Charles Manson - Meine letzten Worte. Michal Welles

Charles Manson - Meine letzten Worte - Michal Welles


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Klienten zählen neben der Polizei auch Serienmörder, Anwälte und Eltern von Opfern. Im Januar 2011 erschien im Verlag Bastei Lübbe sein Buch „Mordmethoden: Neue spektakuläre Kriminalfälle – erzählt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt“.

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      Ende Juli und Anfang August 1969 ereigneten sich in Los Angeles acht der blutigsten Morde, die je in den USA verübt wurden.

      Am 31. Juli 1969 wurde die Kriminalpolizei in die Old Topanga Road 946 gerufen. Dort fand sie einen Toten, der mehrere Stichverletzungen aufwies; die Tat war offenbar schon einige Tage her. In unmittelbarer Nähe der Leiche hatte jemand mit dem Blut des Opfers „political piggy“ („politisches Schweinchen“) an die Wand des Schlafzimmers geschrieben. Zudem war die Wand überall mit blutigen Spuren besudelt, die wie Handabdrücke aussahen. Bei dem Opfer handelte es sich um den 32-jährigen Gary Hinman, einen Soziologiestudenten, der sich nebenbei mit Musikunterricht etwas Geld verdiente. Wie später bekannt wurde, besserte er sein Einkommen zusätzlich auf, indem er Meskalin herstellte und verkaufte.

      Am Samstag, den 9. August, nahm die Polizei einen weiteren Tatort in Augenschein, und hier bot sich den Beamten ein so grauenhafter Anblick, dass ihnen beinahe übel wurde; es kostete sie größte Überwindung, sich in dem Haus am Cielo Drive genauer umzusehen. Fünf junge Leute waren wie in einem Mordrausch mit zahllosen Messerstichen getötet worden. Es handelte sich um die bekannte Schauspielerin Sharon Tate Polanski sowie ihre Freunde Abigail Folger, Voytek Frykowski, Jay Sebring und Steven Parent. Wie im Hinman-Fall fanden sich auch hier überall blutige Parolen an den Wänden. An der Tür des Hauses prangte das Wort „PIG“ („SCHWEIN“); wie sich später herausstellte, war es mit dem Blut von Sharon Tate geschrieben worden. In den ersten Presseberichten über das entsetzliche Massaker beschrieben einige Journalisten die Taten als „Ritualmorde“, andere folgerten, es habe zuvor eine wilde Sexparty gegeben, und viele kamen zu dem Schluss, dass es sich nur um einen Racheakt nach einem verpatzten Drogendeal handeln könnte. Dabei tappte die Polizei hinsichtlich eines möglichen Motivs für die Morde noch völlig im Dunkeln und suchte immer noch nach Hinweisen.

      Knapp 24 Stunden, nachdem die Polizei in den Cielo Drive gerufen worden war, gab es am Sonntag, den 10. August, einen ähnlich grausigen Leichenfund im Stadtteil Los Feliz. Im Waverly Drive 3301 war der Hausbesitzer, der 44-jährige Leno LaBianca, mit 26 Stichen getötet worden, die teilweise von einer Fleischgabel stammten. Auf seine 38-jährige Ehefrau Rosemary hatte man 41 Mal eingestochen. Wie schon bei den zwei anderen Fällen waren mit dem Blut der Opfer Botschaften an die Wände geschmiert worden: „DEATH TO PIGS“ („TOD DEN SCHWEINEN“) und „RISE“ („ERHEBT EUCH“) stand an einer Wand, die Kühlschranktür zierte das falsch geschriebene „HEALTER SKELTER“. Vincent Bugliosi, der leitende Bezirksstaatsanwalt, kam zu dem Schluss, dass der Schlüssel zum Motiv der Morde in diesen Worten zu suchen war. Doch zunächst, da noch keine Lösung der Fälle in Sicht war, versetzten die so genannten „Tate-LaBianca-Morde“ das ganze Land in Trauer und Entsetzen.

      Zwar war kurz nach dem ersten Mord an Gary Hinman ein möglicher Täter festgenommen worden, Robert Beausoleil, aber man brachte ihn nicht mit der gesamten Mordserie in Verbindung. Eine Spur fand sich erst Monate später, als eine zweite Verdächtige im Hinman-Fall verhaftet wurde: Susan Denise Atkins packte willig aus. Sie erzählte alles, was geschehen war, und nannte alle Beteiligten. Immer wieder kam sie dabei auf Charles Manson zurück, den sie als einen mächtigen Guru darstellte, der seine Anhänger dazu aufgefordert hatte, für ihn zu töten. Und sie beschrieb auch die Morde an sich, die sie zusammen mit anderen Manson-Anhängern begangen hatte, um seine Anerkennung zu gewinnen. Anfang Dezember 1969 gab die Polizei schließlich bei einer Pressekonferenz bekannt, der Tate-LaBianca-Fall sei gelöst.

