Liebe auf den zweiten Blick. Doris Lott
am Spülbecken erstarrten zur Salzsäule. Ich dachte nur: Schiefgelaufen, schade. Ich nahm das nicht allzu tragisch.
Irgendwann schaffte ich es, mich mit der Stadt zu befreunden, hier anzudocken, nicht zuletzt dank eines neuen Dekans. Er hieß Emanuel Frey und fragte im Gottesdienst: ,Wer will heute die Lesung vortragen?‘ Von Freiburg her war ich das gewohnt, im Altarraum zu stehen, und so ging ich nach vorn zum Ambo und las. Plötzlich stürzte eine Frau erregt nach vorne und schrie, dass hier Laien nichts zu suchen hätten und dass ich sofort aufhören solle!
Annette Bernards schmunzelt.
„Ja, wie das ausging? Ich hatte ja das Mikrofon und las ruhig weiter, ich war ja lauter! Das war alles ein bisschen grotesk, aber es war der Einstieg in die ehrenamtliche Tätigkeit“.
1990 wurde die junge Staatsanwältin zur Pfarrgemeinderats-Vorsitzenden gewählt und dazu kam die Tätigkeit als Stiftungsrat.
„Das war der Wendepunkt in meinem Leben.“
Nicht nur äußerlich, auch innerlich begann sich die Juristin, die inzwischen seit 25 Jahren in der Verantwortung steht, in Karlsruhe einzurichten.
„Ich kaufte mir Möbel und eine Wohnung in der Parkstraße. Noch zweimal kamen lukrative berufliche Angebote aus Freiburg.“
Annette Bernards lehnte ab und wunderte sich selbst darüber. Sie hatte sich entschieden, sie wollte endgültig in Karlsruhe bleiben. Und da die didaktisch pädagogische Arbeit mit jungen Menschen ihr schon immer Freude gemacht hatte, bewarb sie sich um eine Professorenstelle an der Hochschule für Verwaltung in Kehl.
Karlsruhe rückte ihrem Herzen immer näher und auch der Hardtwald, den sie so liebt, weil sie ihn fünfzehn Jahre lang als Marathonläuferin in alle Himmelsrichtungen durchquert hat.
Ihr Amt in der Gemeinde erfordert immer wieder Entscheidungen, so auch die Umgestaltung des Innenraumes der Stephanskirche, die die Gemüter der Gläubigen und der Karlsruher Öffentlichkeit erhitzte. Die Wellen schlugen hoch, es kam zu heftigen Debatten, die die Gemeinde in zwei Lager spaltete.
„Mir war klar, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann, aber ich weiß, die Umgestaltung war richtig. Ich habe das keine Minute bereut!“
„Du musst Roberto sein!“
Ein Italiener in Karlsruhe
Roberto Borella
„Die Menschen brauchen ein Lächeln“, sagt Roberto, der Italiener. Nur wenige kennen seinen Nachnamen. „Borella, wer ist das?“ Seit 1961 ist Roberto Borella vom ehemaligen Café-Restaurant „Adria“ eine Institution, die in Karlsruhe jeder kennt, der die italienische Küche schätzt, vor allem aber auch Robertos freundliche und verbindliche Art.
Kein Wunder also, dass Jahre später als Roberto von der Ritterstraße ins „O’Henrys“ nach Beiertheim umziehen musste, ihm seine Stammkunden treu blieben. Auch die Sänger und die Schauspieler und die „Karlsruher Prominenz“. Bürgermeister, Stadträte, Abgeordnete, ja sogar der spätere Bundespräsident Roman Herzog oder die obersten Verfassungsschützer wie Jutta Limbach und ihre Nachfolger, Generalbundesanwalt Kai Nehm. Manchmal kamen da Dinge zur Sprache, die Roberto diskret überhörte und niemandem ausplauderte.
Karlsruhes ehemaliger Oberbürgermeister, zum Beispiel, Gerhard Seiler feiert im Adria seit Jahrzehnten seine Familienfeste. „Er kam schon in der Zeit, als es noch das Café Schwarz gab, Karlsruhes feinste Konditorei in der Karlstraße, das Haus, aus dem seine Ehefrau Trudi stammt. Ich erinnere mich noch an so vieles aus meinen ersten Jahren in Karlsruhe. Am Karlstor gab es noch die Zeigerampel und das alte Vinzentius-Krankenhaus und das „Adria“ der Familie Minieri in der Ritterstraße. Dort fing ich als Kellner an. Es war so eine Art Weinstube und Café, wo Frau Minieri ihren selbstgebackenen Apfelstrudel servierte.
Die Künstler vom nahe gelegenen Theater saßen damals oft noch bis nachts um zwei Uhr bei einem Gläschen Wein. Die Wirtsleute hatten danach keine Lust mehr zum Kochen und aßen lieber ein Hähnchen im „Rauchfang“ hinter der Hauptpost. „Um drei Uhr nachts sanken wir meistens total erschöpft ins Bett“, erinnert sich Roberto.
