Kinder, Computer & Co.. Jürgen Holtkamp
sieht der Alltag von Dennis aus. Auch er geht wie Lena in die achte Klasse, allerdings zur Hauptschule. Dennis lebt mit Mutter und seiner jüngeren Schwester in einer kleinen Wohnung. Die Eltern sind geschieden, die Mutter arbeitet ganztags und die finanziellen Verhältnisse, in denen er groß wird, sind schwierig. Kommt Dennis von der Schule nach Hause, schaltet er den Fernseher ein und zappt sich durch die Programme, seine Hausaufgaben macht er nebenbei vor der Glotze. Er schaut gerne Actionserien, die auf den privaten Sendern laufen. Der Fernseher ist sein ständiger Begleiter im Alltag. Gerne spielt er auch mit der in die Jahre gekommenen Playstation.
Dennis besitzt einen älteren Computer, auf dem er am liebsten Actionspiele mit seinem Freund spielt. Ganz aktuelle Spiele laufen leider nicht auf seinem Computer. Er hat auch schon „verbotene“ Spiele ausprobiert. Bücher liest er nicht, und den Gang in die Bücherei spart er sich ebenfalls, da es dort die Computerspiele, die ihn faszinieren, nicht gibt. Die Schule mag er nicht sonderlich; es fällt ihm schwer, die Inhalte zu verstehen, und mit den Hausaufgaben hat er einige Mühe. Seine Mutter kann ihm oft auch nicht weiterhelfen, entsprechend sind seine Noten.
Die Lebenswelten von Dennis und Lena sind grundverschieden, ihre Sozialisation verläuft ganz unterschiedlich und das wirkt sich auch auf ihre Mediennutzung aus. Die Unterschiede zwischen den beiden sind frappierend, ihre Chancen auf eine gute Ausbildung von vornherein ungleich verteilt. Der Eindruck entsteht, es gebe einen Kampf der Kulturen, der Milieus. Fernsehformate wie Super Nanny oder Erwachsen auf Probe, die beide aus dem Hause RTL stammen, verstärken beim Zuschauer den Eindruck, die „Unterschicht“ sei mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. Gibt es also doch eine Erziehungs- und Bildungskluft? Wer solche Formate sieht, erhält diesen Eindruck.
Den schwarzen Peter pauschal den Medien zuzuweisen ist zwar einfach, löst das Problem aber auch nicht.
Medien sind ein Spiegelbild der Gesellschaft, und es wäre heuchlerisch zu meinen, nur die armen und ungebildeten Eltern hätten die Erziehungsprobleme.
Genauso undifferenziert wäre es, das Fernsehen pauschal als Unterschichtenfernsehen abzuqualifizieren. Dennoch lässt es sich nicht von der Hand weisen, dass es im deutschen Fernsehen viel Blödsinniges gibt. Weil das Fernsehen in den meisten Fällen für jüngere Kinder das Leitmedium darstellt, wären pädagogisch wertvolle Sendungen angeraten und nicht am Fließband produzierte Serien. Denn dass die Medien eine ungeheure Faszination auf Kinder und Jugendliche ausüben, sehen wir täglich im Kindergarten, wenn Bilderbücher vorgelesen werden, in der Schule, wenn die neuesten MP3-Files ausgetauscht werden, oder in den Familien, wenn die Kinder mucksmäuschenstill eine DVD anschauen.
Für die Kinder nur das Beste!
Märchen finden jüngere Kinder spannend und interessant, weil in ihnen die Welt in einem einfachen Schema von Gut und Böse aufgeteilt wird und dieses dem Entwicklungsalter dieser Altersgruppe entspricht. Älteren Kindern ist das Schema zu eindimensional, sie bevorzugen komplexere Handlungsstränge, vielschichtige Charaktere und stellen Handlungen in Frage. Kinder in der Grundschule mögen Zeichentrickfilme, schauen auch gerne mit ihren Eltern Die Sendung mit der Maus oder Löwenzahn. Anders als bei den Öffentlich-Rechtlichen werden Kindersendungen bei Super RTL durch Werbung unterbrochen. Grundschulkinder können da schon differenzieren, wissen, wann Werbung anfängt und aufhört.
Im Jugendalter werden Freunde und Gruppen außerhalb der Familie zunehmend wichtiger. Besprochen wird so ziemlich alles, was Teenager bewegt, so auch die angesagten Trends. Wenn die Mädchen auf dem Schulhof nur noch über den coolen Robert Pattinson (Hauptdarsteller in Twilight) sprechen, dann muss man das einfach gesehen haben. Wenn der bekannte Rapper einen neuen „geilen“ Song geschrieben hat, den es im Internet als Klingelton kostenlos zum download gibt, dann ist das für viele Jungen wichtig. Mitreden kann nur, wer die Serien gesehen, die Musiksongs gehört und die Computerspiele ausprobiert hat. Da nützt alles Reden und Lamentieren nicht: Die jugendliche Kultur folgt nicht elterlichen Wünschen und Erwartungen, sondern ist selbst eine kreative Baustelle, die sich laufend neu erfindet.
