Schwarz Gelb - der Tag, die Stadt, das Fieber. Markus Veith

Schwarz Gelb - der Tag, die Stadt, das Fieber - Markus Veith


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      Madame Tussaud hatte weiträumig den Boden abgesucht, aber blitzschnell reagiert, als Markus sich eine Handvoll der Nüsse vom Teller nahm: hatte sich vor ihm in Position gebracht, sich hingesetzt, dabei aufgerichtet, die Vorderpfoten auf Brusthöhe angewinkelt, die Augenlider blinzelnd verengt … und Voilà! Mit diesem Trick hatte sie Markus das Leckerliewerfen beigebracht. Klappte immer, auch diesmal. Eine Nuss für sie, eine für ihn, eine für sie, eine …

      „Dominik, sei doch vernünftig …“, Madame Tussaud öffnete erwartungsvoll das Maul, doch Marcus beugte sich plötzlich vor und spuckte direkt vor ihr auf den Boden. He, das war ja wie in ihrer Welpenzeit, als Mama für sie und die Geschwister immer das Futter hervorwürgte. Vor Aufregung vergaß sie ganz, dass sie eigentlich Durst hatte und dringend raus musste.

      Markus wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Sag mal … was hast du denn da für ein ätzendes Zeug gekauft?“

      „Schmeckt dir nicht? Schade aber auch!“

      Madame Tussaud bemerkte, dass Dominiks Stimme gefährlich zufrieden klang.

      „Das ist eine von meinen Kreationen für den Pink Puddle … selbst gesammelte Schafsköttel in Käsepanade und der absolute Renner bei sämtlichen Hunden der Umgebung.“

      02:00 – 03:00

      Dominik

      Heike Wulf

      Das war das Ende. Er hatte es in seinen Augen gesehen. Ganz deutlich.

      Dominik nahm noch ein Glas Schampus. Einen schönen Abend – eine schöne Nacht wollte er mit ihm verbringen − und jetzt − jetzt war alles vorbei. Tränen schoben sich in seine Augen. Er wischte sie weg.

      Madame Tussaud sah ihn erwartungsvoll an, winselte und wedelte. Tänzelte vor ihm her. Mit einem Seufzer nahm er sich die Hundeleine, schnappte sich eine Jacke und ging hinaus in Richtung Bolmke.

      Madame Tussaud blieb an jeder Müllhalde stehen, die in den letzten Wochen ein nicht ertragbares Ausmaß angenommen hatten, und steckte ihren Riecher hinein. Dominik zog sie angewidert weg. Seit die blöde Müllabfuhr streikte, war es unerträglich geworden. Und dann diese Hitze. Echt widerlich. Das waren schon fast italienische Verhältnisse.

      Italien. Er seufzte. Alles, was er dachte, alle Erinnerung liefen wie ein Wasserstrom in eine Richtung: Marcus.

      Letzten Sommer hatten sie sich ein Haus am Meer gemietet, gerade mal 20 Kilometer von Rom entfernt. Marcus hatte sich, um ganz sicher zu gehen, die Haare auf einen Zentimeter kürzen lassen und blondiert. Fantastisch hatte er ausgesehen und mit seiner Armani-Sonnenbrille hatte ihn niemand erkannt. Sie konnten völlig normal, wie ein Liebespaar, miteinander umgehen. Keine Reporter, keine Angst. Außer einmal, da hatte ein kleiner italienischer Junge ein paar Fotos von ihnen beiden gemacht. Sie lagen nackt auf einem schwarz-gelben Handtuch und Madame Tussaud neben ihnen mit einem Fan-Käppi auf. Sie hatten zufällig mitbekommen, dass der Junge Fotos machte. Marcus war zu ihm gegangen und hatte ihm für die Kamera den dreifachen Preis geboten. Der hatte erst ungläubig geschaut, dann aber glücklich eingewilligt.

      Es waren zwei traumhafte Wochen gewesen.

      Aber jetzt war es vorüber. Ihre Beziehung – ihre Liebe beendet. Marcus würde nicht zurückkommen.

      Dabei hatten sie sich bis jetzt so gut arrangiert.

      Sicherlich, er war nicht glücklich darüber gewesen, dass sie sich nicht zusammen in der Öffentlichkeit zeigen konnten, aber er hatte es ja von Anfang an gewusst und respektiert. Für Marcus wäre es das Ende der Kariere gewesen. Aber später, danach, wollte er sich outen.

      Es war klar, dass das alles ein Ende haben würde.

      Genauso wie die getürkte Hochzeit mit Eva. Vermittelt! Wie lächerlich.

      In Hamburg gab es doch tatsächlich ein Vermittlungsinstitut für schwule Fußballer. Er hatte einen Lachanfall bekommen, als Marcus ihm das erste Mal davon erzählt hatte.

