Praxisbuch analytische Kinesiologie. Dr. med. Christa Keding

Praxisbuch analytische Kinesiologie - Dr. med. Christa  Keding


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wurde oder wenn Gespräche bei Visiten nur über ihn und in Fachchinesisch abgehalten wurden und der Chefarzt zum Gruß die gummibehandschuhte Hand reichte …

      Achtung vor dem Kranken oder Ehrfurcht gegenüber dem Leben überhaupt galten als sentimentale Gefühlsduselei. Und so wurden in der Physiologie weiterhin Frösche bei lebendigem Leibe zerschnitten, pro Student einer, nur um einen einzigen Reflex plastisch zu demonstrieren; oder es wurden Hunde und Katzen grausam und unnötig gequält – unter dem Deckmantel sogenannter Wissenschaft; schließlich wurde Sarkasmus die Sprache einer „notwendigen Distanz“.

      Medizin zu studieren – das heißt, das Leben zu studieren – ist unglaublich spannend. Wie schade, dass es immer besser gelingt, jegliches Staunen, jegliche Ehrfurcht vor dem Phänomen dieser großartigen Schöpfung zu zerstören und ins Lächerliche zu ziehen. In mir brodelte es, da kämpften „Durchhalten“ und „Ausbrechen“ miteinander. Das Durchhalten hat gewonnen – ich habe es letztlich nicht bereut.

      Die Jahre in Kliniken und Lehrpraxen waren nach dem langen theoretischen Studium die erste Gelegenheit, das Gelernte praktisch anzuwenden und den Patienten wirklich zu helfen – eine ganz neue Erfahrung, die ich mit Freude an der Arbeit auskostete, bis ich meinte, genügend Rüstzeug erarbeitet zu haben für die Gründung einer eigenen hausärztlichen Praxis. Ich glaubte, dass ich in meiner Landpraxis endlich meinen Traum erfüllen konnte, Menschen in allen Aspekten ihres Lebens zu begleiten und ihre Leiden zu heilen. Ich werkelte mit Begeisterung, nahm kleine chirurgische Eingriffe vor, stürzte mich mit Hingabe in das Puzzlespiel der klinischen Diagnostik, begleitete Menschen ins Leben und aus diesem Leben, experimentierte, tröstete und freute mich an den Herausforderungen im Großen wie im Kleinen. Ich tat eben genau das, was jeder Hausarzt mit Leib und Seele tut. Ich nahm teil an vielen Nöten, die nur unter dem Vorwand einer Krankheit in die Praxis führten, aber Ausdruck tiefer Lebenskrisen waren, ich stellte mich den Gesprächen und suchte Unterstützung in der Ausbildung zur Psychotherapeutin.

      Keine dieser Facetten möchte ich missen, es war für mich eine lehr- und segensreiche Zeit. Und dennoch blieb die Frage, warum meinem Wirken trotz fundierten medizinischen Wissens, trotz ehrlichen Engagements, trotz ständiger Fortbildungen und meines großen Erfahrungsspektrums nur so wenige anhaltende Erfolge beschieden waren.

      Zugegeben, ein paar „Highlights“ detektivischer Diagnostik gab es schon, auch erfüllende Momente in der Begleitung durch körperliche und psychische Krisen, aber je länger ich Patienten betreute, desto mehr quälte mich die Frage, warum es so viele „Damit-müssen-Sie-leben“-Patienten gab und warum sich die unklaren und chronischen Fälle häuften, denen ich kaum oder gar nicht helfen konnte, bei denen die Nebenwirkungen der Medikamente die positiven Wirkungen auffraßen oder die Vorschläge der Fachkollegen in Überweisungsodysseen mündeten. Ich fühlte mich oft hilflos.

      Die alte Frage wurde wieder wach: Musste es auf die Herausforderung der Krankheit nicht Antworten geben, die nicht in ihrer vordergründigen Bekämpfung lagen?

      Heilung ist schließlich nicht erst eine Erfindung neuzeitlicher Medizintechnik, sondern soll ja als völlig natürlicher Regulierungsprozess schon in den Zeiten vor Antibiotika und Kortison vorgekommen sein. Nun hatte ich doch alles zur Hand: neuzeitliche Diagnosetechnik, vielversprechende Medikamente, Einfühlungsvermögen und ein offenes Ohr – und trotzdem blieben die Leute krank! Auch meine Appelle zu einer gesunden Lebensweise änderten in den seltensten Fällen etwas; die Frage nach dem spezifischen Hintergrund seiner Krankheit konnte ich dem Patienten nicht beantworten.

      Ich stand vor einem therapeutischen Offenbarungseid. Das ganze Arsenal der die Symptome bekämpfenden Medizin hatte versagt, ich empfand fast jedes Therapieangebot wie das laute Singen eines Kindes, das beim Gang in den dunklen Keller die eigene Angst übertönen will. Ich fühlte mich ausgeliefert und resignierte.

