Atempause. Roland Kaiser
bevor ich so weit war, hatte ich noch einen schweren Kampf auszufechten – den Kampf mit meiner inneren Stimme. „Warum tust du nicht, was du wirklich willst?“, fragte mein Gefühl. Und ich folgte der Verlockung, die Situation einfach zu negieren, sie aus meinem Leben zu verbannen, die Augen davor zu verschließen, um so weiterzumachen, wie wir am Vorabend des 12. Juli 2000 eingeschlafen waren: gesund, erfolgreich, von einem lustigen Abend mit Freunden angenehm angeregt und berauscht und auch nach annähernd 30 Jahren auf der Bühne mehr denn je als Live-Künstler gefeiert.
Da ich wusste, dass ich sowieso niemals mehr vollständig gesund sein würde, zweifelte ich schon bald daran, ob es sinnvoll sei, mein Leben nach der neuen Situation auszurichten. Mein Stolz sagte mir, ich müsse weiterhin erfolgreich sein. Noch dazu stand mir meine eigene Bequemlichkeit im Weg. Ich wollte mich keinen Diskussionen stellen, wollte mich nicht wieder mit der Presse konfrontiert sehen, nachdem ich in dritter Ehe mit meiner Traumfrau Silvia und mit unseren zwei gemeinsamen, zauberhaften Kindern endlich angekommen war.
Aber schon bald machten erste Spekulationen über mich in den Medien die Runde. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte meine Atembeschwerden nicht vollständig überspielen. Mein Gesundheitszustand war von meiner Tagesform und zudem stark von den Bedingungen meines Umfelds abhängig. In Veranstaltungshallen und TV-Studios herrschen selten optimale Luftverhältnisse. Das provozierte bei mir Husten und erschwerte mir das Luftholen. Die Medien spekulierten wider besseren Wissens über Alkohol, Medikamente, Drogen, Zerwürfnisse in der Familie, Stress mit den Kindern, Ärger mit meiner Ex-Frau Anja und unserem Sohn Hendrik, der mit seiner Mutter auf Sylt lebt. Sie fanden auch ohne – oder gerade ohne – mein Zutun schlagzeilenträchtige Gründe für die kleinste Ausfallerscheinung, die vielleicht bei einem anderen Künstler, der ein weniger bewegtes Leben als ich gelebt hatte, überhaupt keine Aufmerksamkeit erregt hätte. Immer wieder reflektierten die Medien ungefragt über mein Leben und das meiner Familie – mit Vorliebe leider mit einem deutlichen Hang zur negativen Sensation. Das machte es nicht gerade einfacher, mich der neuen Herausforderung in meinem Leben zu stellen.
Die Diagnose COPD ging ans Eingemachte, an die Substanz. Für mich als Sänger ging es – so sah ich es damals – um alles oder nichts. Ich dachte wirklich, alles werde wieder gut, wenn ich nur entschlossen genug die Nase in den Wind hielte und Haltung bewahrte. Dann sähe man schon früh genug, wohin die Reise ginge. Ich belog mich jeden Tag selbst.
In einem Magazin hatte ich einen Artikel über Möwen, sogenannte Sturmtaucher, gelesen. Diese Möwenart hat die Lufthoheit auf Neuseeland. Menschen und Möwen seien sich in einer Hinsicht sehr ähnlich, hieß es in diesem Beitrag: Mutig machten sie das Beste selbst aus den widrigsten Lebensbedingungen. Ich fasste denselben Entschluss: Ich würde mich nicht unterkriegen lassen! Wenn ich die Krankheit nicht beachtete, dann wäre sie auch nicht existent, redete ich mir ein.
Was immer ich tat, ich begann, mir selbst einzureden und vorzulügen, dass alles in bester Ordnung sei. Auch bei mir zu Hause im alltäglichen Leben. Wenn ich zum Beispiel eines unserer Kinder in die obere Etage trug, gab ich die dabei aufkommende Atemnot anderen gegenüber nicht zu. Wenn ich schwere Sachen trug, Koffer, Getränkekisten et cetera, gestand ich meine Atemnot nicht ein. Und so gab ich alle Dinge, die mir natürlich im täglichen Leben schwerer fielen, nach außen hin einfach nicht zu und glaubte, die anderen merkten das nicht. Ich war doch schließlich ein ganzer Kerl!
Dieses im Rückblick unvernünftige Verhalten und die Weigerung, mein Leben und Verhalten auf mein unerwünschtes Handicap COPD auszurichten, hatte natürlich zur Folge, dass sich meine Konstitution im Laufe der kommenden Monate und Jahre schleichend eher verschlechterte als stabilisierte. Durch meine Unvernunft, Schwächen nicht zuzugeben, übertrieb ich es wissentlich an allen Ecken und Enden. Ich war zwischenzeitlich tatsächlich der festen Überzeugung, dass die Krankheit in meinem Leben auch nicht stattfände, wenn ich nur fest genug daran glaubte.
