Original Gangstas. Ben Westhoff
gut in ihrem Kittel aussah. Später begann er, sich selbst D.O.C. zu nennen. Die Punkte ergänzte er, um eine Assoziation zu N.W.A zu wecken. Fürs Erste schloss er sich aber Dr. Rock und einem gewissen Fresh K an, um gemeinsam als Fila Fresh Crew in Aktion zu treten. Dre, der Tracks mit ihnen aufnahm, von denen welche auf N.W.A and the Posse landeten, war hingerissen. „Er sagte: ‚Nigga, du bist echt der Shit‘“, berichtete D.O.C. „‚Wenn du an die Westcoast kommst, dann garantiere ich, dass du reich wirst.‘“ D.O.C. zog schon bald nach Compton um und wohnte fortan in einem Haus hinter der Centennial High School, das einem Bekannten aus Dallas gehörte. Bald darauf kratzte Dre genug Geld zusammen, um aus Sir Jinxs Haus auszuziehen, und bezog ein Apartment mit zwei Schlafzimmern in Paramount, östlich von Compton. DJ Yella zog ebenso ein. Die beiden ließen von nun an D.O.C. auf dem Fußboden ihres leerstehenden Wohnzimmers schlafen. Trotz der spartanischen Umstände – D.O.C. hatte gerade einmal einen Schlafsack – freundeten sich die Jungs immer besser an. „Dass wir beide gerne tranken, war meine erste echte Gemeinsamkeit mit Dre“, verriet D.O.C. Am Morgen überwanden sie den Kater und fuhren in einem arg mitgenommenen Toyota Corolla, in dem Public Enemy in voller Lautstärke dröhnte, ins Studio. Audio Achievements in Torrance teilte sich ein Gebäude mit einem mexikanischen Restaurant und gehörte einem freundlichen, langhaarigen Studiotechniker namens Donovan „The Dirt Biker“ Smith.
Im Studio ging D.O.C. im Handumdrehen in der Ruthless-Crew auf und wurde ein inoffizielles Mitglied von N.W.A Seine erste Aufgabe bestand darin, Texte zu Eazys Solo-Song „We Want Eazy“ zu verfassen. Es war tatsächlich D.O.C. (dem MC Ren ein wenig half), der Eazy E zu jenem zotigen Gangsta stylte, den man heute kennt. Auch zu Straight Outta Compton trug er viel bei.
Da war es schon ironisch, dass D.O.C., der in Texas aufgewachsen war, eigentlich keine Ahnung von der Street Culture in L.A. hatte. Allerdings nutzte er seine Naivität zu seinem Vorteil. „Als ich in L.A. eintraf, war Hip-Hop etwas, das nicht nur das weiße Amerika, sondern auch das mittelständische schwarze Amerika verängstigte. Die hatten alle Angst davor, hielten es für Nigger-Shit“, sagte D.O.C. Außerdem fügte er noch hinzu, dass er Eazy-E eine ähnlich „komische“ Rolle auf den Leib schneiderte, wie sie Flava Flav bei Public Enemy bekleidete, um so ernste Botschaften mithilfe von Humor zu transportieren. Eazy-E bediente sich eines altgedienten Archetyps eines heroischen Dealers, der umgeben von Statussymbolen und Frauen seine Gegner bezwingt, aber dabei nie seine Herkunft vergisst. Die Melodien luden zum Mitsummen ein und sein Unterton war oft ironisch. So rappte er bei „No More ?’s“:
Walked in, said: ‚This is a robbery‘
Didn’t need the money, it’s just a hobby
Fill the bag, homeboy, don’t lag
I want money, beer, and a pack of zig-zags.
N.W.A waren nicht nur die „gefährlichste Gruppe der Welt“, wie sie sich selbst nannten, sondern auch Gangstas, die sich zu amüsieren wussten. Mit der Hilfe von D.O.C. und seinem Songwriting wurden sie zu den bösen Jungs, die man einfach anfeuern musste.
Mountain View Estates, ein Viertel voller Multi-Millionen-Dollar-Villen in der noblen Vorstadt Calabasas, befindet sich im Santa-Monica-Nationalpark. Von der Innenstadt von L.A. aus fährt man 40 Minuten gen Westen – wenn kein Verkehr herrscht, was aber nie der Fall ist. Nur mit einer Einladung wird man in diese „gated community“ eingelassen. Sobald man vom Wachpersonal durchgewunken wurde, erwartet einen ein monumentaler Springbrunnen, der feinen Sprühregen in die Luft ausstößt. Außer einer sanften Brise herrscht hier Stille. Gelegentlich rollt ein Nobelschlitten aus einer Einfahrt. An einem freundlichen Nachmittag im Oktober 2014 genießen hier die Bewohner all die suburbane Pracht, während ein paar lateinamerikanische Arbeiter die Häuser und Grundstücke in Schuss halten. Ziegeldächer, schmiedeeiserne Skulpturen und auch bei Dürre makellos getrimmte Rasenflächen soweit das Auge reicht.
Mit seiner pompösen wie seelenlosen Architektur ist Calabasas ein Anzugspunkt für Reiche und Berühmte, die gerne zeigen, was sie haben. Mountain View Estates liegt genau westlich von Hidden Hills, das sich in den letzten Jahren einen Namen dank besonders prominenter Anwohner wie Kanye West und Kim Kardashian, Jennifer Lopez oder Drake gemacht hat.