      Jetzt war ihm nur noch nach Heulen zumute.

      Er setzte sich auf eine Bank. Es war stockdunkel und er fühlte er sich unwohl. Aber immerhin stank es hier im Wald nicht mehr so.

      Madame Tussaud hatte er gleich zu Beginn des Waldes von der Leine gelassen und nun war sie nicht mehr zu sehen. Wo streunte sie nur herum?

      Er rief sie mehrmals und endlich kam sie angerannt und sprang ihm gleich auf den Schoß. Normalerweise scheuchte er sie weg, wenn sie mit schlammigen Pfoten ankam, heute war es ihm egal.

      Er knuddelte sein Gesicht in ihr weiches Fell und schluchzte: „Marcus, ach Marcus. Du bist mein Leben. Alles hab ich für dich aufgegeben. Alles. Meine Existenz, meine Freunde, meine Identität. Und du? Du verlässt mich.“

      Er dachte an ihre erste Begegnung in Essen im El Brasil. Marcus hatte eine Maske aufgehabt. Oft ein Zeichen dafür, dass jemand dahinter steckte, der es sich nicht erlauben konnte, erkannt zu werden. Das „Brasil“ war ein exklusiver Laden. Hier kam nicht jeder rein.

      Marcus hatte sich umgeschaut, Dominik gesehen und war gezielt auf ihn zugegangen. Erst hatten sie sich zusammen einen Film angesehen und aneinander rumgespielt − später waren sie in ein Separee verschwunden. Marcus hatte irgendwann seine Maske abgezogen und Dominik hatte es kaum fassen können. Marcus Schneider, Stürmer bei Schwarz-Gelb, Ausnahmetalent und … schwul.

      Danach haben sie sich regelmäßig dort getroffen. Nach ein paar Monaten hatte Marcus ihm eine Wohnung in Dortmund gekauft. Angemeldet war sie auf Eva. Die Schein-Ehefrau von Marcus.

      Er vergrub sein Gesicht noch tiefer in das Fell seines Pudels und weinte.

      Als er wieder hochsah, entdeckte er einen schwarz-gelben Vogel, der sich neben ihm auf der Bank niederließ. Er sah genauer hin.

      Hatte er jetzt Halluzinationen? Der sah aus wie ein Wellensittich. Aber die waren doch eigentlich nur gelb-grün. Es gab keine schwarz-gelben Wellensittiche. Zumindest hatte er noch nie einen gesehen. Er scheuchte ihn weg. Schwarz-gelb – er konnte es nicht mehr sehen.

      Er musste daran denken, dass Marcus ihm Geld angeboten hatte. Als ob er eine Nutte wäre. Das hatte ihn am meisten verletzt.

      120 Jahre war seine Kneipe im Familienbesitz gewesen. 120 Jahre. Seine Mutter sprach kein Wort mehr mit ihm, seine Geschwister hatten sich von ihm abgewandt. Sein Vater würde ihn umbringen, wenn er noch lebte.

      Dominik hatte alles verkauft, um mit ihm nach Chelsea zu gehen. Und danach vielleicht auch noch nach Frankreich oder Spanien. Überallhin wäre er ihm gefolgt. Marcus war die Liebe seines Lebens.

      Ohne ihn hatte sein Leben keinen Wert mehr.

      „Es ist zu gefährlich in London. Es gibt so viele Paparazzi dort. Die Reporter sind dort anders. Denk an Lady Di. Wir können kein Risiko eingehen. Ich bin geliefert, wenn das raus kommt. Es ist aus. Endgültig.“

      „Ich warte auf dich“, hatte er geschrien. „Ich hab alles für dich aufgegeben. Ich liebe dich!“

      „Es geht nicht. Schluss. Aus. Vorbei!“, hatte Marcus kühl geantwortet.

      „Ich hab meine Koffer schon gepackt – den Flug gebucht. Letztens hab ich mir im Internet ein paar zum Verkauf stehende Pubs angesehen. Ich hab schon einem Namen für den Laden: Purple Poodle. Und Madame Tussaud werde ich dann rosa färben. Das wird fantastisch. Die Engländer sind genau das richtige Volk dafür. Die sind so abgefahren. Bitte Marcus. Bitte!“

      Er hatte ihn angefleht, geheult, geschrien. Aber Marcus hatte ihn mitleidig angeschaut.

      „Brauchst du Geld? Ist es das?“

      Er hatte ihn fassungslos angesehen. Dann war Marcus gegangen. Nicht mal die Tür hatte er hinter sich zugemacht. Er war verloren. Marcus hat ihn gedemütigt − verletzt.

      „Das wirst du büßen, Marcus, das wirst du mir büßen und wenn es das Letzte ist, was ich auf dieser Welt tun werde!“, hatte er hinter ihm her geschrien.

      Aber


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