Eure Liebe. Sylke Richter
es immer nur für mich notiert. Wie mach ich das am besten?
Ich habe mir angewöhnt, zu allen beschriebenen Zetteln, die auf dem Boden liegen, noch ein weißes Blatt Papier dazuzulegen. Für das Ungesagte. Für das, was noch keinen Namen hat. Für das, was bei mehr Vertrauen zur Sprache kommen darf. Für Geheimnisse. Für Schambesetztes. Für Tabuthemen.
Meistens kommuniziere ich es so: »Ich lege mal noch ein weißes Blatt Papier dazu für die Themen oder das Thema, was vielleicht noch Zeit braucht oder noch keinen Namen hat. Viele Menschen, viele Paare schauen erst mal, mit wem sie es zu tun haben, ehe sie alles, was sie beschäftigt, auspacken. Würde ich übrigens genauso machen. Und manchmal kommt später noch etwas Neues dazu, manchmal nicht.«
Es soll eher beiläufig passieren und wenn keiner nachfragt, bleib da nicht hängen. Gib so selbstverständlich wie möglich die Botschaft weiter, dass das manchmal so ist. Das Signal soll eine Einladung sein, dass alles da sein darf. Alles zu seiner Zeit.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Ohren, die es betrifft, genau zugehört haben und zu gegebener Zeit mit dem bisher Ungesagten herausrücken: eine frühere Vergewaltigung, eine Affäre, der Wunsch nach eigenem Wohnraum, eigenem Geld, ein Kind. Es kann so vieles sein. Doch eins ist klar, egal, was es ist, es bedeutet meistens eine tiefgreifende Veränderung für das Paar und erst, wenn die Seele bereit ist, kommt alles auf den Tisch. Da brauchen wir als Therapeuten nicht ziehen oder schubsen. Manches Ungesagte wandert auch mit ins Grab. Erinnere dich an das Seil. Es ist nicht unser Leben, nicht unsere Beziehung, nicht unsere Entscheidung.
Alles klar und eine gute Idee, ist eine schöne Einladung, ohne viel Brimborium. Noch zwei weitere Fragen zum Beginn, dann können wir mal an das Eingemachte gehen.
10Paartherapie mit Kind – oder lieber nicht?
Toni: Bisher habe ich Paarberatungen mit Kind immer gleich abgesagt. Ich denke, man kommt dann wieder nicht zu den Paarthemen. Machst du das auch so?
Wenn sich ein Paar meldet, lege ich ihnen ans Herz, für die anderthalb Stunden der Paarberatung jemanden zu organisieren, der mitkommt und so lange im Warteraum für das Kind da ist, oder es unterzubringen. Dem Paar zuliebe, denn Paar-Zeit heißt Paar-Zeit.
Aber wie das Leben so spielt, trotz intensiver Bemühungen klappt das manchmal mit der Betreuung nicht. Der Babysitter springt ab, die Großeltern können doch nicht, jemand wird krank. Wenn es nicht anders geht, kommt das Baby mit und wir versuchen das Beste daraus zu machen. Wenn wir Glück haben, schläft es (meistens ging es bisher um die Babys) und die Eltern haben die Chance auf ein moderiertes Gespräch zu ihren Mann-Frau-Themen. Es ist hilfreich, gleich zu Beginn zu klären, ob es um Eltern- oder Paarthemen gehen soll. So wissen wir immer, worüber wir gerade reden. Viel zu oft werden die Ebenen im Eifer des Gefechts vermischt.
Die Zeit in der Praxis kann durch uns dann schon so gerahmt werden, dass das Paar es als eine kleine Einheit Paar-Zeit erlebt. Achte darauf, dass sich die beiden anschauen, wenn sie miteinander reden. Denn sobald ein Kind im Raum ist, wandern die Augen zu ihm.
