Karl Barth und der "Kommunismus". Wolf Krötke

Karl Barth und der


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Kirchen, sich für einen friedlichen Wettstreit der von beiden Seiten geltend gemachten Werte einer humanen und sozial gerechten Gesellschaft einzusetzen. Dabei ging er davon aus, dass der Marxismus solche Werte lebendig halte. Deshalb weigerte er sich, den aller humanen Werte baren Nationalsozialismus mit dem Sozialismus in eins zu setzen und gegen ihn zu kämpfen wie einst gegen den NS-Staat.

      Im Zusammenhang damit ist ihm 1949 der Satz unterlaufen, man könne »einen Mann von dem Format von Joseph Stalin« nicht »mit solchen Scharlatanen wie Hitler, Göring, Heß, Goebbels, Himmler, Ribbentrop, Rosenberg, Streicher usw. es gewesen sind [...] im gleichen |11| Atem nennen«.3 Dieser Satz hat Bischof veranlasst, ein Bild von Barth mit der schlimmen Unterschrift zu versehen: »Bewunderer von Stalin«.4 Unterschlagen wird dabei, was in jenem Vortrag »Die Kirche zwischen Ost und West« im Kontext dieses Satzes steht. Dort lesen wir: Die »asiatische Despotie, Verschlagenheit und Rücksichtslosigkeit [...] des vom heutigen Russland vertretenen Kommunismus« sei »abscheu- und entsetzenerregend«. Was dort ins Werk gesetzt werde, werde »mit sehr schmutzigen und blutigen Händen« getan.5

      Barth hat nicht im Traum daran gedacht, den Kommunismus als eine empfehlenswerte Staats- und Gesellschaftsform für die Welt auszugeben. In einem »Offenen Brief« an Emil Brunner aus jener Zeit heißt es: Der Sozialismus dieser Art sei »keine annehmbare, keine von uns gut zu heißende, [...] keine unseren wohl begründeten Begriffen von Recht und Freiheit entsprechende Lebensform«.6 Die Behauptung Bischofs, Barth sei von einer »moralischen Überlegenheit des Kommunismus über den Kapitalismus« ausgegangen,7 trifft nicht zu. Es gebe hinreichend Anzeichen dafür, dass »der Staatssozialismus auch nur auf eine neue [...] Unterdrückung und |12| Ausnützung des Menschen durch den Menschen hinauslaufen könnte«, steht in der »Kirchlichen Dogmatik«.8

      Für solche Äußerungen wäre Barth in der DDR hinter Gitter gewandert. Es verrät wenig Kenntnis der DDR-Propaganda, wenn Bischof das Lob des »Neuen Deutschland« für Barths Absage an den Antikommunismus zum Beweise dessen aufruft, dass er mit den DDR-Ideologen unter einer Decke gesteckt habe. Die haben mit umgekehrten Vorzeichen bloß dasselbe gemacht, was Bischof leider auch tut; nämlich sich das aus Barths Texten herauszupicken, was Wasser auf die eigenen Mühlen leitet.

      Ein bisschen Beteiligung an der »Aufarbeitung« der Vergangenheit zweier Diktaturen in Deutschland hätte Bischof sicher davor bewahren können, Barths Position im Ost-West-Konflikt als Parteinahme für den Kommunismus zu verstehen. Es ist heute Konsens, dass der Nationalsozialismus nicht plan auf eine Linie mit dem »real existierenden Sozialismus« in der DDR zu stellen ist. Der Nationalsozialismus war ein menschenmörderisches System. Das war der Stalinismus in der Sowjetunion der Dreißigerjahre und bis zur »Entstalinisierung« auch. Barth hat in der »Kirchlichen Dogmatik« IV/3 Stalin, Mussolini und Hitler mit Recht auf eine Linie gestellt.9 In der DDR aber hatte der Sozialismus trotz seiner vielen Untaten nicht diese menschenmörderische Gestalt. Er war deshalb – wenn auch auf ideologisch verbiesterte Weise – den Werten verpflichtet, die ihm der Marxismus auf den Weg gegeben hatte. Man konnte ihn dabei behaften.

      |13| Wir haben das die ganze DDR-Zeit hindurch getan, indem wir versuchten, den sozialistischen Verhältnissen das Beste abzuringen. Das war keine große Erfolgsgeschichte. Aber 1989 geschah tatsächlich das, was der prinzipielle Antikommunismus der Fünfzigerjahre nicht für möglich gehalten hat: Die Staatspartei kapitulierte vor dem Einfordern demokratischer Rechte durch die Bürgerinnen und Bürger.

      Bischof verkennt auch noch etwas anderes. Barths Beförderung eines »dritten Weges« war für den »real existierenden Sozialismus« gefährlicher, als der offene Angriff des »Klassenfeindes«. Das galt als »Revisionismus«. Willi Barth (Sekretär im Zentralkomitee der SED) hat das in einer internen SED-Information klar ausgesprochen,10 als Karl Barth 1963 ein »Theologisches Gutachten zu den Zehn Artikeln über Freiheit und Dienst der Kirche« vorlegte.11 Diese waren von der Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR als »Handreichung« für die Geistlichen verabschiedet worden.

      Über jenes Gutachten gibt Bischof abenteuerliche Auskünfte. Er nennt es »Freiheit der Kirche zum Dienst«12 und verwechselt es damit mit den »Sieben Sätzen« des »Weißenseer Arbeitskreises«, die »Von der Freiheit der Kirche zum Dienen« hießen.13 Diese Sätze werden ohne Angabe von Gründen »berüchtigt« genannt.14 Unkundige |14| können sich aufgrund dieser wirren Angaben gar kein Bild machen, worum es hier ging.

