Der ultimative Jimi Hendrix Guide. Gary J. Jucha

Der ultimative Jimi Hendrix Guide - Gary J. Jucha


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Saturday Night Live auf und handelte sich aufgrund seiner provokanten Aktion ein zwölfjähriges Auftrittsverbot ein.

      Die Hendrix-Performance war sowohl kulturell als auch musikalisch signifikant. Die Band führte „Voodoo Child (Slight Return)“ auf, einen ihrer härtesten und lautesten Rocksongs, der sogar einem Ignoranten, der den Musiker eigentlich nicht mag, gefallen wird. Obwohl Hendrix den abschließenden Track von Electric Ladyland spielen durfte, der noch nicht einmal als Single veröffentlicht worden war, änderte das nichts an seiner Ablehnung gegenüber der Idee, den von Lulu als „Song, der sie groß rausgebracht hat“ angesagten Titel „Hey Joe“ zuerst spielen zu müssen. 1969 hatte sich bei der Experience hinsichtlich des zuvor mit Tim Rose assoziierten Stücks eine gewisse Müdigkeit eingestellt, und sie wollten ihn nicht mehr darbieten.

      Hendrix beginnt mit einem extremen Einsatz des Vibrato-Hebels, wodurch sich seine Strat verstimmt. Nach dem Neustimmen des Instruments grinst er seine Bandkollegen an, beginnt mutig mit dem Song, singt ein oder zwei Strophen (dabei zitiert er mit der Gitarre „I Feel Fine“ der Beatles), spielt ein geschmackvolles Solo und signalisiert dann Mitchell und Redding, aufzuhören. Dem Studiopublikum sagt er dann, „dass wir jetzt mit diesem Mist aufhören und den Cream einen Song widmen, egal in welcher Gruppe sie nun spielen“. (Cream hatten sich kurz zuvor aufgelöst.) Als Nächstes spielt die Experience eine beseelte, wenn auch gekürzte Instrumental-Version von „Sunshine Of Your Love“. Das Stück wurde gekürzt, da die Experience mit einem dritten Song den ihnen zugestandenen Zeitrahmen gesprengt hatten. Deshalb musste Lulu, eine Sängerin, die man in den USA wegen des Single-Hits „To Sir With Love“ kennt, auf ihren die Sendung beschließenden Gesangsbeitrag verzichten.

      Woodstock

      „Lincoln in Gettysburg. Hendrix in Woodstock. Pujols in Arlington. Ereignisse eines Lebens.“ So beschrieb der Sportkolumnist Tom Verducci Albert Pujols’ drei Home-Runs im dritten Spiel der 2011 World Series zwischen den St. Louis Cardinals und den Texas Rangers. Hendrix’ Woodstock-Auftritt war so legendär, dass Reporter wissen, dass sogar Sportfans davon Kenntnis genommen haben.

      Allerdings kann man das Konzert nicht als legendär bezeichnen. Es wurde in Michael Wadleighs Film aus dem Jahr 1970 nur in Auszügen gezeigt, darunter Hendrix’ historische Interpretation der amerikanischen Nationalhymne, dem „Star Spangled Banner“. Und allein darum sollte man den Film sehen, aber das ist sicherlich nicht der einzige Grund.

      Brillant geschnitten von Martin Scorsese, Thelma Schoonmaker (sie hat jeden Scorsese-Streifen seit Wie ein wilder Stier bearbeitet) und anderen, fängt der Film „eine halbe Million Kids ein, die drei Tage lang ihren Spaß und ihre Musik genießen“ (wie der Farmer Max Yasgur das – zu dem Zeitpunkt – kostenlose Festival auf seinem Land beschreibt). Crosby, Stills and Nashs „Long Time Gone“ und „Wooden Ships“ sind zwischen Canned Heats „Going Up The Country“ zu hören, während das Video-Material die Errichtung der Bühne und die Ankunft des Publikums zeigt. Und dann beginnt der ganze Spaß.

      Es findet sich weder eine schlechte oder langweilige Performance, aber die Highlights sind Santanas „Soul Sacrifice“, Ten Years Afters „I’m Going Home“ und Sly and the Family Stones Medley aus „Dance To The Music“, „Music Lover“ und „I Want To Take You Higher“. Und dann ist Hendrix beim Spiel von „Star Spangled Banner“ und „Purple Haze“ zu sehen. Während die Menge ihre Habseligkeiten zusammenpackt, liefert Hendrix’ Instrumental „Villanova Junction“ einen bewegenden Hintergrund. Obwohl dasselbe Grundmaterial auch bei Jimi Hendrix: Live At Woodstock genutzt wird, muss man Wadleighs sorgsam ausgearbeiteten Schnitt sehen, bei dem das Bild von perfekt eingefangenen Einzelaufnahmen von Hendrix’ Kopf hin zu den dramatisch wirkenden Bildern seiner spielenden Hände changiert. Allerdings sollte der aufgeblähte Director’s Cut vermieden werden, der den Originalfilm ruiniert und keinen Millimeter sehenswerten Materials berücksichtigt.