Beruflich hatte ich für mich dieselbe Konsequenz gezogen wie im Privatleben. Ich nahm meine Auftritte wahr und versuchte dabei, so normal wie möglich zu wirken – auch für meinen Manager und die Mitglieder meiner Band. Ich dachte ernsthaft, keiner bemerke meine gesundheitliche Beeinträchtigung. Das war natürlich ein ganz fataler Irrtum. Selbstverständlich konnte ich den Anschein nicht über die Jahre aufrechterhalten, vor allem nicht den Menschen und Freunden gegenüber, die mich schon seit so vielen Jahren begleiten und mir nahe stehen. Doch ich beharrte stur darauf, alles sei in bester Ordnung, und wurde zuweilen auch recht harsch und ungehalten, wenn man das Gespräch suchte und Hilfe anbot. Denn Freunde, Band und Management ließen nicht locker, fragten immer wieder besorgt und freundschaftlich nach. Ich empfand das damals als unerwünschte Einmischung in mein Privatleben. Dabei wollten sie mir lediglich Brücken bauen und die Hand reichen. Alle und alles schoss ich in den Wind. Ich wurde ungerecht, um mich nicht der Wahrheit und den für mich unüberschaubaren Konsequenzen stellen zu müssen, die sich ja zwangsläufig daraus ergeben würden. Ich konnte und wollte mir das Szenario nicht vorstellen, das sich ergeben würde, falls meine Erkrankung öffentlich würde. Meine Erfahrungen mit den Medien waren ja auch aus vielen Jahren in der Öffentlichkeit – durch meine Scheidungen und mein Leben, das man durchaus in vielerlei Hinsicht als in vollen Zügen gelebt bezeichnen kann – nicht gerade von Vertrauen und gegenseitiger Freundschaft geprägt .
Und die Medien trugen auch bis auf wenige Ausnahmen ihr Übriges dazu bei, dass sich die Situation verschärfte und nicht entspannte. Die Tagespresse in und um Dresden beteiligte sich dankenswerterweise nicht an den Spekulationen und feierte mich von Jahr zu Jahr mehr. Bis auch dort im Jahr 2006 mein jährliches Kaiser-Mania-Konzert für mich zur Bedrohung wurde, weil ich im Publikum Journalisten vermutete, die nur darauf aus waren, Schwächen aufzudecken und anzuprangern.
Beruflicher Erfolg war für mich ja auch gleichbedeutend mit Dominanz. Ein Mann hatte stark zu sein. Ich will mal pauschal annehmen, dass das eine typische Eigenschaft von Männern ist, ein Selbstbild, ein Zerrbild. Ich nehme mich da keinesfalls aus, sondern möchte mich vielmehr als ein Musterexemplar dieser Gattung bezeichnen. Männer scheinen nicht zugeben zu können, dass sie eine Verletzlichkeit und Schwäche einholen kann, dass sich etwas in ihrem Leben zeigt, was sie ihre Vitalität kosten kann. Ganz besonders schlimm war dabei, dass ich immer wieder von meiner Frau verlangte, bloß nicht, bloß nicht darüber zu reden, dass ich ein nachhaltiges Handicap habe. Ich brachte sie damit in eine furchtbare Lage. Alle versuchten ja, mit ihr Kontakt zu bekommen und von ihr zu erfahren, was denn los sei. Mich sprach keiner an, man fragte sie und nicht mich. Und irgendwann konnte sie dem Druck nicht mehr standhalten, ewig so zu tun, als gäbe es nichts Erzählenswertes. So konstruierte ich eine Geschichte, ließ nach außen verlauten, meine Krankheit, die ich da erst seit Kurzem hatte, sei eine verschleppte Lungenentzündung, die nun auskuriert sei. Das war mein Lügenkonstrukt. Mit der Zeit veränderte ich mich bei meinen Bühnenauftritten und meinen Auftritten in Fernsehsendungen oder bei Autogrammstunden insofern, dass ich immer Sorge hatte, jemand könne meine Kurzatmigkeit bemerken. Und dieser psychische Druck verstärkte meine Kurzatmigkeit noch um einiges. Um nicht beobachtet zu werden, mied ich sogar die Nähe meiner Kollegen, zog mich in meine Garderobe und in Hotels zurück und ging so etwaigen Gesprächen und lästigen Fragen aus dem Weg. „Hallo Roland, wie geht’s?“, war für mich keine freundliche Begrüßungsfloskel mehr, sondern eine latente Bedrohung. Roland Kaiser sei aber ganz schön arrogant, hieß es, eigenartig, ein komischer Kauz. Dabei versuchte ich lediglich, unter allen Umständen meine Atemnot zu überspielen und den zunehmenden Hustenreiz zu unterdrücken.
Jeder, der schon einmal mit einer Erkältung in einem Konzert saß und sich dachte, jetzt darfst du aber auf keinen Fall husten, saß – von einem Hustenreiz nach dem anderen gequält – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwischen Menschen, die sich durch das Husten gestört fühlten. Mir ging es ähnlich.
Und das führte zu Irritationen in der Öffentlichkeit, dazu, dass meine Frau angesprochen wurde: „Was hat er denn? Was ist denn los? Trinkt er vielleicht oder hat er sonst irgendwas? Nimmt er was?“ Die Menschen spekulierten immer wilder, die Gerüchte kochten hoch und trieben die kuriosesten Blüten. Sie wurden zu einer ernsthaften Bedrohung für meine berufliche Karriere und belasteten mein Familienleben auf eine nicht mehr zumutbare und intolerable Weise. Das durfte ich in dieser