Das halbe Grundeinkommen. Philipp Hacker-Walton

Das halbe Grundeinkommen - Philipp Hacker-Walton


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Hegel so, dass sich der „objektive Geist“ in den Familien, Firmen, Organisationen, in den Vereinen und den Kirchen verwirklicht. Aber erst im Staat und seinen Institutionen kommt in paradigmatischer Form zum Ausdruck, was eine Gesellschaft zu ihrer Zeit jeweils für moralisch richtig hält. Der demokratische Rechts- und Wohlfahrtsstaat ist in dieser Hinsicht zweifellos bereits ein Ideal. Aber auch dieses Ideal ist geschichtlich, wird vom „Formwandel der sozialen Integration“ (Jürgen Habermas, siehe Fußnote 27) beeinflusst und muss daher zuweilen reformiert werden, insbesondere wenn es sich als bedroht erweist.

      5Bei einem Einschaltgrad des AMS am gesamten Stellenmarkt von „bloß“ 42 Prozent.

      6Wir haben schon in „Arbeit und Gerechtigkeit“ darauf hingewiesen, wie sehr der universelle Ruf nach Qualifizierung in seinem Kern meritokratisch ist und wie sehr er jene kränken kann, die nicht qualifizierungsfähig oder -willig sind.

      7Salopp gesprochen: Die einen finden es nicht richtig, dass viele andere bei der Stellenvermittlung gar nicht mehr „gefordert“ werden, ihnen aber schon offene Stellen zugemutet werden, die sie im Grunde ablehnen. Andere wiederum empfinden die „Forderung“, sie sollten sich doch bitte „fördern“ (sprich in Nachfragebereichen qualifizieren) lassen, als eine Zumutung bzw. je nach Berufsbiografie als demütigend.

      8Im September 2020 erkannte die österreichische Datenschutzbehörde mit Bescheid, dass die Steuerung von Betreuung und Förderung arbeitsloser Menschen per „AMS-Algorithmus“ einer gesetzlichen Deckung entbehrt. Im Dezember hob das Bundesverwaltungsgericht nach Beschwerde des AMS diesen Bescheid wieder auf.

      9Die Konzepte werden im 4. Kapitel kurz besprochen.

      10Was polizeilich richtig gedacht ist, da selbstverständlich vorsätzliche Regelverletzungen vorkommen. In der österreichischen Polizei selbst wurde im Übrigen 2019 eine eigene „Task Force Sozialbetrug“ eingerichtet.

      11Siehe dazu Barbara Prainsack: Vom Wert des Menschen. Wien 2020, S. 163. Für die Autorin ist das Konzept der staatlichen Jobgarantie die „falsche Antwort auf die richtige Frage“.

      12Die Sanktionsfreiheit ist klarerweise nicht der einzige Grund dafür: Viele Betroffene wollten und mussten so schnell wie möglich wieder zurück in Beschäftigung, viele, vor allem jüngere Arbeitslose, meldeten sich voller Enthusiasmus zum „Kriseneinsatz“ im Lebensmittelhandel und in der Landwirtschaft.

      13Bei der zweiten Runde der Einmalzahlung im letzten Quartal 2020 reagierte die Regierung bereits auf dieses Phänomen und sah eine gestaffelte Auszahlung vor.

      14Zitat Thomas Mann: Der Zauberberg. Frankfurt am Main 2015, S. 56: „Die Arbeit war das Prinzip, vor dem man bestand oder nicht bestand, das Absolutum der Zeit, sie beantwortete sozusagen sich selbst. Seine (des Protagonisten im Roman) Achtung vor ihr war also religiöser und, so viel er wusste, unzweifelhafter Natur.“

      15Siehe weiter unten das Kapitel „Mangelberufe und Heimwerkerstolz“

      16Siehe z. B. Richard David Precht: Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens. München 2020, S. 236 (Zur Sinnfrage in der Arbeitswelt): „Doch die Arbeit in einer Großbäckerei, beim Paketdienst oder an einer Supermarktkassa sperrt sich dagegen.“

      17Die „moralische Arbeitsmarktreform“, die wir in Kapitel 2.8. noch einmal skizzieren, ist bei uns immer als Voraussetzung im Hinterkopf – und falls es doch nicht so schnell gehen sollte mit der „Revolution“.

      18Nicht nur der Erwerbsarbeitsgesellschaft, sondern auch der Nichterwerbsarbeitsgesellschaft

      19Bezugnehmend auf Aldous Huxleys Dystopie einer totalitären Gesellschaft

      20Protokolle aus Sicht unserer Interviewpartner

      21Siehe auch Georg Grund-Groiss / Philipp Hacker-Walton: Arbeit und Gerechtigkeit. Wien 2019.

