Der fünfte Beatle erzählt - Die Autobiografie. Brian Epstein
stolz war, und dann zog er als endgültigen Beweis meiner Unwürdigkeit den Entwurf eines Theaterprogramms hervor, das ich im Mathematikunterricht gezeichnet hatte. Es zeigte eine Reihe von Tänzerinnen und war für einen Zehnjährigen eine recht annehmbare künstlerische Leistung, auch wenn sie nichts mit Mathematik zu tun hatte.
Als ich erwischt worden war, hatte der Mathematiklehrer meine Kreativität und Phantasie meiner Meinung nach ziemlich wenig zu würdigen gewusst. „Was ist denn das für ein armseliger Quatsch, Epstein?“, donnerte er, und ich antwortete: „Ein Programmentwurf, Sir.“
„Quatsch, grobe Schmiererei und Mädchen“, schnaubte er und warf mich aus dem Klassenraum. Es war der erste von vielen Ausflügen auf den Korridor, und sie ergaben eine Reise, an deren Ende ich auf dem heimischen Sofa ankam, wo ich meinem Vater gegenübersaß, der mit Fassungslosigkeit und schwindender Geduld erklärte: „Ich weiß einfach nicht, was wir mit dir anfangen sollen.“
Das wusste ich auch nicht, und es dauerte weitere fünfzehn Jahre, bis ich Anlass zu der Hoffnung gab, dass aus mir doch noch etwas werden könnte. Wahrscheinlich war ich einer der größten Spätentwickler aller Zeiten, denn erst mit Mitte zwanzig zeichnete sich so etwas wie eine Struktur oder ein Ziel in meinem Leben ab. Hätte Keats so lange gewartet wie ich, hätte er vor seinem Tod nicht mehr als eine Handvoll Gedichte zustande gebracht.
Meine Eltern waren während meiner Schulzeit oft sehr verzweifelt, und das kann ich ihnen nicht verdenken, denn ich war stets einer dieser Jungen, die nirgendwo so richtig hineinpassen. Die herumgeschubst, schlecht gemacht und gequält werden und die weder bei ihren Mitschülern noch bei den Lehrern beliebt sind.
Mit zehn Jahren war ich schon auf drei Schulen gewesen und hatte mich auf keiner davon wohl gefühlt.
Ich bin der älteste Sohn, eine Position, der in einer jüdischen Familie eine heilige Bedeutung zukommt, und dementsprechend hoch waren die Erwartungen, die auf mir lasteten. Mein Vater Harry, der Sohn eines polnischen Einwanderers, hätte sich natürlich gewünscht, dass ich mich als würdiger Erbe des Familienunternehmens erweisen würde, aber leider konnte er dafür kaum Anzeichen entdecken, abgesehen von meiner Loyalität gegenüber der Familie, die dank der Unerschütterlichkeit meiner Eltern heute noch Bestand hat.
Ich kam am 19. September 1934 in einem Entbindungsheim in der Rodney Street in Liverpool zur Welt – einer breiten und recht großartigen Straße, flankiert von hohen, alten Häusern, an deren Eingängen Messingschilder gelehrte Namen verkünden. Einen besseren Start ins Leben kann man in einer Stadt wie Liverpool, die in konventioneller Hinsicht nicht wirklich schön zu nennen ist, kaum bekommen.
Meine Mutter Queenie, immer noch die wunderbarste Frau, die ich kenne, war enorm stolz darauf, dass ihr erstes Kind ein Junge war, und als einundzwanzig Monate später mein Bruder Clive zur Welt kam, waren die Epsteins eine sehr glückliche und viel versprechende kleine Familie.
Heute, dreißig Jahre später, ist das auch wieder so, aber dazwischen lange Tage voller Missverständnisse und Spannungen, bis wir als Familie wieder zusammenfanden. Ich war nicht der beste Sohn, dafür aber sicher der schlechteste Schüler.
Meine erste Bildung erhielt ich in einem Kindergarten in Liverpool, wo ich mit einem Hämmerchen Holzfiguren durch ein Stück Sperrholz trieb und mich dabei ziemlich ungeschickt anstellte. Ich baute Modelle aus Pappe, die nicht hielten. Schließlich lernte ich ohne große Begeisterung lesen und schreiben.
Als ich sechs war, unternahm Hitler, der sich damals allgemein schon ziemlich unbeliebt gemacht hatte, einen konzentrierten Versuch, Liverpool in Schutt und Asche zu legen, und obwohl wir ein paar Kilometer von den Häfen entfernt wohnten, auf die sich die Angriffe konzentrierten, galt unser Vorort Childwall nicht mehr als sicher. Tausende von Kindern wurden aufs Land verschickt und von ihren Eltern getrennt, während andere Familien beschlossen, ihre Häuser in der Stadt einstweilen aufzugeben und sich auf die sichere Wirral-Halbinsel zu begeben oder an der Küste hinauf nach Southport zu ziehen, wo es ebenfalls eine größere jüdische Gemeinde gab.
