Von Paul zu Pedro. Amouresken. Franziska Gräfin zu Reventlow

Von Paul zu Pedro. Amouresken - Franziska Gräfin zu Reventlow


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halte schon deshalb nichts davon, dass man sich allzu intensiv zusammenlebt und dann in bitterem Leid auf Nimmerwiedersehen auseinandergeht. Bei jeder besseren amourösen Angelegenheit sollten Anfang und Ende überhaupt nicht so scharf umrissen sein.

      Ja, ich habe bei dieser angeregten Abendunterhaltung mein stilles Vergnügen gehabt, und wenn ich meine eigenen Amouren Revue passieren lasse, die tragischen und die heiteren, seriöse Dauersachen und flüchtige Minnehändel – wie sie sich nacheinander, nebeneinander und durcheinander abspielten, so fügt sich für mein Empfinden alles ganz von selbst zur schönsten Harmonie zusammen. Auch wenn – cher ami, das gilt Ihnen mit – andere Leute so oft etwas daran auszusetzen haben.

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      Ganz richtig, das ist sonderbar – gerade wir bösen, unbeständigen Menschenkinder werden oft so ungemein ernsthaft geliebt, wie man nur unbescholtene junge Mädchen und ›anständige‹ Frauen lieben sollte. Zumeist wohl von den ›dummen Jungen‹, und das ist sehr hübsch – ich habe große Sympathie für sie – manchmal aber auch von ganz intelligenten Männern mit innerem Wert, und damit ist dann nicht so leicht fertig zu werden. Besonders, wenn sie uns zwingen wollen, Tiefen zu offenbaren, über die wir gar nicht verfügen.

      Am schlimmsten ist der Typus ›Retter‹ – und glauben Sie mir, man darf sich noch so weit und noch so lange auf der schiefen Ebene befinden, es tauchen immer wieder Männer auf, die uns durch wahre Liebe retten wollen.

      Vielleicht darf man das nicht so verallgemeinern, ich kann ja nur aus eigener Erfahrung reden und mache möglicherweise einen ganz besonders rettungsbedürftigen oder geeigneten Eindruck. Wie auch die geistlichen Erzieher meiner frühen Jugend immer noch einen guten Kern in mir entdeckten und die Hoffnung nie ganz aufgaben.

      Der Retter meint es gut und aufrichtig, schon das ist schwer zu ertragen. Und er leidet durch die Bank an unheilbarer Selbstüberschätzung, hält sich eben für den, der imstande sei, unser zerflattertes Liebesleben einzufangen und auf einen Hauptpunkt, nämlich auf sich selbst zu konzentrieren. Er findet, es sei ein Jammer, dass wir uns zeitlebens so weggeworfen haben, an so viele, die es nicht wert waren (darin würden Sie sich also ganz gut mit ihm verstehen) – ja, wenn wir nur einmal an den Rechten gekommen wären – wie anders, Gretchen! Der Retter hält sich – das liegt auf der Hand – für den, der es selbst jetzt noch vermöchte, das Wunder zu vollbringen. Dabei ist er trotz allem: wie schade um diese Frau – merkwürdig tolerant gegen unsere Vergangenheit, empfindet sie mehr als Verirrung: Ihr ist viel vergeben, denn sie hat viel geliebt. Sie hat keinen Halt in sich selbst und keinen an anderen gehabt, hat sich von ihrem Temperament hinreißen lassen, und das haben die schlechten Männer sich zunutze gemacht.

      Ja, er lässt es an Verständnis nicht fehlen und ist überzeugt, man habe jeden, dem man sich ›hingegeben‹, glühend und tief geliebt, aber er war es natürlich in den seltensten Fällen wert. Der Retter sagt gerne: ›armes Kind‹ und streicht einem dabei die Haare aus der Stirn – eine unausstehliche Angewohnheit, man darf nie vergessen, ein Taschenkämmchen mitzunehmen.

      Manchmal bietet er auch pekuniäre Hilfe an, aber mit dem Gefühl, dass für ›sie‹ doch eigentlich etwas Degradierendes darin liegt und es ihr sehr peinlich sein müsse (ach, Doktor, es ist ihr durchaus nicht peinlich, sie tut nur manchmal so – aus guter Erziehung).

      Die Bekanntschaft mit dem Retter ist natürlich immer ein Missgriff und entspringt aus momentaner Sentimentalität oder einer unangenehmen Situation, die durch ihn behoben wird – oder, wenn man sich gerade mit jemand anders gezankt hat. Man fällt ihm bei irgendeiner Gelegenheit in die Arme.

      Der Retter will kein Philister sein – Gott bewahre. Er verwirft auch die illegitimen Liebesfreuden an sich durchaus nicht, fasst sie nur viel zu ernst auf und sucht ihnen eine ethische Weihe zu verleihen. Er betrachtet jede Schäferstunde als Anlass zu ernsten Gesprächen und zu heillosem Ausfragen – besonders in Bezug auf Zahlen und Daten (und man rechnet doch so ungerne und sagt nie die Wahrheit – der Retter würde sie auch nicht vertragen).

