Die Schwester, die Dr. Härtling belog: Arztroman. A. F. Morland

Die Schwester, die Dr. Härtling belog: Arztroman - A. F. Morland


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Annchen”, antwortete Sören Härtling lächelnd. „Sie” Er wurde wieder ernst. „Wer ist die Nächste?”

      „Frau Littmann.”

      Marina Littmann war Mitte Vierzig. Sie hatte ein kleines Reisebüro in der Sonnenstraße in dem auch ihre Tochter Alexa arbeitete

      Gleich beim Eintreten erzählte sie, dass in ganz München das große Fernweh ausgebrochen sei. „Die Leute buchen wie verrückt”, sagte sie und ließ sich ächzend auf den Patientenstuhl nieder.

      „Ist doch gut, wenn das Geschäft läuft”, meinte Sören.

      „Ja, das schon. Aber es bleibt einem kaum Zeit, zum Arzt zu gehen. Ich musste mir diese Stunde regelrecht abzwicken.”

      „Was ist denn derzeit der große Renner?”, erkundigte sich der Chefarzt der Paracelsus-Klinik.

      „Amerika. Kanada. Malediven. Seychellen. Kenia. Alles verkauft sich gut.” Marina Littmann seufzte „Nur unsereiner kommt nicht weg.”

      Sören warf einen Blick in das Krankenblatt. Frau Littmann sah ihn gespannt an. „Was hat die Blutuntersuchung ergeben, Herr Doktor?”

      „Ihre Blutfettwerte sind erhöht, Frau Littmann.”

      „Und das ist nicht gut.”

      „Nein”, pflichtete Sören der Patient in bei, „das ist nicht gut, denn ein höherer Cholesterinspiegel bedeutet eine Gefährdung in bezug auf Arteriosklerose und Herzinfarkt.”

      Marina Littmann nickte. „Ich verstehe.”

      „Der Abbau des Cholesterins erfolgt in der Leber”, erklärte Sören, „seine Ausscheidung durch die Galle. Diese Ausscheidungsprodukte werden im Darm weiter abgebaut und dann teils mit dem Stuhl ausgeschieden, teils rückresorbiert und über die Pfortader wieder der Leber zugeführt.“

      „Und ich baue nicht genug davon ab, nicht wahr?” Marina Littmann strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.

      „Als Bestandteil der meisten tierischen Fette, wie zum Beispiel Milch, Butter, Eier und Innereien, wird Cholesterin, je nach Ernährungsgewohnheiten schwankend, in einer Tagesmenge von durchschnittlich fünfhundert Milligramm aufgenommen”, setzte Sören seine Ausführungen fort.

      „Das heißt, ich muss meine Ernährung umstellen.”

      „So ist es, Frau Littmann”, nickte Sören. „Wichtig ist eine vernünftige Regelung der Lebensweise, völliger Verzicht auf Nikotin und Alkohol, gemischte Kost, die Eiweiß — wenn auch in Maßen — enthält: Geflügel, mageren Fisch, Magerquark. Außerdem sollten Sie auf ballaststoffreiche Kohlenhydrate achten: Vollkornbrot statt Weißgebäck, Pellkartoffeln, Naturreis. Zucker müssen Sie unbedingt meiden. Und was Fette angeht — nur pflanzliche und keine tierischen essen. Außerdem sollten Sie für ausreichend Bewegung sorgen.”

      Marina Littmann rollte die Augen. „Das ist leichter gesagt als getan, Herr Doktor! Ich hab’ Ihnen ja erzählt, was bei uns los ist. So eine spezielle Diät kann ich ja machen, aber für ausreichend Bewegung fehlt mir einfach die Zeit.”

      „Die müssen Sie sich nehmen, Frau Littmann. Es geht schließlich um Ihre Gesundheit.”

      „Wenn wenigstens Alexa voll auf der Höhe wäre! Aber ihre Belastbarkeit hat in letzter Zeit stark nachgelassen. Sie ist ständig lustlos und müde. Ich fange an, mir Sorgen um sie zu machen. Wenn ich ihr rate, doch auch mal zum Arzt zu gehen, erwiderte sie: ,Wozu denn? Mir fehlt nichts.’ Aber sie sieht nicht aus, als würde ihr nichts fehlen.”

      „Sie müssen darauf bestehen, dass sie sich untersuchen lässt”, sagte Sören.

      „Sie ist so schmal, so ... so durchsichtig geworden.”

