Gesundmacher Herz. Markus Peters
Das klingt ziemlich kompliziert – und das ist es auch. Im Bild kann man sich das etwa so vorstellen, wie man aus einiger Entfernung eine bewegte Meeresoberfläche wahrnimmt: Da gibt es die langen, starken Grundseen (vergleichbar vielleicht dem dominierenden Herz-/Atemrhythmus). Innerhalb dieser Grundseen sind nun weitere Wellen unterschiedlicher Länge und Höhe zu erkennen, die die Grundseen wiederum in einen bestimmten Rhythmus unterteilen. Und schließlich gibt es das sogenannte Kabbelwasser, das die gesamte Wasseroberfläche noch einmal rhythmisch kleinteilig gliedert.
Und ähnlich diesem Blick auf eine bewegte Meeresoberfläche, zeigt sich in den Messdaten der Herzfrequenz-Variabilität tatsächlich die gesamte komplexe Rhythmik des vegetativen Nervensystems. Konkret: Aus den Messdaten der Herzfrequenz-Variabilität lassen sich recht präzise Rückschlüsse auf den Gesamtzustand des Vegetativums ziehen.
Dass das und wie das möglich ist, zeigt ein einfaches Beispiel: Wenn wir es bei einer normalen Herzfrequenz-Variabilität zum Beispiel mit einem Viervierteltakt zu tun hätten (jeder vierte Taktschlag wäre also etwas „betonter“, ein wenig anders als die anderen), dann könnte es sein, dass gleichzeitig auch noch jeder siebte Taktschlag eine Betonung bekommt (kürzer oder länger ist als der Durchschnitt). Fällt von Zeit zu Zeit nun so ein siebter Taktschlag mit einem vierten Taktschlag zusammen, ergäbe sich ein sehr spezieller, komplexer Rhythmus.
Die erste Reihe zeigt einen 4/4-Takt, bei dem jeder vierte Schlag betont ist. Diesem Takt wird nun ein zweiter Takt überlagert, bei dem jeder siebte Schlag besonders stark betont wird.
Zählt man nun den Wert (die Stärke) der betonten Schläge zusammen, ergibt sich ein bereits recht komplexer Rhythmus unterschiedlich stark betonter Schläge. Man kann aber erkennen, dass sich die beiden Ausgangsrhythmen aus diesem Rhythmus wieder herausrechnen ließen.
Diese Abbildungen zeigen natürlich nur ein sehr einfaches und schematisches Beispiel für einen in der Herzfrequenz-Variabilität sichtbar werdenden zusammengesetzten Rhythmus. Bei einer echten Auswertung ginge es um ein sehr viel feineres Zusammenspiel, ein sehr viel komplizierteres Geflecht unterschiedlicher Rhythmen, die sich dann nur noch mithilfe entsprechender Software durch Anwendung spezieller mathematischer Verfahren (Zeitreihenanalyse, Fourieranalyse) aus der Herzfrequenz-Variabilität herausrechnen lassen.
Der Aufwand lohnt sich aber, denn die Ergebnisse erlauben Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des ganzen Menschen. Und der ist umso günstiger zu beurteilen, je deutlicher sich in den Zahlenreihen der Herzfrequenz-Variabilität ein harmonischer, schwingender Rhythmus erkennen lässt, der sich möglichst im Einklang mit anderen körperlichen Rhythmen befindet.
Außerdem wissen wir ja bereits – die bisherigen Forschungsergebnisse sind da eindeutig –, dass eine rhythmisch schwingende Herzfrequenz-Variabilität auf einen positiv gestimmten emotionalen Zustand schließen lässt. Die große Bedeutung dieser Erkenntnis liegt nun darin, dass hier der Ansatzpunkt für neue und zum Teil verblüffend wirksame Therapieformen liegt. Denn wenn es gelingt, etwa durch bestimmte Übungen, sich bewusst in einen positiven Gemütszustand (Wertschätzung, Liebe, Gelassenheit usw.) hineinzuversetzen, so wirkt dies direkt harmonisierend und damit auch gesundend auf das Vegetativum. Das folgende Schaubild zeigt solche Effekte:
Dieses Schaubild zeigt, wie sich die Rhythmen von Atmung, Herzfrequenz-Variabilität und Pulswellenlaufzeit10 von ungeordnet (links) hin zu harmonisch-schwingend (rechts) entwickeln können, wenn das Vegetativum durch eine entspannende Übung11 ins Gleichgewicht gebracht wird.