      22Siehe Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 2013.

      23Siehe Axel Honneth: Anerkennung. Eine europäische Geistesgeschichte. Frankfurt 2018.

      24Michael J. Sandel: Justice. What’s the right thing to do? New York 2009.

      25Siehe Markus Gabriel: Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten. Berlin 2020, S. 33.

      26Ebd., S. 12.

      27Jürgen Habermas: Auch eine Geschichte der Philosophie. Band 1. Berlin 2019, S. 13.

       Abschnitt 1:

       MENSCHENWÜRDIGE ARBEITSLOSIGKEIT

      „Mit einem Dach und seinem Schatten dreht sich eine kleine Weile der Bestand von bunten Pferden, alle aus dem Land, das lange zögert, eh es untergeht.

      Rainer Maria Rilke, Das Karussell

      Zwei Beteuerungen vorweg:

      Wer reformieren will, muss das zu Reformierende genau kennen und richtig schätzen. Er muss es genauer kennen als die meisten Dinge im Leben28 und er muss es in ähnlicher Weise schätzen, wie man einen geliebten Menschen schätzt, für den man vor allem will, dass es moralisch gut um ihn steht. Das nehmen wir für uns in Anspruch,29 wenn wir Reformvorschläge zur österreichischen Arbeitsmarktpolitik machen.

      Wir sind überzeugt, dass Reformvorschläge überhaupt nur dort von Bedeutung sind, wo sich der Wandel bereits ereignet.30 Der „Abschied vom Fördern und Fordern“ in der Arbeitsmarktpolitik, den wir vor allem als einen „Fortschritt des moralischen Wissens“31 verstehen, ist bereits im Gange: Die individuellen Sanktionen bei der Ablehnung von offenen Stellen erweisen sich angesichts der gigantischen Dimensionen der Arbeitslosigkeit nur mehr als punktuelle Versuche, die Idee einer fordernden und strafenden Gerechtigkeit in der Arbeitsvermittlung am Leben zu erhalten. Wenn politische Akteure heute nach strengeren Zumutbarkeitsbestimmungen für die Arbeitssuche rufen,32 dann verhallt das nur noch wie der ewige Gleichklang einer Beschwörung, es müsse doch endlich ein Weg gefunden werden, Arbeitslose zu zwingen, das zu wollen, was sie nicht mehr wollen können und was auch der Großteil der (noch) nicht Betroffenen für sich keinesfalls wollen würde.33 Es ist nicht verwunderlich, dass anlässlich solcher Aufrufe sogar in der tagespolitischen Debatte immer öfter verlangt wird, man möge doch „endlich Ideen und kreative Konzepte“ einbringen34.

      28So wie der Philosoph Peter Bieri in seinem Vortrag an der Pädagogischen Hochschule in Bern am 4. November 2005 mit dem Titel „Wie wäre es, gebildet zu sein?“ meinte: Bildung „… ist (auch) ein Sinn für Genauigkeit: ein Verständnis davon, was es heißt, etwas genau zu kennen und zu verstehen: ein Gestein, ein Gedicht, eine Krankheit, eine Symphonie, ein Rechtssystem, eine politische Bewegung, ein Spiel. Es gibt niemanden, der mehr als nur einen winzigen Ausschnitt der Welt genau kennt“

      29Denn: Georg Grund-Groiss arbeitet seit 26 Jahren beim österreichischen Arbeitsmarktservice und hat dort seine berufliche Berufung gefunden. Philipp Hacker-Walton berichtet als Journalist seit vielen Jahren kundig und wohlwollend-kritisch über die österreichische Arbeitsmarktpolitik, so ist sie ihm auch ans Herz gewachsen.

      30Man könnte es auch als eine transzendentale Bedingung jeder Reformidee verstehen, dass es keinen Start „from nowhere“ gibt.

      31Jürgen Habermas: Auch eine Geschichte der Philosophie. Band 1. Berlin 2019, S. 136.

      32Wie z. B. der Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer am 11. 9. 2020: Arbeitslose müssten per Sanktionsdruck dazu angehalten werden, weiter als bislang verlangt zu pendeln oder auch dorthin zu übersiedeln, wo es noch offene Stellen gibt.

      33Das erinnert an den „Urzustand“, wie ihn John Rawls, der wichtigste Philosoph der Gerechtigkeit im 20. Jahrhundert, in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“, Frankfurt 1975, beschrieben hat: Wenn wir völlig unparteilich wären, hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ unseres Standes und unserer Interessen die Regeln festlegen müssten, würden wir viele Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose wohl nicht


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