Meister Autor. Wilhelm Raabe

Meister Autor - Wilhelm  Raabe


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mit Hülfe von Brettern und Strohbündeln eine genügende Anzahl zweckdienlicher Sitze für uns hergerichtet worden war.

      Nun liegt hier vor mir ein anderes Dokument, und zwar in Folio: — Merians Topographia und Beschreibung der vornehmsten Städte, Schlösser, auch anderer Örter im Herzogtum Braunschweig und Lüneburg. Auf der Kupfertafel, welche den nicht unberühmten Platz und Ort Schöppenstedt darstellt, zieht sich im Hintergrunde gleichfalls natürlich der Elm hin, und über einigen Hausdächern, die am Rande des Waldes aus dem Gebüsch hervorragen, lesen wir die Legende:

      Kneitlingen, allwo das fromme Kind Eulenspiegel geboren wurde.

      Wir erreichten den Elm über Kneitlingen hinaus. —

      Über Kneitlingen hinaus, linksab, unbestimmt tief in den Wald hineinwärts, da wohnte der Meister Kunemund, den die Welt nicht mehr so recht verstand, weil er ihr zu jung geblieben war. Da wohnte er ziemlich verborgen, daß heißt er hatte sich einem Förster in die Kost und unter Dach getan; und da machte ich seine Bekanntschaft und er die meinige, was unter Umständen nicht sich von selber versteht, oder besser gesagt, nicht dasselbe ist.

      Wir führten in mehreren Körben einen genügenden Vorrat von Lebensmitteln sowie auch eine erkleckliche Anzahl Flaschen mit allerlei Getränk mit uns und konnten also recht vergnügt sein. Unter der Leitung eines jungen Forstmannes im grünen Rock und mit einem papiernen Hemdkragen frühstückten wir mitten im im Quincunx gepflanzten Musterforst, wie die bessern Stände auf ihren Ausflügen in die freie unverfälschte Natur zu frühstücken pflegen. Nachher spielte man, wiederum unter der Leitung des eben erwähnten jungen Forstmanns, Blindekuh und sonstige unschuldige Spiele, was sehr hübsch war, aber auch den Höhepunkt des Vergnügens bildete; denn im Grunde mißlang jeder spätere Versuch, sich noch höher und tiefer in das volle Naturbehagen hinauf- und hineinzuschrauben, vollständig. Daß ein jeglicher in der Gesellschaft die Schuld an der von Viertelstunde zu Viertelstunde mehr einreißenden Langeweile und Verdrießlichkeit nicht sich selber zumaß, war unter diesen Verhältnissen natürlich: das Gefühl, mit dem linken Fuße zuerst und noch dazu viel zu früh aus dem Bette gestiegen zu sein, wurde allgemein.

      Der junge Grünling mit dem Papierkragen war der letzte, dessen Lebensgeister sanken; aber auch ihm sanken sie. Er fing an, uns eine frisch von der Forstakademie mitgebrachte wissenschaftliche Abhandlung über moderne Waldwirtschaft zu halten und setzte dadurch dem Vergnügen freilich die Krone auf.

      Mit der Mißachtung selbst der jungen Damen beladen, verlor er sich für ein geraume Zeit in einer jungen Schonung und kam erst dann wieder zum Vorschein, als die Gesellschaft den Versuch, im Walde Mittagsruhe zu halten, durch Ameisen, Kopfweh, Waldspinnen und Gliederschmerzen gehindert, aufgegeben hatte. Der holde, wolkenlose Tag übte immer sonderbarere Wirkung auf die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an dem Vergnügen. Begrabene, mehr oder weniger tief zugedeckte Feindschaften und Feindseligkeiten wühlten sich mit überraschender Schnelligkeit von neuem ans Licht. Wer etwas gegen seinen Nachbarn oder seine Nachbarin im Grase auf dem Herzen hatte, der fühlte einen unwiderstehlichen Kitzel, es von demselbigen los zu werden, und zwar auf die anzüglichste, unangenehmste Weise. Und da wieder wurden vorzüglich die Damen scharf, sowohl die jungen wie die ältern, sie pflückten füreinander kuriose Sträuße unter den Büschen, und es wurde die höchste Zeit, daß irgend jemand sich begütigend dreinlegte.

      Dieser jemand war ich, und ich warf den Vorschlag in die allgemeine

       Verbitterung, alle Streitigkeiten für jetzt beiseite zu schieben und sie

       für die Heimfahrt, für das trauliche Beieinandersitzen auf den zwei

       Leiterwagen und im Eisenbahnwagen aufzusparen.

      Da man mich nur von der Seite ansah, so erweiterte ich meinen Vorschlag dahin, daß man, um den Tag ganz auszunutzen, einem Försterhause, das ich eine halbe Stunde weiter in den Wald hineingelegen wußte, einen Besuch abstatten solle. Sauere Milch wirke kühlend und erfrischend, und der Tag sei noch sehr lang.

