Sozialfirmen. Lynn Blattmann
ihrem Naturell; doch die sozialpolitische Situation im In-und Ausland und die Diskussionen, die der Zweite Arbeitsmarkt auslöst, rechtfertigen für einmal das Scheinwerferlicht auf uns selbst. Wir sind der Meinung, dass unser Modell auch eine Chance für andere ist, wenn sie jene Regeln umsetzen, die wir entwickelt haben, die sich bewähren und die wir empfehlen.
Was uns wichtig ist, haben die Autorinnen Lynn Blattmann und Daniela Merz auf den folgenden Seiten zusammengetragen.
Mein Dank gilt allen aktiven und emeritierten Stiftungsräten, die nicht nur den Aufbau, sondern auch beide Phasen des Umbaus – vom Beschäftigungsprogramm zur Sozialfirma und später von der regional verankerten Sozialfirma zum nationalen Player – immer gutgeheißen und mitgetragen haben. Ihre Zustimmung zu jedem Entwicklungsschritt war unerlässliche Voraussetzung für die Entstehung und den Erfolg der Dock-Gruppe, und ich habe sie nie für selbstverständlich gehalten.
Sehr herzlich danke ich Daniela Merz. Mit schier unerschöpflicher Energie und Kreativität, Freude und Lust hat sie mit ihrem Team eine in jeder Hinsicht hoch leistungsfähige und anerkannte Firmengruppe geschaffen, die bereits rund 700 Personen beschäftigt und einen weiteren Ausbau ins Auge fasst. Ohne Daniela Merz und unser Leitungsteam stünden wir niemals da, wo wir heute stehen. Euch allen ein Dankeschön!
Lynn Blattmann ist 2006 zu uns gestoßen und hat sich als Mitglied der Unternehmensführung intensiv mit der Idee der Sozialfirma auseinandergesetzt. In verdankenswerter Weise arbeitete sie neben ihren Aufgaben im Firmenalltag mit großem Einsatz an der Publikation dieses Buches.
Weiter gilt mein Dank allen Partnern auf Ämtern, in Unternehmungen, an gesellschaftlichen Schnittstellen und in der Politik, die unserem Tun immer wieder viel Goodwill entgegenbringen und uns zahlreiche Aufträge verschaffen.
Und schließlich ein großes Dankeschön an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wir im Laufe der Jahre bei uns beschäftigt haben. Letztlich sind sie die Dock-Gruppe! Mit ihrer Leistung haben sie maßgeblich dazu beitragen, dass wir über eine gut funktionierende und leistungsfähige Firmengruppe verfügen, die für die Wirtschaft arbeitet und von ihr geachtet wird.
Citoyens und Entrepreneurs: Was Sie auf den folgenden Seiten lesen werden, ist eine spannende und faszinierende Geschichte aus Betriebswirtschaft und Sozialpolitik, aus Unternehmertum und gesellschaftlicher Verantwortung, kurz: eine Erfolgsgeschichte.
Auf die wir ein bisschen stolz sind.
Jürg Bachmann
Präsident der Stiftung für Arbeit und der Dock-Gruppe
St. Gallen/Zürich, 31. August 2009
Marktwirtschaftlich geführte
Sozialfirmen als Chance
Langzeitarbeitslosigkeit ist in der Schweiz ein relativ neues Phänomen. Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass sie andernorts eine längere Geschichte hat. In unseren Nachbarländern ist schon viel ausprobiert worden, um die Folgen langer Arbeitslosigkeit zu mildern. Unzählige Initiativen und Institutionen bieten Tagesstrukturen, Beschäftigung und Qualifikationen an. In Deutschland hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte eine eigentliche »Armutsindustrie« entwickelt, die jährlich sieben Milliarden Euro umsetzt. Auch in der Schweiz wird im Bereich der Arbeitsintegration viel Geld investiert, dennoch stehen heute zahlreiche Modelle und Initiativen unter massivem Spardruck und politischem Rechtfertigungszwang. Sie kämpfen ebenso gegen Resignation wie gegen schwierige, ausgeklügelte Regelungen, die ihnen kaum unternehmerische Freiheit lassen. Generell ist in diesem Bereich heute wenig Innovation zu spüren.
In der Schweiz ist die Situation in der Bekämpfung der Sockelarbeitslosigkeit heute offener und weniger klar. Arbeitslosigkeit war während Jahrzehnten ein Problem, das in Rezessionszeiten auftrat und danach wieder verschwand. Auch in der Sozialhilfe, die der Arbeitslosenversicherung nachgelagert ist, stiegen die Fallzahlen langsam und bis vor wenigen Jahren nur vorübergehend an; einer Periode von vermehrten Anträgen für finanzielle Unterstützung durch die Sozialhilfe folgte in der Regel ein Rückgang derselben. So konnte sich keine langfristige Arbeitslosigkeit verfestigen, das System blieb durchlässig. Wer in guter Konjunkturlage wieder eine Stelle finden wollte, fand auch eine. Für viele unbemerkt, änderte sich dieser Zustand in der Schweiz in den 1990er Jahren. Nach einer konjunkturell starken Phase sanken ab 2007 die Sozialhilfezahlen vorübergehend. Heute leben in einzelnen Städten über 6% der Bevölkerung von Sozialhilfe. 1Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise und der stark abgeschwächten Konjunktur ist mit einem erneuten Anstieg der Fallzahlen zu rechnen.