Vier Monate lang hatte ich Jerry Heller erfolglos wegen eines Interviews genervt. Als ich ihm sage, dass ich gerne das Haus sehen würde, in dem Eazy-E gelebt hat, zwei Häuser von seinem entfernt, kündigt er zu meiner Überraschung dem Security-Mann mein Kommen an. Ich schieße ein paar Fotos von Eazys alter Bude: Großer Pool, atemraubender Ausblick, eine skurrile Statue von zwei Jungs auf dem Rasen, von denen einer eine Geige hält. Anschließend empfängt mich Heller vor seiner Garage für drei Autos, in der ein Jaguar und ein VW parken. Hellers 450 Quadratmeter großes, 1990 erbautes Haus hat ein Dach im spanischen Stil, ein großes Aussichtsfenster an der Vorderseite sowie einen schmuckvollen Balkon.
„Wir können uns unterhalten, aber kein Interview“, informierte mich der ehemalige Manager von N.W.A in einer E-Mail. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll, folge ihm aber, halb beklommen, halb neugierig, in sein Haus. So ziemlich jeder hat eine Meinung zu Jerry Heller. Er war die Zielscheibe von mindestens ebenso vielen Diss-Tracks wie Tipper Gore – und ich bin neugierig darauf, ihn privat kennenzulernen. Mittlerweile in seinem achten Lebensjahrzehnt angekommen, sieht man ihm sowohl sein Alter als auch die Nachwirkungen einer von Konflikten geprägten Karriere an: Sein Gesicht hängt herunter, seine weißen Haare sind ausgedünnt und sein Gang wirkt zaghaft. In seinen weißen Tennisschuhen und seinem blauen Poloshirt nimmt er einen Anruf entgegen, während ich die Einrichtung seines Wohnzimmers begutachte. Auf seinem Tisch stapeln sich Artikel aus Magazinen über ihn und N.W.A und alte Alben der World Class Wreckin’ Cru. Auch eine frühe Platte von Eazy-E und Ron-De-Vu mit dem Titel „L.A. Is The Place“ liegt dort. Die moderne Kunst an den Wänden wirkt kostspielig und über dem Kamin hängt ein Bild von ihm und seiner blonden, vollbusigen und viel jüngeren Exfrau Gayle Steiner. Die beiden verband eine Leidenschaft für Rettungshunde.
Irgendwann beendet er sein Telefonat. Wir unterhalten uns ein paar Minuten lang, bevor er erneut einen Anruf erhält. Es hat irgendetwas mit dem Filmemacher Jim Sheridan zu tun, von dem er sagt, dass er dafür vorgesehen sei, seine Autobiografie Ruthless zu verfilmen. Schließlich schenkt er mir aber doch seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Darf ich mein Aufnahmegerät anstellen?“, frage ich ihn irgendwann. Seine Antwort darauf ist eindeutig: „Du kannst einen Scheißdreck haben!“ Er erklärt mir, dass die ständig wiederholten TV-Interviews, die er vor Jahren gegeben hat, ihm keinen Pfifferling eingebracht hätten. Außerdem hätten andere Autoren vor mir ihn schlecht aussehen lassen. (Er verklagte – erfolglos – den Autor und den Verlag des 1998 erschienenen Buches Have Gun Will Travel, das von Death Row Records handelt, weil er sich unfair dargestellt fühlte. Darüber hinaus läuft zur Zeit ein von ihm angestrengtes Verfahren gegen die Macher des Biopics Straight Outta Compton aus dem Jahr 2015.) Heller gibt sich abwechselnd ruhig und aufgebracht. Einerseits behauptet er, dass es ihm egal sei, was die Leute über ihn sagten, andererseits streitet er vehement verschiedene Anschuldigungen ab. Irgendwann gelingt es mir, ihm ein paar Zitate zum Album sowie tonnenweise spannende Hintergrundinformationen abzuringen. Als ich aufbreche, behalte ich ihn sowohl als abweisend als auch als ziemlich spendabel in Erinnerung. Als ein Jahr später meine Großmutter verstirbt, drückt er mir via Facebook sein Beileid aus.
Und so ist Heller auch. Mehr als an jeder anderen Person in diesem Buch scheiden sich an ihm die Geister. Viele Insider rund um Ruthless Records bestätigen seine wichtige Rolle bei der Entwicklung der involvierten Künstler. Es gibt einen Grund, sagen sie, warum N.W.A zu einem internationalen Phänomen aufstiegen, wohingegen anderen Gangsta-Rappern dieser Ära der große Wurf verwehrt blieb. Andere wiederum spucken förmlich auf den Boden, wenn sein Name fällt. DJ Speed, der Turntable-Künstler von N.W.A, nannte ihn mir gegenüber einen „Gauner“ und im Gespräch mit HipHopDX eine „Schlange“. (Heller revanchierte sich, indem er Speed als „Laufbursche, der Erics Wäsche machte“, bezeichnete.) Als Heller 2013 in der Murder Master Music Show, einem Podcast, zu Gast war, wurde er von einem Anrufer als „Zinswucherer“ beschimpft. Als er ein Jahr später