      Darum in Kürze: In den »Zehn Artikeln« wurde die Kirche in der DDR im Sinne Barths als eine freie »Zeugnis- und Dienstgemeinschaft« dargestellt, die sich nicht dem »Absolutheitsanspruch« des Marxismus-Leninismus unterwirft. Sie tritt für die »Gleichheit Aller« vor dem Gesetz ein. Sie darf zum »Missbrauch der Macht« des Staates und zur Unterdrückung der Kirche nicht schweigen.15 Die SED beurteilte in einer Einschätzung die »Zehn Artikel« als »generellen Angriff gegen das sozialistische Recht, die sozialistische Ideologie« und die sozialistische »Moral und Ethik«.16 Die Ost-CDU nannte sie in der »Neuen Zeit« ein »Instrument des Kalten Krieges«.17 Barth aber stimmte ihnen in allen Punkten zu! Er meldete jedoch den Wunsch an, dass im Blick auf den Sozialismus etwas »hoffnungsvoller und darum beteiligter« hätte geredet werden können. Doch gerade dieses Reinreden in den Sozialismus hat Willi Barth im ZK der SED als Aufmarsch des Klassenfeindes gebrandmarkt. Die »Dritte-Weg-Theorie« diene einer »Verfeinerung des Kampfes gegen unsere gesellschaftliche Ordnung«.18

      Zu den »Sieben Sätzen« des Weißenseer Arbeitskreises« hat Karl Barth sich nicht geäußert. Sie nahmen zwar |15| seine Anregung auf, positiver zu reden, ließen aber alle Kritik beiseite. An ihnen haben aufrechte Kirchenleute mitgearbeitet. »Berüchtigt« wurden sie erst, als herauskam, dass Hanfried Müller von der Humboldt-Universität sie mit dem Staatssicherheitsdienst (Stasi) abgesprochen hatte. Er versuchte auch, Karl Barth zu manipulieren. Doch da biss er auf Granit. Zu Müllers Ideologie, dass die DDR die »mündige Welt« sei, auf die Dietrich Bonhoeffer gezielt habe, hat Karl Barth in einem Brief an Johannes Hamel gesagt: »Der Unfug, der mit den Manen von Bonhoeffer getrieben wird [...], übersteigt nachgerade alle Grenzen.«19 Im Übrigen war der Deckname Müllers nicht »Michael« (so Bischof20), sondern »Hans Meier«.21

      Zurück zu den »Zehn Artikeln«. Sie durften in der DDR nicht veröffentlicht werden. Das Gleiche gilt für den Brief Barths »an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik« aus dem Jahr 1959. Auch dazu teilt Bischof Fragwürdiges mit. Die Grußbotschaft des Chefs der Ost-CDU zum 80. Geburtstag Barths soll belegen, dass dieser in der DDR verbotene Brief Begeisterung bei den DDR-Machthabern ausgelöst habe. Das Gegenteil war der Fall. Alle können sich das selber sagen, wenn sie das von Bischof zitierte Bruchstück aus diesem Brief lesen. Es heißt dort, die Kirche könne eine »Loyalitätserklärung« |16| zum DDR-Staat nur abgeben, wenn damit nicht eine »Gutheißung« der der Staatsordnung des Sozialismus »zugrunde liegenden Ideologie« gemeint sei. Sie müsse unter den »Vorbehalt der Gedankenfreiheit« und des »Widerspruchs«, ja des »Widerstandes(!)« gestellt werden.22 Loyalität mit der Option von Widerstand war aber das Letzte, was sich die SED-Funktionäre wünschten. Falsch ist außerdem Bischofs Behauptung, dass jene Erklärung ein »Eid« war. Unsere Kirche hat nie die Hand zum Schwur erhoben, um sich im Namen Gottes an diesen Staat und seine Ideologie zu binden.

      Was nötig ist, um mit Bischof ins Gespräch zu kommen, ist also an erster Stelle eine sorgfältige Analyse der Texte Barths zur DDR. Dabei werden sicherlich auch Grenzen der Argumentationen Barths ans Licht kommen. Er konnte sich von der Schweiz aus eben nur annäherungsweise vorstellen, was es bedeutete, in der DDR zu leben. Das ging ja nicht nur ihm so. Für uns war es dennoch ein Freiheitsgewinn, dass gerade dieser im Kampf gegen die Unfreiheit viel erfahrene Schweizer unseren Weg begleitet und uns beraten hat.

      »Heil uns, noch ist bei Freien üblich / Ein leidenschaftlich freies Wort« hat er 1933 mit Gottfried Keller den Nazis entgegengehalten.23 Als freies Wort, das im christlichen Glauben begründet ist und mit dem in Freiheit umzugehen ist, nehme ich Barths Texte bis heute wahr. Meine Meinung ist sogar, es wäre gut, wenn die europäische Christenheit von dieser Freiheit bewegt wäre. Ohne auf irgendwelche Propaganda zu schielen, hat die |17| Kirche Jesu Christi für die Menschen da zu sein, die unter den wechselnden politischen und wirtschaftlichen Systemen zu leben und zu leiden haben. Das versteht übrigens auch Joachim Gauck unter Freiheit. Anders als Freiheit zum Eintreten für eine gerechte


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