      Sören horchte auf. „Sie hat abgenommen?”, fragte er alarmiert.

      „Vier Kilo.”

      „In welchem Zeitraum?”, wollte Sören wissen.

      „Innerhalb eines Jahres.”

      „Ich würde mir Ihre Töchter gerne mal ansehen, Frau Littmann”, sagte Sören.

      „Ich werde es ihr sagen. Aber ob sie zu Ihnen kommen wird, kann ich nicht versprechen.” Die Patientin erhob sich.

      Schwester Annegret gab ihr eine kleine Broschüre mit Diätvorschlägen, und sobald Marina Littmann das Sprechzimmer des Chefarztes verlassen hatte, bat Annegret die nächste Patientin herein.

      2

      Timo Faber arbeitete seit einem Jahr als Krankenpfleger in der Paracelsus-Klinik. Er war bei den Patienten beliebt, und die Ärzte schätzten seine Zuverlässigkeit. Er hatte stets für jeden Kranken ein aufmunterndes Wort, und seine gute Laune war ansteckend. Obwohl man ihn nicht als schön im landläufigen Sinne bezeichnen konnte, kam er im allgemeinen beim weiblichen Geschlecht sehr gut an.

      Sein ganz großer Schwarm war derzeit Schwester Claudia. Wenn er in ihrer Nähe war, schlug sein Herz Purzelbäume, und sein Puls raste.

      Ihre Anmut und ihre Grazie hatten es ihm angetan, und er brauchte kein Arzt zu sein, um bei sich selbst zu diagnostizieren, dass er in dieses engelhafte Geschöpf mit den sanften, melancholischen Augen verliebt war.

      Als sie vor drei Monaten in die Paracelsus-Klinik gekommen war, hatte bei Timo regelrecht der Blitz eingeschlagen.

      Liebe auf den ersten Blick nannte man das wohl.

      Er hätte nicht geglaubt, dass auch ihm das mal passieren würde, doch er fand es wunderbar, dass es dazu gekommen war — wenngleich diese Liebe im Moment noch eine ziemlich einseitige Angelegenheit war, denn Claudia Behrens liebte ihn nämlich nicht.

      Aber sie mochte ihn, das spürte er. Und aus ihrer Zuneigung konnte mit der Zeit Liebe reifen, wenn er sich nur genug um sie bemühte, da war er sicher.

      Soeben trat Claudia aus dem Schwesternzimmer, und Timos Magennerven spielten sofort wieder verrückt. Er blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Warum sieht sie immer so traurig drein?, fragte er sich. Hat ihr das Leben schon so übel mitgespielt? Sie ist doch noch so jung — eben erst zweiundzwanzig geworden. Ihm war, als würde die aschblonde Krankenschwester ein Geheimnis umgeben. Irgendwie wurde sie dadurch für ihn noch interessanter.

      „Hallo, schönste alle Krankenschwestern”, rief er bemüht munter.

      Das Lächeln, das sie ihm schenkte, erreichte ihre Augen nicht.

      „Geht es dir nicht gut?”, erkundigte sich Timo.

      „Doch, doch, ich bin in Ordnung”, antwortete Claudia rasch.

      „Du siehst so traurig aus.”

      Sie schwieg.

      „Hast du Kummer?”, fragte Timo. „Kann ich dir helfen?”

      „Es ist alles bestens.”

      Timo schüttelte den Kopf. „Das glaubst du doch selbst nicht! Du schleppst irgend etwas mit dir herum. Was ist es? Möchtest du dich nicht mal aussprechen? Ich bin ein ganz ausgezeichneter Zuhörer.”

      „Ich komme schon allein klar”, sagte Claudia gepresst.

      „Aber das musst du nicht! Ich wäre sehr glücklich, wenn du in mir nicht nur einen Kollegen, sondern auch einen Freund sehen würdest. Machst du mir die Freude und gehst heute Abend mit mir essen?”

      „Bitte”, sagte Timo eindringlich.

      ,, Ich bin keine sehr gute Gesellschafterin. Du würdest dich langweilen.”

      „Ganz bestimmt nicht.” Er spürte, dass sie dem Ja näher war als dem Nein. „Bitte, geh mit mir aus”, drängte er sie. „Ich wollte dich schon lange fragen, aber ich hatte immer Angst, du könntest mich zurückweisen.”

      Sie musterte ihn ernst. „Was versprichst du dir davon?”

      Er zuckte


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