Weil Medien überall verfügbar sind, passiert es immer öfter, dass schon jüngere Kinder bei ihren Geschwistern mitschauen und Bilder sehen, die für ihr Alter ungeeignet sind: Katharina (sechs Jahre) schaut gebannt mit ihrem älteren Bruder Peter (zehn Jahre) auf den Fernseher. Auf Super RTL werden gerade die Power Rangers gezeigt. In der heutigen Folge geht es um einen Computerwurm und seine Roboterarmee, der die Welt erobert. Die Power Rangers müssen die Welt verteidigen und retten. Mittels Superwaffen und Kampftechniken wird ihnen das auch gelingen. Die Beschreibung macht es schon deutlich: Gut kämpft gegen Böse und zwar mit reichlich Action und noch mehr Waffengewalt.
Der zehnjährige Peter mag diese Form von Action und die Superwaffen. Katharina gefällt vielleicht die bunte Kleidung, obwohl sie den inhaltlichen Ablauf weniger versteht; dass es um den Kampf der Guten gegen die Bösen geht, erkennt sie schon.
Ein zweites Beispiel: Die Mutter sitzt vor dem Laptop und spielt Tetris oder eines von vielen anderen kleinen Spielen für zwischendurch, die es zu Hunderten auf den Spielseiten im Internet gibt. Ihre Motivation besteht darin, sich mal kurz abzulenken, bevor sie gleich weiter Rechnungen überweist, E-Mails beantwortet oder Briefe schreibt. Im Hintergrund sieht die kleine Hannah (vier Jahre) die bunten Bausteine von oben herunterkommen und staunt nicht schlecht, wie die Mutter diese so geschickt verbaut, dass immer neue Steine herunterplumpsen. Die Steine werden von der Mutter schnell gedreht, damit möglichst jede Reihe mit Steinen gefüllt ist. Zwischendurch macht der Laptop auch noch Geräusche. Hannah ist ganz fasziniert davon und will nicht, dass ihre Mutter aufhört.
Kinder lernen von ihren Eltern, die täglich Medien nutzen. Sie sind neugierig und aufmerksam, lernen durchs Beobachten. Sie gucken sich von den Eltern ab, was diese allabendlich anschauen, zunächst die Tagesschau und anschließend den Krimi oder die Arztserie, wie sie am Computer interessante Spiele spielen, während der Mahlzeiten telefonieren oder morgens, mittags und abends Radio hören. Da ist es nur zu verständlich, wenn Kinder an der schönen bunten Medienwelt der Eltern teilhaben möchten, diese so reizvolle und faszinierende Welt entdecken wollen.
Wenn der Kater „Tom“ mal wieder die kleine Maus „Jerry“ in dem weltberühmten Zeichentrickfilm durchs ganze Haus jagt und doch nicht erwischt, sondern selber vor die Wand klatscht, dann wirkt das lustig und komisch. Dass sich Tom wehtut, spielt da keine Rolle und wird auch nicht gezeigt; viel wichtiger ist die Botschaft, der Kleine schlägt dem Großen ein Schnäppchen. Wenn Eltern in ferne Welten am Computer abtauchen, die tollsten Abenteuer im Mittelalter erleben oder Eisenbahnschienen durch ganz Amerika verlegen, wenn sie Simulationen spielen oder im Computerspiel mit 300 Sachen durch die Stadt rasen, wen wundert es, wenn Kinder das auch ausprobieren möchten! Was der ältere Bruder hat, möchte die jüngere Schwester ebenfalls besitzen und zwar sofort, da ist der geschwisterliche Krach gleich vorprogrammiert.
Eltern sind in jeder Hinsicht die Vorbilder für ihre Kinder. Das wissen auch die Medienmacher.
Die Verantwortlichen in den Medien entwickeln Programme, neue Techniken und Spiele, die bei den jungen Zielgruppen ankommen sollen, die sich gut verkaufen lassen. Die Unschuld der Medien – wenn es sie je gab – ist schon lange zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen verloren gegangen. Medienkonzerne und -verlage sind Unternehmen, die den Markt genau beobachten und Strategien entwickeln, um Gewinne zu erwirtschaften. Wenn alle Harry Potter mögen, dann gibt es eben mehrere Kinoverfilmungen, wenn viele Telenovelas schauen, gibt es eben hunderte Folgen, und wenn Serien erfolgreich sind, können es auch schon mal tausend Folgen werden. Solange der Markt es hergibt, wird produziert, zumal der Markt gnadenlos ist. Floppt ein Format, wird es schnell abgesetzt, denn der Erfolg bemisst sich an der Quote und nicht unbedingt an der Qualität.
Die Medienmacher tun also das, was sie besonders gut können: Medien entwickeln, die Kinder mögen und die ihnen die Eltern kaufen oder die Großeltern schenken. Die Kinder selbst können nur begrenzt ermessen, ob die Sendung, das Video oder das Computerspiel Niveau hat oder ob es sich beispielsweise um Billigprodukte aus Asien oder Lateinamerika handelt.
Die Eltern sind gefordert aufzupassen und den kindlichen Gehirnen Qualität zu bieten. Das mag zwar teilweise frommes Wunschdenken sein, weil wir alle wissen, dass die Realität