      Trotz der schlagendsten Gegenbeweise hält er an dem Dogma von der monogamen Veranlagung der Frau fest.

      Er ist unbequem und nimmt es übel, wenn man nicht viel Zeit für ihn übrig hat. So schlägt er gerne mehrtägige Ausflüge vor, damit man einmal wirklich etwas voneinander hat und alles Trübe und Schwere von sich abschütteln kann – in Klammern: weil man draußen in Gottes freier Natur sicherer ist, dass die geliebte Frau nicht so oft alten Bekannten begegnet, oder dass es plötzlich klingelt und alle möglichen Leute zum Tee kommen, von denen man nicht recht weiß, warum und wieso?

      Ach Gott, und ich finde amouröse Ausflüge überhaupt eine unglückliche Erfindung – ich kann sie nicht ausstehen, vor allem nicht mit Rettern oder mit wertvollen Menschen. Höchstens mit Paul – oder vielleicht mit Ihnen – pardon, pardon, dass ich Sie schon wieder mit Paul zusammenstelle und so oft auf seine Vorzüge zurückkomme. Es geschieht wirklich nicht aus Bosheit, aber ich lebe immer noch mit einem Fuß in der jüngsten Vergangenheit, in der schönen Zeit unseres Dreiecks.

      Mit dem Retter dauert es übrigens meist nicht lange. Er wünscht selbstredend eine seriöse Dauersache, und man lehnt tragisch ab: zu spät – man kennt sich selbst zu gut – leider – es bringt niemandem Glück, mich zu lieben – besser, man geht seinen dornenvollen Pfad alleine weiter, bis es ein Ende mit Schrecken nimmt. Oft wünscht der Retter sich ein Kind – gerade von dieser Frau – ich weiß nicht warum, vielleicht weil sie dann in seinen Augen ›ganz anders dastehen würde‹ – und er nimmt es übel, wenn sie lieber darauf verzichtet.

      In diesem Fall würde er sie als Ehrenmann selbstverständlich heiraten, sie dürfte auch um des Kindes willen nicht nein sagen. Einer von meinen Rettern wollte mich auch ohne Kind heiraten; er war verlobt, als wir uns kennen lernten, und löste dann seine Verlobung auf. Stellen Sie sich meinen Schrecken vor, als er mir das freudestrahlend mitteilte – wir trafen uns im Bahnhof, um aufs Land zu fahren – ich war geradezu entsetzt. Gott sei Dank wurde er daraufhin an mir irre, und ich fuhr nicht mit ihm aufs Land, sondern ohne ihn nach Hause. Daher stammt wohl auch meine Idiosynkrasie vor Ausflügen. Diese Art Menschen wollen ja auch immer ein ›volles Glück‹, wenn sie heiraten, und das hätte er an meiner Seite schwerlich gefunden. Die Idee vom ›vollen Glück‹ hat für mich immer etwas so Trostloses, Bedrückendes. Es klingt so peinlich definitiv, als ob dann alles vorbei wäre, wie wenn man sich schon bei Lebzeiten seinen Sarg bestellt.

      Nur als Backfisch habe ich auch eine Zeit lang davon geträumt: Eines schönen Tages wird man heiraten, und dann ist man glücklich, die Sache ist erledigt. Aber dann wieder – ich erinnere mich deutlich an einen Ball im Elternhause, wo ich zum ersten Mal mittanzen durfte und meine Gefühle in großer Verwirrung waren. Ich war vierzehn Jahre alt, die Tänzer behandelten mich wie eine erwachsene Dame, nannten mich Sie und sagten mir schöne Sachen. Und in drei von ihnen war ich zum Sterben verliebt. Ich sehe sie noch vor mir, alle drei waren sehr elegant und trugen die modernsten Stehkragen – ich weiß nicht, warum gerade die Kragen mir so viel Eindruck machten. Zwei waren brünett und einer blond. Die beiden Brünetten gefielen mir beinah noch besser, aber ich liebte auch den Blonden. Und ich weiß noch so gut, wie ich damals dachte, dass man doch immer nur einen Mann heiraten könnte; wenn man nun aber dreie liebt – was dann? Die Frage hat mir viel Kopfzerbrechen gemacht. – Übrigens trugen sie alle drei Zwicker – ich hätte mich dazumal nie in einen Mann ohne Zwicker verliebt, er wäre mir nicht ganz vollständig vorgekommen.

      Sehen Sie, all diese armen Leute mit dem vollen Glück werden doch nur einmal wirklich glücklich, und wir werden und sind es so oft. Dass wir es nicht ewig bleiben – nun, daran glaube ich auch bei den anderen nicht recht. Der Rausch verfliegt, und was dann? – Die Räusche verfliegen auch, aber es kommen neue.

      Mein lieber Freund, der Retter ist ein unlustiges Thema – er fällt auf die Nerven, auch wenn man nur von ihm spricht. Er wirkt wie eine schwüle Atmosphäre, der man so bald wie möglich wieder entrinnen möchte.

      Also – ich entrinne hiermit Ihnen, den Rettern und dem Briefschreiben. Hätte ich doch immer einen so guten Vorwand, wenn ich nicht mehr schreiben mag.

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