Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley

Hinter der Maske - Die Autobiografie - Paul  Stanley


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– ein wichtiges Bedürfnis blieb unerfüllt. Einerseits war ich immer allein und unnahbar, aber andererseits hielt ich es nicht aus, auf mich allein gestellt zu sein.

      Im Verlauf der Zeit verschwammen die Grenzen zwischen der Kunstfigur und dem Menschen, der ich war. Dieser Typ fing an, mich auch abseits der Bühne zu begleiten. Die Girls wollten ihn, diesen Typen. Die Leute nahmen einfach an, ich wäre dieser Typ. Ich konnte die Wirklichkeit von der Bühne verbannen, aber nicht dauerhaft aussperren. Einen ganzen Tag als Starchild zu bestreiten war keine einfache Angelegenheit, da ich es mir selbst nicht abkaufte. Ich kannte die Wahrheit. Ich wusste, wer ich wirklich war. Außerdem war ich sehr defensiv. Während sich Leute um mich herum über einander lustig machten, konnte ich zwar gut austeilen, war aber nicht bereit einzustecken. Mir war klar, dass es viel lustiger sein müsste, über sich selbst, seine Macken und Defizite lachen zu können, doch gelang es mir nicht, mich zu überwinden. Ich konnte einfach nicht locker lassen. Es war eine instinktive Reaktion darauf, als Kind ständig angestarrt und ausgelacht worden zu sein.

      Ich war immer noch zu unsicher. Obwohl ich es selbst nicht ganz verstand (genauso wenig wie alle anderen, da ich mich ja nie zu meinem Ohr äußerte), wurde ich weiterhin von meiner bitteren Vergangenheit angetrieben. Meine Witze waren unterlegt mit einem boshaften Unterton und gingen allesamt auf Kosten anderer.

      Schlägst du mich, schlag ich doppelt zurück.

      Es lebt sich leicht, wenn man die Hand zur Faust geballt hat. Aber einer geschlossenen Hand kann man auch nichts geben, wohingegen eine offene Hand in der Lage ist, sehr viel entgegenzunehmen. Leider blieb mir diese Erkenntnis sehr, sehr lange verborgen. Während dieser Zeit spürte ich einen inneren Konflikt, der wiederum in ein Gefühl der Unzufriedenheit, Unzulänglichkeit und tiefen Einsamkeit eingebettet zu sein schien.

      Nachdem ich die Schminke mit dem Puder präpariert habe, gehe ich zurück in die Garderobe, setze mich wieder vor den Spiegel und entferne Puderkörner, die sich in den sternförmigen Umriss um mein Auge verirrt haben. Nun fahre ich diesen Umriss mit einem schwarzen Augenbrauenstift nach. Anschließend nehme ich schwarze Schmierfarbe, die etwas zäher ist als die weiße Clownfarbe, und einen Pinsel, um den Stern aufzumalen. Dann wechsle ich wieder ins andere Zimmer und fixiere das schwarze Make-up mit Talkumpuder, das weniger matt als das andere Puder auf meinem restlichen Gesicht ist. Ich kehre erneut in die Garderobe zurück und umrande mein linkes Auge mit schwarzem, wasserfestem Eyeliner. Während das Ganze trocknet, betrachte ich mich im Spiegel.

      In früheren Lebensabschnitten mochte ich die Person, die ich im Spiegel sah, nicht immer. Aber ich gab mir stets Mühe, nicht gleichgültig zu bleiben und der Mensch zu werden, der ich gerne sein wollte. Das Problem war, dass – egal, was ich tat – nichts mich meinem Ziel näher zu bringen schien. Während KISS einige Wellentäler durchfuhren, begriff ich, dass vieles, von dem ich annahm, dass es mich glücklich machen oder mir etwas Selbstsicherheit schenken würde, nichts brachte. Ich dachte, dass es mir helfen würde, berühmt zu sein. Ich dachte, dass Reichtum der Schlüssel wäre. Ich dachte, es ging darum, begehrenswert zu sein. 1976 gelang uns schließlich mit dem Album KISS Alive! der Durchbruch. Jedoch fühlte ich mich nicht im Geringsten besser, wenn ich Leuten meinen Ruhm unter die Nase rieb. Bis Ende der Siebzigerjahre hatten wir Millionen von Dollars eingenommen, doch realisierte ich, dass das Geld – und die Kleidung, die Autos und die seltenen Gitarren, die ich damit kaufte – mich auch nicht glücklich machen konnte. Und was das Stichwort „begehrenswert“ angeht, so war Sex ab der Veröffentlichung unserer ersten Schallplatte andauernd und überall verfügbar. Allerdings musste ich einsehen, dass es möglich war, mit jemandem zusammen zu sein und sich trotzdem einsam zu fühlen. Ich habe einmal gehört, dass man sich nie einsamer fühlen wird, als wenn man mit der falschen Person schläft. Das ist die Wahrheit. Auch wenn es schlimmere Formen des Leids gibt, als zwischen Penthouse-Pets und Playboy-Häschen zu nächtigen, so erwies sich die Glückseligkeit dieser Erfahrungen doch als flüchtig. Durchaus anregend, ja, aber vorübergehend. Ich machte die Erfahrung, dass nichts davon die Leere in mir auszufüllen vermochte.