Wobei sich die Wirkung einer solchen Übung auf das vegetative Nervensystem an den durch sie ausgelösten Veränderungen der Herzfrequenz-Variabilität exakt und in Echtzeit ablesen lässt – eine Rückmeldung, die für den Erfolg einer Therapie natürlich entscheidend ist. Was diese Rückmeldung möglich macht, ist die bereits erwähnte Zeitreihenanalyse, die es mit Computerunterstützung erlaubt, große Datenmengen schnell auf die in ihnen verborgenen Gesetzmäßigkeiten (sprich: Rhythmen) zu untersuchen.
Praktisch sieht das dann so aus, dass der Patient einen Messclip am Ohr trägt, der die Pulsdaten direkt in einen PC überträgt. Dort wird die Herzfrequenz-Variabilität erfasst, ausgewertet und in eine Grafik umgesetzt12:
Im oberen Teil dieser Bildschirmdarstellung wird die Messung der Herzfrequenz-Variabilität gezeigt. Mit inzwischen geübtem Blick lässt sich unschwer erkennen, dass die Herzfrequenz-Variabilität hier eher ungeordnet, unharmonisch verläuft.
Neu ist der untere Teil des Schaubilds, der – mit einer Zeitreihenanalyse aus der Herzfrequenz-Variabilität herausgerechnet – den Gesamtzustand des Vegetativums anzeigt. Konkret geht es um die Frage, ob aktuell (zum Beispiel unter Stress) der Sympathikus bestimmend ist oder der Parasympathikus (wie im Tiefschlaf). Dies zeigen die Säulen im unteren Teil der Schaubilder auf dieser und der nächsten Seite. Sie sind also so etwas wie eine Momentanalyse des Vegetativums. Dafür wird laufend die Herzfrequenz-Variabilität der jeweils letzten zehn Sekunden analysiert und dabei unter anderem errechnet, ob sich die in der Herzfrequenz-Variabilität erkennbar werdenden Rhythmen in einem definierten Idealbereich bewegen oder ob sie mehr oder weniger weit davon abweichen.
Dabei gilt: Befinden sich die Säulen im unteren Bildschirmbereich ganz links, dann hat der Sympathikus die Überhand. Je mehr die Säulen sich nach rechts hin verlagern, desto stärker hat der Parasympathikus an Einfluss gewonnen. Ideal wäre es demzufolge, wenn sich die Säulen – wie im folgenden Schaubild auf Seite 47 – vor allem im mittleren Bereich (also bei einer Herzfrequenz-Variabilität um 0,1 Hertz herum) zeigen.
Diese Möglichkeit, mithilfe einer computergestützten Zeitreihenanalyse eine laufende Rückmeldung über den aktuellen Gesamtzustand des Vegetativums auf dem Bildschirm sichtbar zu machen, erlaubt es nun, die Herzfrequenz-Variabilität nicht nur diagnostisch zu nutzen, sondern auch als therapeutisches Werkzeug einzusetzen – wovon in späteren Kapiteln berichtet werden wird. Im folgenden Gastbeitrag von Prof. Dr. Moser aus Graz werden die chronobiologischen und chronomedizinischen Grundlagen ausführlich dargestellt. Es handelt sich hier um die Resultate jahrzehntelanger Forschung auf höchstem wissenschaftlichem Niveau.
Zum Weiterlesen und Vertiefen
Eller-Brendl, D.: Herzratenvariabilität; Verlagshaus der Ärzte 2010
Hildebrandt, G.; Moser, M.; Lehofer, M.: Chronobiologie und Chronomedizin / Biologische Rhythmen – medizinische Konsequenzen, HRI-Gesundheitsleitsystem 2013 (in Vorbereitung)
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