Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden. Waldemar Bonsels

Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden - Waldemar Bonsels


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allem aus, was dir bisher schwer gewesen ist, weil du allein warst, deshalb bist du jetzt müde.« Da verlor ich unter dem Frühling ihrer Augen meine Beherrschung, aber sie schien kaum darauf zu achten, sondern blieb von wunderbarer Festigkeit, weil sie die Kraft hatte, die Gabe ihres Wesens nicht zu verkleinern.

      Ich sagte nach einer Weile, indem ich das Geld hervorzog und vor ihr auf die Decke des Betts legte:

      »Nun werden gute Tage für dich kommen, du wirst dieses dunkle Zimmer gegen ein helles mit Sonne vertauschen, die Stadt gegen das Land. Du wirst gesund werden.«

      In ihr Gesicht kam ein Zug von Schrecken, ihr Lächeln verschwand, ihre Augen sahen mich forschend an und sie unterbrach mich ängstlich:

      »Woher hast du das Geld? Du hattest kein Geld.«

      Ich erzählte von Anfang bis zu Ende alles. Sie störte meinen Bericht durch kein Wort und keine Frage, und schwieg auch noch, als ich am Ende war und, unsicher mit den Geldscheinen spielend, mein Verlangen verriet, eine Zustimmung von ihr zu hören.

      »Nimm es und bring es zurück«, sagte sie.

      Sie beobachtete die Wirkung ihrer Worte auf mich kaum, sondern schien nun vielmehr durch etwas anderes beschäftigt und bewegt; sie fragte unvermutet:

      »Hast du von dem fremden Herrn diese Summe nur deshalb bekommen, weil du mit ihm gesprochen hast, hast du ihn überwunden, sie dir zu geben, nur durch den Willen, hat sich alles so zugetragen, wie du es mir gesagt hast?«

      »Denke doch jetzt nicht an das Geld, Asja, denke daran, was es für dich tun soll.«

      »Ach, es war so, wie du gesagt hast! — Ich denke nicht an das Geld, ich denke an dich.«

      Sie sah mich schweigend an, dann kam Sorge in ihren Zügen auf und sie bat noch einmal:

      »So nimm es und bring es wieder fort.«

      »Du weist das Geld zurück, Asja?«

      »Alles, was man für Geld haben kann, ist nichts wert. Ja, ich weise das Geld zurück.«

      »Du wirst sterben, Asja.«

      »Wie wir alle«, sagte sie einfach.

      »O Asja, du machst aus der Not, daß du nicht leben sollst, die Tugend, daß du sterben willst.«

      Das Mädchen sah mich an, aber ich spürte wohl, daß sie nicht über den Sinn meiner Worte nachdachte, sondern daß sie nur die Gesinnung prüfte, die hinter ihnen stand. Ich empfand plötzlich, daß es bei ihr immer so gewesen war, und als läge in solcher Prüfung und ihrem Ergebnis der Ursprung der Harmonie und Gemeinschaftlichkeit, die zwischen uns geherrscht hatten, und die nicht zu beugen waren. Ist es dies, dachte ich, und ward abgelenkt, liegt der Grund aller Mißverständnisse und der Verwirrung, die so viele befällt, die sich vor anderen erweisen oder bewähren möchten, darin, daß sie die Gesinnung nicht zu ermessen vermögen, und sich daher an das unredliche und mißbrauchte Gezücht der Worte halten, die der Augenblick eingibt? Asja war nicht in die Befangenheit eines meiner Worte geraten, sondern sie hatte darüber hinausgesehen, wie sie auch über die Erscheinungs- und Tatsachenwelt des Lebens fortzublicken schien — wohin nur? Ich wußte es noch nicht, aber ich fühlte, daß ich ihre Freiheit bedroht hatte.

      »Ich will dir antworten,« sagte sie endlich ohne Aufwand und, wie meistens, mit einem beinahe schmerzlichen Zögern, »ich mache aus keiner Not eine Tugend, aber es ist ganz gleichgültig, ob du es so nennst. Wie könnte ich dir aber so unrecht tun, daß ich dort deine Kräfte zu recht bestehen ließe, wo sie dich verderben werden? Du bist so jung, wie willst du verstehen, wieviel du mir bedeutest? Du kennst dich nicht, und nun sollte ich dieses Geld nehmen und dir dadurch antworten: So bist du. — Ich weiß, daß ich sterben werde, aber ich weiß, daß es so gut ist, und daß ich zu meiner Stunde sterbe und mit Willen.«

      »Liebst du das Leben nicht, Asja?«

      »Oh, über alles,« sagte sie und ihre Augen glänzten, »aber ich denke anders darüber als du. Laß uns doch nicht von diesen Dingen sprechen. Wenn du bei mir bleibst, wirst du bald alles wissen, auch wenn ich schweige.«

