Harry Piel sitzt am Nil. Gerhard Henschel

Harry Piel sitzt am Nil - Gerhard Henschel


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in jenem Land, das so frei ist, dass jedes F-Wort im Fernsehen mit einem Piep übertönt wird.«

      Am 4. Mai äußerte sich Böhmermann in einem Gespräch mit der Zeit zu den Vorgängen. »Mein Team und ich wollen den Humorstandort Deutschland nach vorne ficken«, teilte er dort mit. »Und wenn Sie noch einmal ausschließlich nach dem dekontextualisierten Gedicht fragen, poliere ich Ihnen die Fresse, Sie Kackwurst!« Er war es seit langem gewohnt, für solche Sprüche Applaus zu bekommen. Der Komikerin Carolin Kekebus hatte er in seiner Sendung einmal scheinbar aufgebracht hinterhergerufen: »Scheißfutt!« Und: »Fick dich doch selber, du dumme Futt, ey!« Schwer zu sagen, welche unbekannten Grenzen er mit diesem künstlerischen Ansatz fernerhin erkunden oder ausloten könnte. Ist er nicht bereits ganz unten angekommen?

       *

      Man sollte nicht dem Trugschluß erliegen, daß früher, als die Hände noch über der Bettdecke gefaltet wurden, alles besser gewesen wäre. Schlimme und zum Teil auch erheiternde Dinge fördert bereits ein kleiner, unsystematischer Streifzug durch die quecksilbrige Geschichte der Schmähkritik und der Unflätigkeit im öffentlichen Raum zutage.

      Im Jahre 1049 wetterte der Benediktinermönch Petrus Damiani in seinem »Liber Gomorrhianus« gegen Priester, die eine Frau nahmen (er nannte sie »Schweine des Epikur«), gegen Priester, die ihr Amt niederlegten, um zu heiraten (»Mag daher ein Kleriker den ehrwürdigen Altären den Scheidebrief geben, um frei, wie ein Springhengst gierig sich in die Wollust zu stürzen – dem Fluche Gottes wird er nicht entrinnen«), und besonders gegen die Frauen von Priestern:

      Ihr Schätzchen der Kleriker, ihr Lockspeise des Satans, ihr Auswurf des Paradieses, ihr Gift der Geister, Schwert der Seelen, Wolfsmilch für die Trinkenden, Gift für die Essenden, Quelle der Sünde, Anlaß des Verderbens, Euch rede ich an, ihr Lusthäuser des alten Feindes, ihr Wiedehopfe, Eulen, Nachtkäuze, Wölfinnen, Blutegel, die ohne Unterlaß nach mehreren gelüstet. Kommt also und höret mich, ihr Metzen, Buhlerinnen, Lustdirnen, ihr Mistpfützen fetter Schweine, ihr Ruhepolster unreiner Geister, ihr Nymphen, Sirenen, Hexen, Dianen und was es sonst für Scheusalsnamen geben mag, die man Euch beilegen möchte. Ihr seid Speise des Satans, zur Flamme des ewigen Todes bestimmt. An Euch weidet sich der Teufel, wie an ausgesuchten Mahlzeiten, und mästet sich an der Fülle Eurer Üppigkeit.

      Das tat auch Petrus Damiani selbst, auf seine Weise, in Worten voller Leidenschaft, nur leider keiner reinen: Da er sich die Begegnung mit den »Lusthäusern« und »Mistpfützen« versagen mußte, genoß er wenigstens ihre wortreiche Verdammung. »Damiani muß ein komischer Kauz gewesen sein, und um seinen Reichthum an Schimpf­wörtern würde ihn manches Königsberger Fisch­weib beneiden«, schrieb der kirchenfeindliche Schriftsteller Otto von Corvin 1845. Interessanterweise ist die Koprolalie, also die krankhafte Neigung zum Gebrauch obszöner Wörter, häufig geradezu das Kennzeichen derer, die durch andere den Anstand und das Schamgefühl verletzt sehen.

      Unschuldiger, wenn auch nicht erbaulicher wirken die Grobheiten in mittelalterlichen Fastnachtsspielen. »Secht, ich pin gar nacket und zurissen / Und ganz in ars besaicht und beschissen« – Philologen haben Tausende solcher Verse zusammengetragen und überliefert. Wenn an ihnen einmal etwas Komisches gewesen sein sollte, hat es sich verflüchtigt. Sie atmen den gleichen Geist wie die moderne Pissoirpoesie, der sich nur selten zu höheren Leistungen aufschwingt.

