Nur noch Fußball!. Jürgen Roth
soll man jetzt eine langen? Dem Hartmann? Der weder Schopenhauer kennt noch jemals eine Zeile von ihm gelesen hat? Hartmanns Co-Autor, der diesen Dreck zu verantworten hat? Dem Lektor, der nicht mal die grammatikalische Havarie bemerkt und obendrein den Müll stehenläßt?
Nein, ich bin Pazifist und weise statt dessen mit dem gebotenen Maß an »Eitelkeit« (Hartmann) viel lieber auf das Kapitel »Das müssen wir nicht archivieren – Faire und unfaire Kritiker« hin.
»Hand aufs Herz: Mit Kritikern umzugehen – das mußte ich erst lernen«, heißt es da. »Geärgert habe ich mich immer dann, wenn ich genau gemerkt habe, es geht nicht um eine konstruktive und sachliche Kritik – sondern der Absender kann einfach mit meiner Person nichts anfangen, weil ihm mein Schnauzer nicht gefällt oder was auch immer.«
Er schnallt es halt nicht; er kapiert nicht, daß es weniger um die Realperson Waldemar Hartmann als vielmehr um die von ihm schamlos verkörperte Ersetzung von Journalismus durch Gschaftlhuberei und Propaganda geht. Ich darf ein wenig weiterzitieren: »Für mich war das Schlimmste, als mich Jürgen Roth 2002 in der Frankfurter Rundschau als ›konfusen Krachkopf‹ dermaßen persönlich runtergemacht hat, daß ich ein einziges Mal den Medienanwalt Michael Nesselhauf angerufen habe. In der Kritik (wenn man sie überhaupt so nennen möchte) ging es um ›Waldemar Hartmann, diese aggressiv-heitere, mopsigjoviale Inkarnation von rettungsloser Selbstliebe und intellektuellem Bankrott, diese Heimsuchung des modernen Fernsehens der Kumpelei und nationalistischen Erregung‹. Mehr will ich von dieser Schweinenummer gar nicht zitieren, es wäre zuviel der Ehre« – und zuviel der Wahrhaftigkeit.
Vorausgegangen waren der inkriminierten Passage nämlich folgende Zeilen: »Viel, allzuviel haben wir schon aushalten und durchstehen müssen, Mikrophonexaltationen eines Gerd Rubenbauer zum Beispiel, der den alpinen Skisport mehr orgiastisch kreischend als fachlich kommentierend begleitet und während der Eröffnungsfeier dokumentierte, weshalb einer Pistensau wie ihm selbst lachhafte Showdarbietungen genügen, um bar jeder Kontrolle herumzuwitzeln, bis der belastungsfähigste TV-Zuschauer zerebral kollabiert.
Und dann, und dann – tauchte er auf und toppte jeden, mein alter Spezi Waldi, der ungekrönte König der Anwanzerei. Legendär sind seine Interviewturteleien mit den Spitzenkräften des Münchner Bussifußballs, legendär sind des ehemaligen Augsburger Pilsstubenwirts spezielle Schranzenhuldigungen an ›Welt-Präsident‹ Franz Beckenbauer (so Bild bereits am 22. Februar 1995); doch nun, im weiten Westen Utahs, verlor er final die Besinnung und zog diverse Sportler und Wichtigtuer, vornehmlich Bundesinnenminister Otto Schily, gleichfalls ins verdiente Verderben.«
Hartmann sei »sich, wir müssen das so sagen, für wirklich keine Geschmack- und Gedankenlosigkeit zu schade, und zu seinen Gunsten sei konzediert, daß er das auch nicht mehr merkt«, hatte ich im Anschluß an die von ihm repetierten Äußerungen geschrieben und dann meine Invektiven in einen größeren Zusammenhang gestellt: »Gleich zum Start der Wettkämpfe wurde Waldi aus dem Deutschen Haus zugeschaltet. Dort verkündete er lichterloh froh, der Andrang sei immens, weil man die altbairische Disziplin des Weizenbierstemmens unter perfekten Bedingungen absolvieren könne. Anschließend gab er die intime Information preis, er, der berüchtigte Saufchamp, habe beschlossen, zwei Wochen abstinent zu bleiben.
Das muß man wissen, weiß Gott. Das will, das soll man erfahren, und nicht minder bedeutsam dünkt dem schrankenlosen Narziß die Nachricht, das amerikanische Essen bringe ihn in die Bredouille, lasse nämlich seinen ›Diätplan‹ durcheinanderpurzeln und die Taille anschwellen. So tönt es unter einem aufgepfropften Cowboyhut hervor, und während der mutmaßlich impertinenteste der 10.000 Journalisten aus aller Damen und Herren Länder zur Primetime die wehrlosen Studiogäste angockelt und verbal betatscht, ›deutsche Goldmedaillen‹ vorausschauend ausplärrt und ›den Hackl Schorsch‹ ob dessen vorzüglicher Beherrschung des Englischen (›Utah beer ist not the worst‹) belobigt, kramt er in seinem konfusen Krachkopf nach der nächsten Zumutung, die darin gipfelt, daß er selbst schweinsaugenzwinkernd ein paar besonders protzige Statements in, hahaha, kernig-bayerischem Pidgin-Englisch ausspuckt (›So soag’n mir des‹) […].