In der Schweiz stellt sich jetzt die Frage, wie wir als Sozialstaat und als Bürgerinnen und Bürger dieser Entwicklung begegnen wollen. Wir müssen uns entscheiden, was wir als Mitglied einer Kommune, einer Sozialversicherung, eines Kantons, des Bundes oder als Einzelpersonen gegen die Gefahr unternehmen, dass sich die Strukturen derart verfestigen, dass Langzeitarbeitslosigkeit zu einem dauerhaften Ausschluss aus der Arbeitswelt führt. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes kann schlecht beeinflusst werden. Aber es ist möglich, die sozialen Sicherungssysteme durchlässiger zu machen und die Übergänge zwischen finanzieller Unterstützung und selbständiger Existenzsicherung für die Langzeitarbeitslosen einfacher zu gestalten; außerdem können Arbeitsplätze geschaffen werden für Menschen, die arbeiten wollen, aber keine Stelle finden.
Die Stiftung für Arbeit St. Gallen hat sich aus unterschiedlichen Gründen für den sozialunternehmerischen Weg begeistert. Nicht, weil ihr der Glaube daran fehlt, dass auch von anderer Seite gute Lösungen gefunden werden können, sondern weil der unternehmerische Ansatz gerade im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit viele neue Perspektiven eröffnet.
Langzeitarbeitslosigkeit verlangt nach anderen Modellen in der Arbeitsintegration als der Bereich der Invaliden oder Schwerbehinderten, wie diese Zielgruppe in Deutschland genannt wird. Während bei den meisten Behinderten die Beschäftigung im Vordergrund steht, ist im Zusammenhang mit Langzeitarbeitslosen die Reintegration in die freie Wirtschaft immer oberstes soziales Ziel. Arbeitsintegrationsmaßnahmen müssen also eine optimale Vorbereitung und ein Training im Hinblick auf eine reguläre Stelle in der freien Wirtschaft bieten. Angesichts der sich verfestigenden Sockelarbeitslosigkeit darf jedoch die Tatsache nicht vergessen werden, dass es in absehbarer Zeit nicht allen gelingen wird, wieder eine reguläre Stelle zu finden. Arbeitsintegration bedeutet deshalb nicht in jedem Fall eine Reintegration in die freie Wirtschaft; für viele muss sie auch so ausgestaltet werden, dass eine längerfristige Reintegration in die Arbeit möglich ist, auch wenn diese in einem teilsubventionierten Integrationsunternehmen stattfindet. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Arbeitsintegration nicht befristet ist und ein Arbeitsumfeld geschaffen werden kann, das zwar im Zweiten, also subventionierten Arbeitsmarkt angesiedelt ist, sich aber formal nicht von einer Stelle in der freien Wirtschaft unterscheidet. Es braucht also Unternehmen, die marktwirtschaftlich ausgerichtet sind und eine langfristige arbeitgeberische Verantwortung für die langzeitarbeitslose Belegschaft übernehmen können. Dies setzt reelle Kunden und Aufträge voraus. Reine Beschäftigung oder die Herstellung von Produkten, für die es keinen Markt gibt, erachten wir als demotivierend und entwürdigend.
Arbeit, die gebraucht wird, und ein leistungsgerechter Lohn sind wichtige Voraussetzungen für die Stärkung der Eigeninitiative. Diese soll auch der Kernpunkt einer Sozialfirma sein, wie wir sie propagieren. Genau genommen bieten Sozialfirmen schlicht Chancen für diejenigen, die sich aus eigener Kraft buchstäblich wieder aus ihrer Langzeitarbeitslosigkeit herausarbeiten wollen, und sie stellt sinnvolle langfristige Arbeitsplätze zur Verfügung, in denen auch leistungsbeeinträchtigte Arbeitnehmende einer befriedigenden Erwerbstätigkeit nachgehen können, die ihren Fähigkeiten angepasst ist. Die Verwirklichung dieser Vision erfordert Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer, die den Mut haben, ihre Fähigkeiten, ihre Kraft und vielleicht auch ihre finanziellen Mittel in eine Firma zu investieren, die mit einer langzeitarbeitslosen produktiven Belegschaft am Markt operiert und Kundenaufträge erfüllt. Sie setzt Unternehmerinnen und Unternehmer voraus, die bereit sind, sich den Einschränkungen und dem Konkurrenzverbot der freien Wirtschaft zu unterwerfen, und die gleichzeitig immer wieder neue Regeln aushandeln für ein ergänzendes Nebeneinander