       *

      In Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Roman »Der Abentheuerliche Simplicissmus Teutsch«, der 1668 erschien, spielen Darmwinde eine nicht unerhebliche Rolle. Dem einfältigen Helden Simplicius entfährt in kultivierter Gesellschaft versehentlich »ein solcher grausamer Leibs=Dunst / daß beydes ich und der Secretarius darüber erschracken; dieser meldet sich augenblicklich so wol in unsern Nasen / als in der gantzen Schreibstuben so kräfftig an / gleichsam als wenn man ihn zuvor nicht genug gehöret hätte: Troll dich du Sau / sagt der Secretarius zu mir / zu andern Säuen im Stall / mit denen du Rülp besser zustimmen / als mit ehrlichen Leuten conversiren kanst; er muste aber so wol als ich den Ort räumen / und dem greulichen Gestanck den Platz allein lassen«. Simplicius läßt sich dann weismachen, daß es ein Geheimrezept zur Unterdrückung von Fürzen gebe – »du darffst nur das linke Bein auffheben / wie ein Hund der an ein Eck bruntzt / darneben heimlich sagen: Je pete, Je pete, Je pete, und mithin so starck gedruckt / als du kanst / so spatzieren sie so stillschweigends dahin / als wann sie gestolen hätten.«

      Wenig später soll er bei einem großen Essen aufwarten und sieht sich genötigt, den erlernten Kunstgriff anzuwenden:

      Als aber der ungeheure Gespan / der zum Hindern hinauß wi­schete / wider mein Verhoffen so greulich thönete / wuste ich vor Schrecken nit mehr was ich thäte / mir wurde einsmals so bang / als wenn ich auff der Läiter am Galgen gestanden wäre / und mir der Hencker bereits den Strick hätte anlegen wollen / und in solcher gählingen Angst so verwirret / daß ich auch meinen eigenen Gliedern nicht mehr befehlen konte / massen mein Maul in diesem urplötzlichen Lermen auch rebellisch wurde / und dem Hindern nichts bevor geben / noch gestatten wolte / daß er allein das Wort haben / es aber / das zum reden und schreyen erschaffen / seine reden heimlich brumlen solte / derowegen liesse solches das jenige / so ich heimlich zu reden im Sinn hatte / dem Hindern zu Trutz überlaut hören / und zwar so schröcklich / als wann man mir die Kehl hätte abstechen wollen: Je greulicher der Unterwind knallete / je grausamer das Je pete oben herauß fuhr / gleichsam als ob meines Magens Ein- und Außgang einen Wettstreit miteinander gehalten hätten / welcher unter ihnen beyden die schröcklichste Stimm von sich zu donnern vermöchte.

      Zur Strafe wird Simplicius verprügelt, und man bemüht sich, die üblen Folgen seines Ungeschicks zu minimieren – »da brachte man Rauch-täfelein und Kertzen / und die Gäst suchten ihre Bisemknöpff und Balsambüchslein / auch so gar ihren Schnupfftoback hervor / aber die beste arommata wolten schier nichts erklecken«.

      Es kommt nicht oft vor, daß eine so leicht verderbliche Ware wie das Komische – und zumal das Derbkomische – sich über weit mehr als dreihundert Jahre hält, aber Grimmelshausen ist es gelungen, so etwas zu erschaffen. Vielleicht liegt es an der Einbettung des Derben in kunstvoll gedrechselte Satzperioden und auch daran, daß nicht überall der Latrinenhumor aufdringlich durchscheint, so wie in Jonathan Swifts Satire »The Benefit of Farting explained« von 1722, die sich bereits in der Autorenangabe »Don Fart-In-Hand-O Puff-En-Dorff« und der Widmung (»Dedicated to a Lady of Dis-stink-tion, with Notes by Nicholas Nincom-poop«) als wenig ansprechende Witzelei zu erkennen gibt.

       *

      Freunde, helft, mich zu befreien!

      Galle, Gift und Kot zu speien

      Ist mein Privilegium.

      Possen, Schweinereien, Zoten,

      Alles das wird mir geboten,

      Saust mir um den Kopf herum.

      Der junge Goethe, von dem diese Verse stammen, trug gern dick auf und beugte sich nur widerstrebend der Notwendigkeit, seine Werke zu entschärfen. »Mußt alle garst’gen Wörter lindern, / Aus Scheißkerl Schurken, aus Arsch mach Hintern«, klagte er 1774, ohne zu ahnen, daß auch diese Worte ihren Zensor finden sollten. In Heinrich Dörings Sammelband »Göthe in Frankfurt am Main« von 1839 lauten sie: »Mußt alle die garstigen Wörter lindern, / Aus Sch–kerl Schurk, aus A– mach Hintern«, und in einer Fußnote heißt es dort: »Diese Ausdrücke finden sich nur in der ersten Ausgabe des Götz von Berlichingen, Hamburg 1773; in den spätern Editionen sind sie weggelassen oder gemildert worden.« Wobei man sich natürlich fragt, was an den Ausdrucken »Sch–kerl« und »A–« milderungsbedürftig gewesen sein soll.

      Im Eröffnungsmonolog der Kilian Brustfleck parodierte Goethe sich in seiner Farce »Hanswursts Hochzeit« 1775 selbst:

      Hab ich endlich mit allem Fleiß

      Manchem moralisch politischem Schweiß

      Meinen Mündel Hanswurst erzogen

      Und ihn ziemlich zurechtgebogen.

      Zwar


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