›Man darf nicht weiter ins Boulevardeske abgleiten‹, hatte vor den Spielen ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann gemahnt. Zumindest bestimmte Kontingente der ARD verfolgen andere Ziele. Die Selbstinszenierung, die Personalityshow, die Aufbauschung des Moderators zum Medium grenzenloser Mitteilsamkeit und geradezu süchtiger Selbstverausgabung, konterkariert alles, was jemals ›seriöser Sportjournalismus‹ genannt wurde. Ein Mann, der den ›Auftrag‹, ›unterhaltsam zu sein‹ (Poschmann), pausenlos mit dem folkloristisch verschwitzten Gealber über Kondome und andere Spießerverdruckstheiten verwechselt, gibt die Richtung vor. Besonnene Akteure, die eigentlich im Zentrum des Fernsehgeschehens stehen sollten, haben da keine Chance. Sehr schön erläuterte etwa der knarzige Skisprungcheftrainer Reinhard Heß nach Sven Hannawalds Silber von der Normalschanze: ›Mit Biertrinken und Gesprächen ist die Leistung nicht zu provozieren.‹ Hartmann vernahm die Botschaft nicht. Er und sein Team fuhren fort, Bierstilblüten zu produzieren und journalistische Leistungen zu erbringen, die offenbar die vollgedröhnten Bild-Berichte über Anni Friesingers ›Oho-Oberweite‹, über den, klar, ›Busen-Neid‹ zwischen ihr und Konkurrentin Claudia ›Nomen no omen‹ Pechstein und über den Popevent als ›Busen-Duell der Eis-Königinnen‹ noch hinter sich lassen sollen.«
Genug der Aufklärung (und Selbstbespiegelung), weiter in Hartmanns Text: »Jedenfalls habe ich zum Telephonhörer gegriffen und mich beklagt: ›Herr Nesselhauf, ich kann doch nicht alles über mir auskübeln lassen.‹ Und dann hat mir Nesselhauf erklärt: ›Herr Hartmann, wir können leider nichts machen. Und ich sage Ihnen auch, warum: Über dem Artikel steht ›Eine Polemik‹.‹«
Das ist juristisch korrekt. Die Meinungsfreiheit und gewisse Rechte haben für Waldemar Hartmann aber offensichtlich nur dann Gültigkeit, wenn sie sein persönliches und pekuniäres Vorankommen sicherstellen: »Da habe ich gelernt: Wenn man ›Polemik‹ über einen Artikel schreibt, besitzt man einen Freifahrtschein für Unverschämtheiten aller Art. Da kannst du jeden von oben bis unten hemmungslos besudeln. Wenn du nur zehn Prozent davon deinem Nachbarn entgegenschleudern würdest, wären diverse Tagessätze fällig. Ich halte das bis heute für eine schreiende Ungerechtigkeit. Für mich hat das mit Pressefreiheit nicht mehr viel zu tun.«
Der Begriff der Person des öffentlichen Lebens ist Waldemar Hartmann also auch unbekannt. Dafür bekannte er am 15. März 2013 in der WDR-Talkshow Kölner Treff abermals ausgiebig, was für ein souveräner Hecht und unübertrefflicher Wodkavernichter er sei, bis Moderatorin Bettina Böttinger anhob: »Ich muß eine Stelle vorlesen. Sie ham die geschrieben. Und ich hab’ mir … Was hat der Mann für ’n dickes Fell, daß der sich traut, das in seinen eigenen Rückblick, also in seine Autobiographie zu schreiben? Wo stand in der Frankfurter Rundschau, Sie wissen schon, was kommt, da stand mal über Sie, es is’ wirklich zu schön. Zu böse.« Es folgte obiger Abschnitt. Böttinger anschließend: »Sind Sie Masochist?« Hartmann: »Nein, ich wollt’ einfach mal zeigen, weil da kommen ja zwei gute Kritiken auch, im Laufe der fünfunddreißig Jahre ham sich die zwei angesammelt, ja? Nee, ich wollt’ einfach mal zeigen, was heut’, was, was möglich war, wie Pressefreiheit auch genützt werden kann. Jürgen Roth hat das übrigens geschrieben, von dem man mir damals dann gesagt hat, er sei noch im bewaffneten Kampf. […] Also is’ das heutzutage möglich, Pressefreiheit!, wenn man ›Polemik‹ drüberschreibt, kann man Kübel voll Schweinereien und Häme über ein’ schütten, und du hast keine Möglichkeit, dem zu widersprechen. Auch das is’ offenbar – Pressefreiheit.«
Selbst hier lag Hartmann daneben. Ich war damals nicht im bewaffneten Kampf, ich war lediglich extremistischer Berater der Gallus-Guerilla-Gardeners.
»Ja, man darf die Wahrheiten ja auch mal niederschreiben.« (Hartmann, Kölner Treff) Für Hunter S. Thompson bedeutete das, Sportjournalisten als »eine dumpfe und hirnlose Subkultur faschistischer Säufer« und als »eine Bande bösartiger, in einem Zookäfig wichsender Affen« zu titulieren (»sie vermehren sich wie Zuhälter und Immobilienmakler«; Hey Rube – Blutsport, die Bush-Doktrin und die Abwärtsspirale der Dummheit – Zeitgeschichte aus der Sportredaktion [Berlin 2006]); für Waldemar »Ich weiß alles, egal, in