      Manson wurde angeklagt, seine Anhänger durch Gehirnwäsche zu den Morden angestiftet zu haben. Staatsanwalt Bugliosi erklärte, Manson habe die Absicht gehegt, einen Aufstand der Schwarzen gegen die Weißen auszulösen, den so genannten „Helter Skelter“; der Begriff war vom Titel eines Beatles-Songs abgeleitet worden. Bugliosi zufolge hatte Manson seinen Leuten befohlen, die schrecklichen Morde zu begehen und falsche Fährten zu legen, damit die Polizei Afroamerikaner für die Täter hielt; diese Ungerechtigkeit, so hoffte Manson, würde den von ihm vorhergesagten Aufstand auslösen. Außerdem konnte man auf diese Weise gleichzeitig das Family-Mitglied Bobby Beausoleil entlasten, da die Morde weitergingen, während er wegen des Hinman-Mords in Untersuchungshaft saß.

      Der Prozess gegen die Manson Family zog sich über anderthalb Jahre hin. Charles Manson, Susan Atkins, Tex Watson, Leslie Van Houten und Patricia Krenwinkel wurden schließlich für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Während der Ermittlungen kam ein weiterer Mord ans Licht, den die Family-Mitglieder Bruce Davis und Steve Grogan an dem Rancharbeiter Shorty Shea begangen hatten, und auch sie wurden zum Tode verurteilt. Bobby Beausoleil erhielt das Todesurteil für den Mord an Gary Hinman. 1974 schaffte der US-Bundesstaat Kalifornien jedoch die Todesstrafe ab, und die Urteile wurden daraufhin in lebenslängliche Freiheitsstrafen umgewandelt, bei denen eine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung ausgeschlossen war. Während der ersten acht Jahre konnten die Verurteilten keine Gnadengesuche einreichen. Bis zum heutigen Tag wurde allen Mitgliedern der Manson Family mit Ausnahme von Steve Grogan die Begnadigung verweigert.

      Tatsächlich war Charles Manson einmal wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen worden, als er 1967 wegen kleinerer Delikte im Gefängnis Terminal Island einsaß. Damals hatte er sogar darum gebeten, weiter hinter Gittern bleiben zu dürfen. Während seiner Haftstrafe hatte er sich im Gefängnis seinen Platz erkämpft, und er schrieb dort und machte Musik. Unfreiwillig wieder auf freiem Fuß fuhr er per Anhalter bis nach Berkeley, wo sich ihm nach Jahren der Haft eine völlig neue Welt offenbarte. Die Hippies hatten Kalifornien erobert.

      Überall in der Stadt traf er auf junge Leute, die lieben und geliebt werden wollten, und die nach einer persönlichen Identität und dem Sinn des Lebens suchten. Viele hatten sich von ihrem Zuhause und dem Wertesystem ihrer Eltern abgewandt und waren nun bestrebt, etwas Eigenes aufzubauen. Der wohnungslose Manson geriet als Gitarrist, Sänger und Songwriter mitten in diese Szene hinein. Er spielte an Straßenecken, in kleinen Gassen und manchmal auch in Wohnungen oder Häusern, und konnte dabei viele Kontakte knüpfen. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er nicht als Ausgestoßener betrachtet. Im Gegenteil, seine Lebensgeschichte mit ihren Brüchen, den Erfahrungen auf der Straße und im Knast verliehen ihm die Aura des Besonderen. Lynette Fromme und Mary Brunner, die er als Straßenmusiker kennen lernte, wurden seine ersten Anhänger.

      „Sie brauchten mich, damit sie sich in sich selbst zu Hause fühlen konnten. So übel hatte eure Gesellschaft ihnen mitgespielt. Sie waren so verzweifelt, dass für sie alles, was ich sagte, eine enorme Bedeutung bekam. In meiner Welt hatte ich gelernt, dass man nur überlebte, wenn man andere genau beobachtete und sie so sein ließ, wie sie waren. Für sie bedeutete genau das einen großen Schritt hin zu einem völlig neuen Leben. Für mich bestand kein Unterschied zwischen meinem alten Leben und dieser neuen Welt, die alle so feierten.“ So beschrieb Manson selbst die Anfangszeit der Family mir gegenüber – heute längst zu alt, um einen Unterschied zu erkennen, aber auch gar nicht mehr daran interessiert.

      Es dauerte nicht lange, bis weitere junge Leute zu der Gruppe stießen. Sie waren alle bestrebt, im Musikgeschäft Karriere zu machen und ihren Anführer zu beeindrucken. Gerade letzteres gab ihrem Leben einen Sinn. Als jedoch das Geld knapp wurde und immer noch kein Schallplattenvertrag in Sicht war, machten sich Wut und Enttäuschung breit. Seit meiner ersten Begegnung mit Charles Manson vor 20 Jahren hat er immer wieder betont, dass er die blutigen Morde nie beabsichtigte oder gewollt hat. Er sah mich mit seinen braunen Augen an und wiederholte voller Überzeugung stets aufs Neue:

      „Was mich ausmacht, ist meine Wahrheit und mein Talent, das Wahre und Echte zu erkennen. Und das bringt andere Menschen dazu, mir zu vertrauen und meine Freundschaft zu suchen.“

      Allein auf sich gestellt hätte niemand aus der Manson Family diese Morde begangen, und auch Manson selbst hätte sie nicht verübt. Allein das unglückliche Zusammentreffen bestimmter Personen hätte eine gewalttätige und schließlich auch tödliche Entwicklung


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