      Jimi Hendrix: Live At Woodstock

      Die Veröffentlichung des Hendrix-Estate ist nicht so schlecht wie man eigentlich befürchtet hätte, und sogar sehenswert, falls man nicht zu viel erwartet. Es ist das komplette Set, das die Formation Gypsy Sun and Rainbows an dem Montag im August spielte, abgesehen vom Impressions-Medley, dem Song „Mastermind“, gesungen vom Rhythmus-Gitarristen Larry Lee, und Hendrix’ „Hear My Train A Comin’“. (Die letztgenannte Blues-Nummer wird im Rahmen von „A Second Look“ gezeigt, einer zweiten Disc des (beinahe) kompletten Gigs, bestehend aus Schwarz-Weiß-Videos und alternativen Kamerapositionen in Farbe.)

      Zudem beschreiben die Rainbows und andere Beteiligte die Proben, das Konzert und die Nachwirkungen. Das unbestrittene Highlight bleibt jedoch der Auftritt. Obwohl sich einige weniger bekannte Titel im Set finden, wurden 9 der 14 Songs schon zuvor bei Experience-Konzerten gespielt. Gegen Ende der Aufführung intensiviert sich der Energiepegel mit „Voodoo Child (Slight Return)“, „The Star Spangled Banner“ (nicht auf Hendrix’ ursprünglicher Programmliste zu finden) und „Purple Haze“, doch schon davor gab es einige musikalische Höhepunkte. Ja, „Red House“ musste verkürzt werden, weil Hendrix eine Gitarrensaite riss, doch gemessen am erhalten gebliebenen Material stand das Publikum speziell auf „Jam Back At The House“ (aka „Beginnings“) und „Fire“.

      Das unschätzbare Booklet präsentiert John McDermotts Informationen bezüglich Michael Wadleighs Aufnahme des Festivals wie auch Hintergründe zum Schwarz-Weiß-Mitschnitt von Albert Goldman, einem Studenten des renommierten Bard College, der als Hauptfach Theaterwissenschaften belegt hatte. Darüber hinaus findet sich weiteres Bonus-Material: Eine zwei Wochen nach dem Festival aufgenommene Jimi-Hendrix-Pressekonferenz, Eddie Kramers Erinnerungen an den Mitschnitt des Festivals (er nahm nicht nur Hendrix auf, sondern alle Interpreten) und Berichte von Billy Cox und Larry Lee, die von ihrer Begegnung mit dem Gitarren-Genie erzählen und von den Ochsentouren.

      Jimi Hendrix: The Dick Cavett Show

      Jimi Hendrix trat nur drei Mal im amerikanischen Fernsehen auf. Der Besuch in Johnny Carsons The Tonight Show am 10. Juli 1969 scheint der Nachwelt nicht erhalten geblieben zu sein, obwohl noch eine Audio-Aufnahme existiert. Der schwarze Comedian Flip Wilson sprang damals als Gastgeber ein, da Carson entweder krank war oder nicht als Moderator einer Show mit einem kontroversen schwarzen Rockmusiker fungieren wollte. Der Auftritt scheint Berichten zufolge ein Desaster gewesen zu sein, da Hendrix nervös Kaugummi kaute und Wilson Stereotype über schwarze Mitbürger für Carsons weißes Publikum vom Stapel ließ. Während einer Performance des Brian Jones – dem kurz zuvor ertrunkenen Gitarristen der Stones – gewidmeten „Lover Man“ gibt Hendrix’ Verstärker zu allem Überfluss auch noch den Geist auf. Der Auftritt ist von besonderer Bedeutung, da es sich hier um Billy Cox’ erste Performance als Bassist von Hendrix handelt.

      Wenige Tage zuvor, am 7. Juli 1969, absolvierte Hendrix den ersten von zwei Auftritten in The Dick Cavett Show. (Der ehemalige Comedian war zu dem Zeitpunkt noch kein Rivale Carsons im Kampf um den Thron der Late-Night-Shows, und so wurde Hendrix’ Auftritt trotz Sommerzeit während der Hauptsendezeit gezeigt.) Er trat zudem am 9. September 1969 auf. Beide Aufführungen sind auf der DVD Jimi Hendrix: The Dick Cavett Show zu sehen.

      Die DVD ist kein unbedingtes Muss, doch wenn man sie im gebrauchten Zustand findet, sollte der Fan auf jeden Fall zugreifen. Die Doku und Hendrix’ handgeschriebene Anweisungen für einen Cavett-Assistenten sind sicherlich nicht essenziell, doch es macht Spaß, den Musiker in einer Runde mit anderen Gästen zu beobachten wie den Broadway-Stars Gwen Verdon und Robert Downey. Für einen Zuschauer, der sich noch an Dr. med. Marcus Welby erinnern kann, ist es zum Brüllen, wenn man dem breit und wohlwollend lächelnden jungen Schauspieler Robert Young zusieht, während Hendrix’ seine wenige Tage zuvor gespielte und kontrovers aufgenommene Woodstock-Fassung von „The Star Spangled Banner“ verteidigt. Hendrix zeigt bei der Show auch seine Art des selbstironischen Humors. (Als Cavett ihn als den besten Gitarristen der Welt bezeichnet, erwidert Hendrix, er sei „der beste Gitarrist auf diesem Stuhl“.)

      Der eigentliche Grund, sich die DVD anzusehen, liegt allerdings bei den drei von Hendrix performten Stücken.

      1. „Hear My Train A Comin’“ – Begleitet von der Dick Cavett Show Band wirkt Hendrix’ zweitbeste Blues-Nummer durch die eher positiv anmutende Grundstimmung


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