Fallvignette
Anna und Karl, beide Mitte dreißig, haben es geschafft, den dreijährigen Sohn bei einer befreundeten Familie unterzubringen. Baby Emma, drei Monate, wird abwechselnd von beiden gehalten. Derjenige, der das Baby gerade nicht im Arm hat, erzählt mir, was los ist. Karl: »Seit Emma auf der Welt ist, streiten wir nur noch. Ich mache nichts richtig. Anna ist genervt und notorisch unzufrieden, inzwischen schlafen wir in getrennten Zimmern, da ich nach unserem letzten Krach ausgezogen bin.« Während Karl redet, zuppelt Anna an ihrer Tochter herum. Da ich die ruhige Phase des Babys nutzen möchte, frage ich direkt nach. »Karl, wenn das hier heute für dich was bringen soll. Was wäre dein Bestenfalls?«
»Bestenfalls wäre für mich, wenn wir uns heute versöhnen könnten und ich zurück in unser Bett ziehen kann.«
Das Baby wechselt zu Karl und Anna erzählt mir ihre Version. Weint. »Ich kann einfach nicht mehr. Ich will bei Emma alles richtig machen. Anders, als ich bei unserem Sohn war, bin ich nur noch voller Ängste: Sie könnte im Schlaf ersticken, sie ist zu warm oder zu kalt angezogen. Sie könnte zu wenig trinken. Es ist furchtbar.
Und dann will Karl ständig mit mir reden oder mit mir schlafen. Ich kann aber gerade nicht. Ich bin außer Gefecht.« Emma ist währenddessen eingeschlafen und Annas Blick bleibt an dem schlafenden Baby hängen. »Anna, wenn wir die Zeit hier in deinem Sinne nutzen, was wäre dein Bestenfalls?« Sie überlegt. (Manchmal ist es auch hilfreich zu fragen: »Was würde dein Baby sagen, wenn es schon sprechen könnte?«)
»Ich denke, ich sollte Emma mehr bei Karl lassen und ihm vertrauen.«
»Und auf der Paarebene? Was willst du, wenn du an eure Beziehung denkst, an dich und Karl? Geht’s da auch um Vertrauen?« Sie schluchzt, wischt sich über das Gesicht, schaut zum Baby, das still und zufrieden in Karls Armen liegt.
»Ist es okay, wenn ich Emma nehme, oder wacht sie dann auf?« Anna nickt und Karl reicht mir die Kleine. Während ich Emma halte, machen wir weiter. »Rutscht ein Stück zusammen, dreht die Stühle zueinander und Anna, ich frage dich noch mal: Was wünschst du dir, wenn du an euch beide denkst? Schau ihn an.«
Sie kann nicht reden, weint nur bitterlich und irgendwann machen die beiden ihr eigenes Ding. Er nimmt ihre Hände, zieht sie in eine Umarmung und sie weint und weint. Er hält sie.
Ich gehe mit dem Kind auf dem Arm einen Schritt zurück und denke daran, dass Umarmungen, die länger als zwanzig Sekunden dauern, heilsam sind. Erst ab dieser Dauer, haben Wissenschaftler herausgefunden, gibt es eine therapeutische Wirkung auf Körper und Geist. Der Grund ist, dass eine aufrichtige Umarmung das Hormon Oxytocin produziert, auch bekannt als das Liebe- oder Bindungshormon.
Also lasse ich die beiden in ihrer Umarmung. Sehe, wie sich Anna langsam beruhigt und Karl lautlos seinen Kopf auf ihren legt. Sie sind wieder im Kontakt, in einem guten.
Die »Umarmung bis zur Entspannung« ist eine kleine, feine Übung, die ich Paaren sehr gerne mitgebe (siehe Teil II).
So viel zu der Frage, ob Paarberatung mit Kindern sinnvoll ist oder nicht. Versucht es. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Doch innerlich mache ich Abstriche an die Tiefe der Themen, sobald klar ist, dass ein Kleinkind dabei sein wird. Meistens leite ich es so ein: »Versuchen wir es. Hängen wir die Erwartungen nicht zu hoch. Aber vielleicht fällt mir eine kleine Aufgabe für euch ein, wenn ich verstanden habe, worum es geht.«
In der Lebensphase mit Kleinkindern ist es die Master-Frage schlechthin: Wie bekommen wir es hin, uns Paar-Zeit zu organisieren? Uns als Paar nicht aus den Augen zu verlieren. Nicht zu müde zu sein. Zu gestresst. Zu genervt. Wie überstehen wir die Monate, bis die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind?
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