„Ich hatte ein Zimmer bei einem älteren Ehepaar in der Vorholzstraße, das mich wie ihren Sohn behandelte und morgens mit einer Tasse Kaffee am Bett und dem Ruf: „Roberto aufstehen!“, weckte.
Woran es wohl liegt, dass die Menschen diesen Roberto mögen? An seinem italienischen Charme oder seinem Gespür für Menschen? Unaufdringlich ist er, elegant wie der Oberkellner von Brenners Parkhotel und weltläufig wie man sich einen Chef de Cuisine oder Maître d’Hôtel vorstellt.
Der Direktor des berühmten Dorchester in London, der Roberto 1966 am Anfang seiner Karriere einstellte, obwohl der junge Mann nur ein paar Sätze Englisch konnte, hatte das mit seiner untrüglichen Menschenkenntnis wohl gleich erkannt: „Sie sprechen kein Englisch, junger Mann?“
„Nur ein paar Worte“, sagte Roberto, der vor seiner Abreise nach England ein paar Privatstunden im Café Ploetz am Albtalbahnhof bei Kaffee und Kuchen genommen hatte.
„Dann werden wir wohl miteinander französisch sprechen müssen“, meinte der Hoteldirektor, Mister Power vom berühmten Dorchester Hotel in Park Laine, und fügte hinzu: „Sie haben noch kein Zimmer? Ausnahmsweise, weil Sie mir so sympathisch sind, können Sie in unserem Hotel in einer Mansarde wohnen, bis sie etwas gefunden haben.“
Auch Robertos Deutschkenntnisse, die er sich in einer Eisdiele, in einem Hotel im Schwarzwald und danach bei der Familie Minieri in Karlsruhe angeeignet hatte, waren damals noch nicht perfekt.
Roberto absolvierte sein Praktikum, ging morgens von 8 bis 10 Uhr fleißig zur Sprachschule. Dann trat der kleine Comis seinen Dienst an und war so tüchtig, dass er schon bald im berühmten Dorchester zum Maître de Service befördert wurde.
Karlsruhe? „Nein, nach Karlsruhe wollte ich eigentlich 1969 nicht mehr zurück, denn ich hatte mich inzwischen als Stewart auf einem Luxusdampfer beworben und bekam eine Zusage.“ Dann plötzlich ein Anruf aus Karlsruhe und eine Karte von den Minieris, dass ich dringend im „Adria“ gebraucht werde und bitte zurückkommen möge.
Eigentlich wollte ich nur für ein paar Monate aushelfen“, schmunzelt Roberto, aber als ich im „Café-Restaurant Adria“ läutete, öffnete mir eine hübsche Spanierin die Tür. „Du musst Roberto sein“, sagte sie und reichte mir die Hand.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Und so kam es, dass Roberto, der eigentlich lieber aufs Meer wollte als zurück nach Karlsruhe, das Leben als Stewart auf einem Luxusdampfer gegen eine Stelle als Kellner im Café Adria eintauschte und danach nie wieder aus dieser Stadt wegwollte. Als es Probleme gab mit der Arbeitserlaubnis für die junge Spanierin, wusste er die Lösung: „Ich werde Antonia heiraten“, sagte er zu dem Beamten auf dem Polizeipräsidium, der seiner Freundin die Arbeitserlaubnis verweigert hatte.
Seit 1980 sind Roberto und sein Bruder Maurizio eine Karlsruher Institution und aus der Gastronomie-Szene nicht mehr wegzudenken. Roberto, der Maître de Service und sein Bruder Maurizio, der Chefkoch.
Roberto Borella ist das geblieben, wofür ihn seine Gäste mögen. Ein Mann, der auch nach Jahrzehnten das liebenswürdige Lächeln und die menschenfreundliche Zuwendung zu seinen Gästen nicht verloren hat. Sein Alter sieht man ihm auch heute noch nicht an. Trotz seiner grauen Haare erinnert er seine alten Karlsruher Stammgäste auch heute noch an den netten italienischen Jungen aus dem kleinen Dorf bei Friaul, der einfach nur mit seinen Gästen ein wenig älter geworden ist.
Wenn Roberto zurückdenkt an die Stationen seines Lebens, vom berühmten „Baur au Lac“ in Zürich über das „Dorchester“ in London und vom Kellner im „Adria“ bis hin zum Besitzer eines eigenen Feinschmecker-Lokals, dann stellt er fest, dass das Leben es gut mit ihm gemeint hat. Als die Brauerei Moninger wegen angeblich zu geringem Bierumsatz seinen Pachtvertrag in der Ritterstraße nicht verlängerte, fand er im O‘Henry ein Restaurant, das zu ihm passte. „Eine gute Fügung war das“, sagt der gläubige Katholik, der an den traditionellen Werten von Familie, Treue und Ehrlichkeit festhält. „Ich lass mich nicht bestechen“, sagt er lachend. „Ich bin