      »Wie meinst du das?«

      »Was ich nicht bin, das will ich auch nicht sagen, was ich aber bin, wirst du fühlen, ohne daß ich es sage, und nachher wird dir sein, als hätte ich zu dir gesprochen. Ach, sei nicht besorgt, gib mir deine Hand und öffne dein Herz, laß mich Einkehr bei dir halten, dann wirst du bald empfinden, wie gut und groß du bist.«

      »O Asja,« sagte ich und erbebte tief, »nun weiß ich, wie sehr du das Leben liebst, Asja.«

      »Nicht wahr?« sagte sie glücklich, »und ich habe dir nichts erklärt.«

      Sie lächelte entschuldigend, da sie diese Zustimmung ausgesprochen hatte, als sei es etwas Geringes, die Fröhlichkeit ihres Lächelns war von einer Bescheidung, daß ich sie empfand, als stünde ich über und über in Licht. Welch ein Wunder geschieht mir, dachte ich, dies alles ist ein heller Traum, nicht Fleisch und Blut verwaltet dieses Erlebnis, nicht die alten Dinge der Welt kommen darin vor. Mir war, als wendete ich mich fort, zu Anderen, zu Fremden, und riefe ihnen zu: Wie arm waren wir doch bisher, ihr und ich!

      Aber wieder erwachte der Wille in mir, alles zu tun, was Menschen zu tun vermögen, um dies Leben dem Leben zu erhalten, das wir alle vollbringen. Ich empfand, daß ich irrte, aber ich wußte nicht worin. Welchen Opfers wäre ich nicht in dieser Stunde fähig gewesen! So sprach ich denn aufs neue und bat von Herzen darum, sie möchte ihr Leben zu erhalten suchen. Sie antwortete mir, sie wolle es nicht so, wie ich es dächte.

      »Sieh,« sagte sie, »was ist denn Leben und was nennst du so? Ist das kleine Maß deines Daseins vom Aufgang bis zum Niedergang das Leben? Je mehr wir solch bemessene Tage, und unseren vergänglichen Wohlstand darin, so nennen, um so mehr verleugnen wir das Leben. Das ist sicherlich wahr und du wirst es verstehen lernen.«

      »Ich verstehe diesen Gedanken, Asja, aber begreifst du nicht, daß meine Liebe sich wünscht, daß du bei mir bleibst? Ich habe dich erst heute gefunden.«

      »Sei ruhig, ich verspreche dir, immer bei dir zu bleiben. Aber hindere mich nicht, laß mir mein Wesen. Ich bin nur ein Weg. Was über mich hin zu dir kommt, ist viel mehr als ich. Wurde dein Herz nicht eben noch befriedigt, obgleich ich nichts getan habe? Sind nicht meine Augen und mein Angesicht voll Licht? Woher sollte es kommen, wenn ich dem Licht nicht zugewandt wäre? Weshalb ereiferst du dich? Glaube mir doch, damit du fröhlich sein kannst.«

      »Du willst immer bei mir bleiben?« fragte ich, als habe ich nur diesen Satz gehört. Eine schmerzhafte, verräterische Neugier bewegte mich, ich zitterte vor Begierde und Widerstand und begriff meinen Wunsch nicht, das Mädchen möchte mir eine Antwort geben, die mir ein Recht zur spöttischen Abkehr gab. Aber sie antwortete mir nicht.

      So schwiegen wir lange. Endlich sagte ich:

      »Ich will das Geld nun fortbringen«, und erhob mich, um zu gehen.

      In diesem Augenblick haßte ich das Angesicht, den Menschen, der vor mir lag, der, ohne mich anzuschauen, mich doch zu sehen schien, der sich mit seinem Schweigen von mir abgewandt hatte, und der mich doch umfing, und dessen Unterlassen mich leidenschaftlicher beriet, als es der kühnste Eifer vermocht hätte. Aber mein Trotz war mächtiger als alles andere in mir, und ich sagte:

      »Nein, Asja!«

      Mir war, als habe ich alles mit diesem Nein gesagt. Es klang rauh und böse, wie eine ewige Absage, in dem stillen, einfachen Raum, und erschütterte mich so mächtig, als hätte ich den schwachen Körper vor mir durch einen Schlag verwundet. Da sah das Mädchen zu mir auf, voll Hilflosigkeit und Schmerz, nahm meine Hand und küßte sie. Es war kein Kuß der Andacht oder Demut, sondern ein kindlicher Kuß, eifrig und innig, ein herzliches Tun.

      Das Alter wünscht sich noch froh zu sein, aber die Jugend liebt es, für ihr Glück zu leiden. Der in meiner Natur ruhende Widerspruch gegen die Freundin vertiefte sich oft bis zum Schmerz, denn der Jugend ist das Bedürfnis nach dem Abbild und Widerschein der vollkommenen Harmonie fremd, sie ist im Eigenen


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