      Und dann wurde ich krank. Mitten aus der gut laufenden Praxis wurde ich durch eine Perimyokarditis (Entzündung von Herzbeutel und Herzmuskel) aus dem Verkehr gezogen. Die Frage, die mich sonst bei der Behandlung meiner Patienten bewegte, betraf mich jetzt selbst und wurde damit noch brisanter: Warum bin ich krank? – Warum gerade ich? – Und warum gerade jetzt?

      Der Rat des behandelnden Kollegen, die Praxis für drei Monate zu schließen und mich ins Bett zu legen, war unrealistisch; alternativ konnte ich noch versuchsweise Aspirin und Kortison schlucken. Aber beides konnte nicht die Lösung sein.

      Glücklicherweise gelangte ich an einen Kollegen, der mit Elektroakupunktur nach Voll (EAV) arbeitete und der mich kurzfristig untersuchte. Neben einer viralen Belastung fand er eine massive Intoxikation mit einem angeblich völlig „ungiftigen“ Pflanzenschutzmittel (aus dem Kreis der sogenannten Pyrethroide). Das war stimmig, denn unser Haus war im Jahr zuvor damit behandelt worden und ausgerechnet im Wohnzimmer war ein ganzer Eimer davon umgekippt … Die toxische Belastung wurde mit homöopathischen Mitteln ausgeleitet und innerhalb von zwei Wochen (!) war ich wieder einsatzfähig für meine Praxis und die Familie.

      Ich glaube, das war (schon vor Beginn meiner „kinesiologischen Phase“) die entscheidende Erfahrung in meinem Leben und in meiner Laufbahn: Ich fühlte mich bestätigt in meiner Sicht von Krankheit, nämlich dass es tiefere Ursachen für ihre Entstehung geben musste. Mit meiner Erkrankung kam ich an den Wendepunkt, an dem ich mich endgültig medizinisch umorientierte.

      Fortan war ich auf der Suche danach, meinen Patienten in ähnlicher Weise helfen zu können, wie mir geholfen wurde. Natürlich erlernte ich umgehend auch die EAV, kam aber nicht gut damit zurecht. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass für meine individuelle Fragestellung noch etwas fehlte. Wie sollte ich etwa mit der EAV insbesondere psychische Faktoren oder andere immaterielle Krankheitsursachen nachweisen?

      Von einem Chirotherapiekurs brachte mein Mann dann einen neuen Impuls, ja, die methodische Überraschung, mit nach Hause: Er berichtete begeistert, dass ein Heilpraktikerkollege über Veränderungen der Muskelkraft die Therapie entschieden und hinterher deren korrekten Abschluss überprüft hatte.

      Mein Mann demonstrierte mir den Muskeltest – und ich glaubte zunächst gar nichts, konnte mir in keiner Weise erklären, was da eigentlich ablief. Als ich aber immer wieder sah, dass dieser Test reproduzierbar war, dass er unabhängig von meinem Willen ablief, da packte mich die Neugier, ich wollte es genauer wissen. Erste vage Visionen drängten sich auf, dass dieser Test vielleicht sogar für meine Arbeit brauchbar sein könnte.

      Mein Mann und ich absolvierten umgehend zahlreiche Kurse in Kinesiologie (Touch for Health, Three in One Concepts, Tools of the Trade, One Brain und andere), aber wir brauchten etliche Monate, bis wir uns zutrauten, Teile dieses komplexen Systems selbst anzuwenden und – über einen Showeffekt hinaus – bei Patienten praktisch einzusetzen.

      Wir hatten zwar ein riesiges Spektrum von Techniken erlernt, aber leider keine für mich befriedigenden theoretischen Zusammenhänge erfahren. Vieles blieb für mich nebulös und doch konnte ich nicht leugnen, dass der Muskeltest funktionierte. Da mir verbindliche Erklärungen vorerst noch fehlten, traute ich mich auch noch nicht recht, den Test in die Praxis zu integrieren. Ich hatte erhebliche Angst vor Blamage und so blieben die ersten Sitzungen zunächst nur den dringlichsten Fällen vorbehalten.

      Zaghafter Beginn

      Die erste Patientin, der ich zögernd eine Austestung anbot, war eine dreißigjährige Frau, die in einer verzweifelten Lage war: Sie hatte ein Baby tot zur Welt gebracht und wünschte sich sehnlichst, wieder schwanger zu werden, hatte aber gleichzeitig Angst davor.

      Meine Untersuchung (mithilfe des Muskeltests) war damals, mangels fundierter Anleitung für solche praktischen Situationen und mangels technischer Übung, extrem zeitaufwendig und aus meiner heutigen Sicht stümperhaft. Aber sie führte zu einem überraschenden und stimmigen Ergebnis:

      Ursache für den Kindstod war eine chronische Belastung des mütterlichen Immunsystems mit einem Virus; dafür wiederum sollte eine Pockenschutzimpfung in der frühen Kindheit verantwortlich sein. Als ich das – selbst ziemlich skeptisch – aussprach, erinnerte sich die Patientin, dass sie (nach Aussage ihrer Eltern) nach dieser Impfung über ein halbes Jahr lang wegen einer Lähmung nicht mehr habe laufen können!

      Wir


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