Mein Vater entschied sich für Southport, und wir blieben dort, bis die Bombenangriffe vorüber waren. Ich kam aufs Southport College und machte dort meine ersten noch ungelenken Erfahrungen mit Kunst und Design, die mir sehr viel Spaß machten. Herausgerissen aus der schützenden Umgebung eines Kindergartens, kam ich hier aber auch zum ersten Mal mit der mir völlig fremden Disziplinvorstellung der Lehrer in Kontakt, denen es vor allem darum ging, zukünftige Stipendiaten ausfindig zu machen, und ich merkte schnell, dass ich, der wenig Genialität erkennen ließ und auch keine bestechende Persönlichkeit besaß, nicht besonders beliebt war.
Ein kleines Kind in einer intakten Familie weiß nicht viel von Beliebtheit oder überhaupt von Beziehungsgeflechten. Es hat seine Eltern, die es lieben, und das ist alles. Aber als Heranwachsender merkte ich, dass es mir nicht leicht fiel, Freundschaften zu knüpfen. Heute bin ich auch noch nicht richtig gut darin, aber inzwischen ist es doch etwas einfacher geworden, weil ich vermutlich ein netterer Mensch bin als früher. Und dann gibt es natürlich noch einen anderen bestimmenden Faktor im Kontakt zu anderen Menschen – ich verfüge über ein gewisses Maß dessen, was man in Ermangelung eines anderen Wortes als Macht bezeichnen könnte. Das wiederum bringt andere Probleme mit sich, weil es inzwischen nicht mehr so einfach zu erkennen ist, ob man sich mir um meiner Selbst willen nähert, oder weil man sich materielle Güter oder Einfluss von mir erhofft. Mit anderen Worten – wollen die Leute mich, oder wollen sie über mich an die Beatles herankommen?
Meine Familie kehrte 1943 nach Childwall zurück, nachdem die Bombenangriffe einstweilen vorüber waren. Daher musste ich auch die Schule in Southport verlassen, und nach einer Beurteilung durch den Direktor wurde ich am Liverpool College als ein Schüler aufgenommen, von dem man sich keine großartigen Leistungen versprach.
In dieser Hinsicht sollte ich die strengen und aufrechten Männer, die diese unbedeutende Privatschule beherrschten, nicht enttäuschen, denn ich wurde, wie gesagt, der Schule verwiesen. Schulverweis ist ein hässliches Wort, und ich hatte bis dahin geglaubt, dass so etwas nur Jungen passierte, die andere quälten oder die logen, so wie Flashman in Tom Browns Schuljahre, einem finsteren Buch von Thomas Hughes, das ich ohne große Begeisterung gelesen hatte.
Aber ich war keiner dieser Quälgeister, dazu war ich viel zu schmächtig und feige. Ich war auch kein Dieb, denn meine Eltern gaben mir fast alles, was ich wollte – vielleicht sogar ein bisschen mehr, als nötig gewesen wäre. Und zum Lügen hatte ich wenig Gelegenheit, weil ich sowieso nur selten etwas sagte.
Ich verließ das Liverpool College ohne Bedauern.
Eine Erfahrung, die ich dort machte und die sich an anderen Schulen wiederholte, teilweise auch später noch, war Antisemitismus. Auch heute begegnet er mir hin und wieder in den verschiedensten Formen. Inzwischen macht es mir nichts mehr aus, aber in meinen jungen Jahren litt ich sehr darunter.
Zwar nahm ich selbst meinen Rauswurf auf die leichte Schulter, aber dennoch musste es mit meiner Schulbildung ja irgendwie weitergehen. Meine Eltern wussten bald allerdings nicht mehr, wie. Mein Vater, eine eher unkomplizierte Persönlichkeit, hatte selbst eine sehr solide, erfolgreiche Laufbahn an einer höheren Schule absolviert, und es fiel ihm schwer zu begreifen, wieso ich mich so schwer tat.
Eines war klar: Ein Junge, der vom Liverpool College geflogen war, konnte nicht erwarten, am Liverpool Collegiate, der alten Alma Mater meines Vaters, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, ebenso wenig wie an der anderen etablierten Schule der Stadt, dem Liverpool Institute (an dem es viele Jahre später zwei der Beatles mit der höheren Bildung versuchten). Gute Schulen reißen sich nicht um gescheiterte Privatschulzöglinge.
Also kam ich auf eine Privatschule, an der die Mentoren keine Fragen stellten und von der mich meine Eltern schon nach kurzer Zeit wieder abmeldeten, weil der Unterricht absolut nicht zufriedenstellend war. Die Schule war so schlecht, dass sie sich schließlich dazu durchrangen, mich auf ein Internat zu schicken, auch wenn ihnen die Trennung von mir sehr schwer fiel – in Liverpool wussten sie und jene, bei denen sie um Rat fragten, keine Schulen mehr, die infrage gekommen wären.
Nun … wenn man vor Problemen steht, besinnt man sich gern auf die vertraute Religion. Und so wurde ich mit meinem Ranzen und jeder Menge guter Ratschläge