      Nun sah man sich an, und der Vorschlag fand genügende Unterstützung.

      »Tofote heißt der Förster dort,« sagte der junge Herr von Müller. »Es ist eine eigentümliche Wirtschaft dort. Bei der Forstbehörde ist der Kerl grade nicht zum besten angeschrieben, aber das braucht uns freilich nicht abzuhalten, ihm eine Visite zu machen. Die Idee ist gut, überfallen wir den Burschen! Wenn die Herrschaften erlauben, werde ich den Weg andeuten.«

      Nun waren alle Lebensgeister auf einmal wieder wach, und wir im nächsten Augenblick auf dem Marsche durch den Elm zum Förster Arend Tofote. Die jungen Leute stimmten ein Waldlied von Eichendorff an, welches sehr hübsch und romantisch unter den hohen Buchenwölbungen klang; und wer uns nun wieder sah und hörte, der war verpflichtet, ohne Widerstand und Widerrede verpflichtet, uns für das zu nehmen, was wir schienen, nämlich waldfröhliche, hübsche, vergnügte Kinder der Natur, junge sowohl wie alte.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich heiße Schmidt. Mein Name ist drolligerweise sogar von Schmidt. Es ist beängstigend aber wahr, ich gehöre dem Adel der deutschen Nation an, und ich habe sogar meinen Vater noch in Verdacht, sich etwas darauf zugute getan zu haben. Bei welchem Märchenkönig der Ahnherr meines Geschlechtes Kanzler oder lustiger Rat war, habe ich nie herausbekommen können; aber daß wir ein altes Geschlecht sind, das weiß ich; und daß wir selten unseres Glückes Schmiede waren, das weiß ich leider auch. Seit ich den Meister Autor Kunemund kennen gelernt habe, bilde ich mir ein, daß unsere Bezüge mehr als tausend Jahre alt sind, und es würde mich gerade nicht wundern, wenn der Ahnherr derer von Schmidt im geheimen Rate jenes braven Jungen gesessen hätte, der König wurde, weil's ihm nicht gruselte, und dem das Gruseln erst längere Zeit nach seinem Regierungsantritt durch seine Frau gelehrt wurde.

      Dieses beiläufig, jedoch nicht ohne Grund. — Wir zogen also durch den

       Wald, den Förster Arend Tofote zu besuchen, und wir stießen zuerst auf den

       Meister Autor.

      Wir kamen über ihn an einem Bache, dem die Begünstigung, durch den Musterforst rieseln zu dürfen, noch nicht von der Oberforstbehörde genommen worden war, und wir faßten ihn eigentlich in einer für das Gefühl der Damen etwas fraglichen Situation ab. Seine Schuhe standen neben ihm, seine Füße standen im Wasser, braun und knochig; Füße, auf denen er länger als ein halbes Jahrhundert herumgelaufen war. Der Tag war heiß, und der Meister Kunemund nahm ein Fußbad.

      »Hol' mich der Teufel!« sagte er, als wir plötzlich durch das Gebüsch rauschten und auf sein Behagen hereinbrachen. Er ist immer ein höflicher Mann gewesen, denn wer hätte es ihm verdenken können, wenn er gerufen hätte: »Hole euch alle insgesamt, — hole euch ohne jegliche Ausnahme der Teufel! —?«

      Er war nicht allein, als wir ihn überraschten. Er hatte auch seine Gesellschaft bei sich: einen schiefbeinigen, sagenhaft aussehenden Dachshund und ein kleines zehnjähriges Mädchen. Der Dachshund saß neben ihm, dicht an seiner Seite. Das kleine Mädchen saß ihm gegenüber am andern Rande des Bachs, von Sonne und Blätterschatten umspielt. Es saß, den Rücken an einen Baum gelehnt, die Arme kindlich über der Brust ineinander gelegt, das Mäulchen gespitzt, wie zu einem Pfiff oder Kuß. Wenn man ihr den letztern gegeben haben würde, und sie hätte das Näschen gerümpft, so würde man vollkommen in seinem Recht gewesen sein, wenn man gerufen hätte:

      »Jetzt nimmt sie es gar noch übel!« —

      Als wir da waren, das heißt als der Alte uns herankommen hörte, sah er sich

       um; und das Kind stand auf. Der Dachs stand auch auf, wenn man bei solchen

       Beinen das so nennen wollte, und bellte wie ein Hund aus den Gebrüdern

       Grimm. Unsererseits sprach der junge Forsteleve von Müller:

      »Guten Tag, Herr Kunemund. Da sind wir, wie ich es dem Herrn Förster versprochen habe. Guten Tag, Fräulein Gertrud, ist der Vater zu Hause und sonst alles wohl?«

      »Guten


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