soll ich ihnen erklären, dass es kein Auskommen mehr gibt für alle auf dem Schiff?
Als ich ein halbes Jahr später in Kayar nach Banda frage, ist er nicht mehr da. Er sei nach Spanien gegangen, erfahre ich. Das Geschäft mit »fairen Fischen« kam für ihn zu spät. Seine Kollegen aber zählen immer noch darauf, dass es endlich einmal einen Fairen Handel mit Fischen geben wird.
Hilft es, wenn ich nur noch Fische aus Entwicklungsländern kaufe? [→ Kapitel »Welchen Fisch kann ich noch essen?«]
Alles hatte 1977 begonnen. Für den Schutz der Umwelt hatte ich mich als junger Linker schon länger engagiert. Ich musste damals mit sehr wenig Geld auskommen, nachdem ich einen gut bezahlten, aber langweiligen Job geschmissen hatte und mich als Halbtagsallrounder von der »LeserZeitung« anstellen ließ. Ich hatte mich zur selben Zeit von meiner WG verabschiedet und lebte zum ersten Mal allein in einer Wohnung, die ich spottbillig mieten konnte, weil die Liegenschaftsverwaltung gar nicht dachte, dass sich jemand für dieses »Loch« interessieren würde. Ich legte eine Liste von etwa zwanzig Abendessen an, die ich in dreißig Minuten auf meinen Tisch zaubern und deren Zutaten ich günstig und ohne lange Umwege einkaufen konnte. Eintellermenüs wie Blumenkohl an Tomatensauce, Reis mit Pilzen und Erbsen, Chorizos oder Sherryhuhn auf Kichererbsen, manches aus der Konservendose, immer scharf, immer Salat dazu und billigen Rotwein aus der Literflasche. Huhn? Pouletschenkel aus dem Supermarkt, keine Ahnung, woher die kamen. Genauso wenig wie die Leber, die Nieren, die Blutwürste, die ich mittags in einer Arbeiterkneipe verzehrte. Billig und schnell, sodass es noch für ein Bier reichte, bevor ich zurück zur Arbeit musste.
Von Milchkühen auf Rädern
Eines Tages blieb ich an einer kleinen Zeitungsnotiz hängen, die auf einen Dokumentarfilm Bezug nahm: In den USA gebe es Versuche mit einem neuartigen Stallsystem, bei dem die Milchkühe auf Wägelchen herumgefahren würden, vom Futter zum Melkstand zur Kotgrube. Wenige Zeilen nur, doch das Bild, das sie in mir hervorriefen, hat sich mir tief eingebrannt. Schlagartig wurde mir bewusst, wie weit ich von der Realität entfernt war, deren Produkte ich mir täglich einverleibte. Wenn jemand überhaupt auf die Idee kommen konnte, ein System auszutüfteln, um Tiere derart effizient zu nutzen, wie weit war die Ausbeutung von Tieren denn schon vorangekommen? Bis dahin hatte ich Tierschutz als Freizeitbeschäftigung wohlmeinender Hunde- und Katzennarren mit leicht misanthropischem Einschlag gesehen, die mit ernsthaftem Umweltschutz wenig gemein hatte; nun begann ich mich dafür zu interessieren, was Menschen mit Nutztieren anstellen, weil ich spürte, dass hier etwas aus dem Gleichgewicht geraten war.
Ungefähr ein Jahr später organisierte die »LeserZeitung« im Rahmen einer Umweltreihe im Zürcher Corbusier-Haus eine Podiumsdiskussion mit ein paar klingenden Namen; einer davon war Roger Schawinski, Journalist, Fernseh-Konsumentenschützer und Privatradiorebell. Mit auf dem Podium saß Lea Hürlimann, Künstlerin und nach eigener Aussage eine »wild gewordene Hausfrau«, die 1974 ihrem Zorn über die Zustände in der landwirtschaftlichen Tierhaltung Luft gemacht hatte, was zu einem Artikel in der damaligen Gratiszeitung »ZüriLeu« und zu 1400 empörten Zuschriften von LeserInnen führte, die Maßnahmen erwarteten. So wurde Lea Hürlimann wie einst Winkelried bei der Schlacht in Sempach in die Spieße der Gegner nach vorn gestoßen. Ordner voller Dossiers füllten ihr Schlafzimmer und lange Gespräche ihre Telefonrechnung. Zusammen mit Freunden gründete sie einen kleinen Verein mit dem programmatisch langen Namen Konsumenten-Arbeits-Gruppe zur Förderung tier- und umweltfreundlicher Nutztierhaltung (kurz KAG). Vier Jahre später saß sie also auf dem Podium, legte sich kundig und mit Verve ins Zeug, ließ sich von niemandem den Schneid abkaufen und war um keine Antwort verlegen. Ihre Entschiedenheit beeindruckte mich derart, dass ich keine andere Erinnerung mehr an diesen Anlass habe und damals nur eines wollte: hernach mit Lea Hürlimann ins Gespräch zu kommen und ihr Anliegen bei uns ins Blatt zu bringen.
Im Frühsommer 1979 mussten meine Freundin und ich die Wohnung in Zürich räumen; die von uns zusammen mit einigen Mietern erstrittene Fristerstreckung war abgelaufen, die einst von der »Roten Fabrik« erbaute