      Als KISS sich 1983 schließlich das Make-up aus den Gesichtern wischten, wurde ich noch mehr zum Starchild – oder eher noch: Die Kunstfigur wurde zu mir. Mein eigenes Gesicht wurde zu dem des Starchilds. Ich hatte bis zu einem gewissen Grad das schüchterne, defensive und unbeliebte Kind aus mir verbannt, doch hatte ich es weder ersetzt noch neu zusammengebaut. Ich war eine Art Hülle, ein leeres Gefäß. Ich befand mich noch immer auf der Suche nach der Person, die ich werden wollte, und Starchild – auch ohne den sichtbaren Stern – blieb weiterhin die Maske, die ich trug, um mit der Welt in Kontakt zu treten. Doch dachte ich – oder zumindest glaubte ich –, dass es leichter wäre, Leute auf Distanz zu halten, als ihnen auf einer persönlicheren Ebene zu begegnen. Letzten Endes muss man erst einmal mit sich selbst klarkommen, bevor man sich auf andere Menschen einlassen kann. Und das war noch immer nicht der Fall bei mir. Daher schien mein Leben keinen rechten Sinn zu ergeben. Wo war denn die Familie? Wo die Freunde? Wo war das „Zuhause“?

      Es gab einfach kein Entkommen aus der fundamentalen Erkenntnis, dass ich mich immer noch nicht wohl in meiner Haut fühlte. Wenn man vor der Wahrheit nicht fliehen kann, muss man sie entweder verdrängen oder die Dinge in Ordnung bringen. So einfach ist das. Mir entspricht es eher, Dinge in Ordnung zu bringen, anstelle mich zu betäuben und sie dadurch zu verdrängen. Sogar in den schmerzvollsten Augenblicken meines Lebens – als etwa meine Band auseinanderzufallen schien, die Menschen um mich den Drogen zum Opfer fielen oder als ich wegen der Scheidung von meiner ersten Frau am Boden war – überwanden mein Selbsterhaltungstrieb und mein Drang, besser zu werden, alle anderen Impulse.

      Manchen Menschen beschert eine Nahtoderfahrung die Art von Erleuchtung, die die Richtung ihres Lebens entscheidend verändert. Tatsächlich muss man nur ein paar Autobiografien von unterschiedlichen Rock ’n’ Rollern durchblättern, um zu dem Schluss zu kommen, dass jeder Musiker wohl schon einmal mit Ach und Krach dem Sensenmann entkommen ist, was in der Folge zum ultimativen Meilenstein seines oder ihres Lebens hochstilisiert wird.

      Allerdings habe ich nie probiert, mich umzubringen. Auch habe ich mich nie so intensiv mit Drogen und Alkohol beschäftigt, dass ich irgendwann einmal im Krankenhaus aufgewacht wäre, nachdem ich wiederbelebt werden musste. Trotzdem kam auch ich schon mit dem Tod in Berührung. Und der Ernst der jeweiligen Lage führte mit Sicherheit dazu, dass auch ich in mich ging. Aber ehrlicherweise muss ich betonen, dass keines meiner Nahtoderlebnisse einen so starken Einfluss auf mich ausübte wie etwas anderes, das sich nicht so nach Rock ’n’ Roll anhört. Mein Erweckungserlebnis hatte ich nicht, als ich mit dem Lauf einer Pistole im Mund zum Höhepunkt kam, und auch nicht, als ein Defibrillator Stromstöße durch meine Brust jagte – nein, ich wurde am Set eines Broadway-Musicals erleuchtet.

      1999 ergatterte ich die Titelrolle in einer Inszenierung von Andrew Lloyd Webbers Das Phantom der Oper in Toronto. Die Hauptfigur ist ein Komponist, der sich hinter einer Maske versteckt, um die schreckliche Entstellung seines Gesichts zu verbergen. Und hier kam nun ich ins Spiel, der Junge mit nur einem Ohr, Stanley das Monster, der sein Leben damit verbracht hatte, Musik zu machen und sein Gesicht mit Make-up zu verfremden und nun dieses Phantom verkörpern sollte. Besonders eine Szene traf einen Nerv bei mir. Mit seinem Umhang und seiner Maske hat das Phantom eine gefährliche, aber nichtsdestotrotz elegant anmutende Ausstrahlung. Kurz bevor er das Objekt seiner Begierde, Christine, in sein Versteck entführt, nähert er sich ihr und sie entreißt ihm seine Maske, womit sie sein abscheuliches Gesicht enthüllt. Dieser intime Augenblick, als das Phantom demaskiert war und von Christine berührt wurde, traf offenbar auf einen ganz besonders wunden Punkt in mir.

      Während meiner Theaterzeit als Phantom erhielt ich eines Tages einen Brief, der von einer Frau stammte, die unlängst eine Aufführung besucht hatte. „Sie schienen sich mit ihrer Figur auf eine Weise zu identifizieren, die ich noch bei keinem anderen Schauspieler beobachtet habe“, schrieb sie mir. Sie teilte mir dann mit, dass sie für eine Organisation namens AboutFace arbeitete. Dort widmete man sich Kindern, deren Gesichter von der Norm abwichen. „Wären sie eventuell daran interessiert, sich bei uns zu engagieren?“, fragte sie mich abschließend.

      Wow. Wie war ihr das denn aufgefallen?

      Ich hatte zuvor noch nie über mein Ohr gesprochen. Sobald ich dazu in der Lage gewesen war, hatte ich mir die Haare lang wachsen


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