Künstliche Intelligenz und Empathie. Vom Leben mit Emotionserkennung, Sexrobotern & Co. Catrin Misselhorn
zu kaschieren. Wie wir sehen werden, sind wir allzu leicht bereit, künstliche Systeme als emotionale Wesen wahrzunehmen, auch dann, wenn sie über keinerlei Gefühle verfügen.
Ursprünglich bezog sich der Begriff der künstlichen Intelligenz auf Computer allgemein. Heutzutage wird der Begriff jedoch häufig in einem engeren Sinn zur Bezeichnung neuronaler Netze verwendet, die den Neuronenverbänden im menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Hierbei handelt es sich eigentlich um eine Methode der KI, die auch unter dem Begriff des maschinellen Lernens firmiert, jedoch oft als Synonym für künstliche Intelligenz allgemein steht. Im Wesentlichen fußt das Verfahren darauf, mit Hilfe neuronaler Netze Muster in großen Datenmengen zu erkennen. Obwohl künstliche neuronale Netze mutmaßlich anders lernen als Menschen, ist es dennoch aufgrund ihrer hohen kognitiven Leistungsfähigkeit gerechtfertigt, von künstlicher Intelligenz im schwachen Sinn zu sprechen. Allerdings handelt es sich nicht um eine allgemeine Intelligenz im menschlichen Sinn, die auf die unterschiedlichsten Problemfelder anwendbar ist, wie sie die starke künstliche Intelligenz anstrebt.
Von der künstlichen Intelligenz zur emotionalen künstlichen Intelligenz
Der Begriff der emotionalen künstlichen Intelligenz (in Englisch auch affective computing) wurde in den 1990er Jahren im Zuge der Debatte um die emotionale Intelligenz geprägt.3 Sie lässt sich analog zur künstlichen Intelligenz als diejenige Disziplin definieren, die es mit der Nachbildung oder Simulation von Emotionen zu tun hat, also damit, ob und wie künstliche Systeme Emotionen erkennen, ausdrücken und vielleicht sogar selbst aufweisen können.
Die Notwendigkeit emotionaler KI erwuchs aus der Einsicht, dass Emotionen eine wichtige Rolle für intelligentes Verhalten spielen. So gibt es neurowissenschaftliche Evidenzen dafür, dass emotionale Störungen aufgrund von Hirnverletzungen zu irrationalem Verhalten führen.4 Das kann selbst dann vorkommen, wenn die kognitiven Fähigkeiten im engeren Sinn, die sich durch einen klassischen IQ-Test messen lassen, nicht beeinträchtigt wurden.
Auch theoretisch ist die emotionale KI von großem Interesse, da sich die Kognitionswissenschaften erhoffen, mit Hilfe künstlicher Systeme besser zu verstehen, wie der Zusammenhang zwischen Emotionen und Kognition bei Menschen beschaffen ist. Zwar spielt die Implementation von Emotionen in künstlichen Systemen in Anwendungskontexten bislang noch keine große Rolle, doch könnte sich dies ändern, sollte sich die Hypothese bestätigen, dass Emotionen entscheidend für intelligentes Verhalten sind.5
Von besonderer Bedeutung sind Emotionen für soziale Kommunikation und Kooperation. Dies führt zu einem weiteren Motiv, emotionale KI zu betreiben. Da das menschliche Sozialverhalten stark auf Emotionen beruht, ist es naheliegend, dass auch künstliche Systeme Emotionen berücksichtigen müssen, sofern sie mit Menschen zu tun haben. Wenn Mensch und Maschine sozial miteinander interagieren sollen, kommt es darauf an, dass künstliche Systeme menschliche Emotionen zuverlässig erkennen, einordnen und sozial angemessen darauf reagieren können. Sie brauchen jedoch nicht zwangsläufig selbst über Emotionen zu verfügen, um diese Ziele zu erreichen.
In der sozialen Interaktion spielen auch Faktoren wie die visuelle Erscheinung, Mimik und Gestik eine große Rolle. Deshalb liegt es nahe, auf Roboter zu setzen, die über einen Körper, Sensoren und Aktoren verfügen. Zwar muss insbesondere emotionale KI im schwachen Sinn nicht zwangsläufig auf die gleichen Prozesse zurückgreifen, die menschlichen Emotionen zugrunde liegen. Dennoch ist eine gewisse Vertrautheit mit den Emotionstheorien für biologische Lebewesen für das Verständnis der emotionalen KI hilfreich.
Was sind Emotionen?
Gehen wir von unserem Alltagsverständnis von Emotionen aus, so scheint es sich um episodische Reaktionen zu handeln, denen wir weitgehend passiv unterliegen, etwa wenn wir von Panik ergriffen, vor Freude überwältigt oder von Schuldgefühlen erdrückt werden. Mit episodisch ist gemeint, dass sich Anfang und Ende einer Emotion relativ eindeutig bestimmen lassen.
Außerdem umfassen Emotionen zumeist Formen körperlicher Erregung. Dazu gehören etwa erhöhter Puls, Erröten, Schweißbildung oder Tränenfluss. Im Unterschied zu anderen körperlichen Vorgängen wie etwa der Verdauung sind diese körperlichen Erregungszustände typischerweise mit einer bestimmten subjektiven Erlebnisqualität verbunden. Es fühlt sich auf eine bestimmte Art und Weise an, Freude zu empfinden, traurig oder wütend zu sein. Diese subjektive Erlebnisqualität wird in der philosophischen Debatte auch als phänomenales Bewusstsein bezeichnet und ist nicht zwangsläufig an das Auftreten körperlicher Erregung gebunden.
Außerdem beziehen sich Emotionen auf ein Objekt. Man kann fragen: Worüber ist Anne wütend? Wovor fürchtet sich Julian? Worüber freut sich Paul? Die Antworten könnten beispielsweise lauten: Anne ist wütend auf Franz, weil er ihren Stift absichtlich zerbrochen hat. Julian fürchtet sich vor dem Hund. Paul freut sich über das Buch, das Marie ihm zum Geburtstag geschenkt hat. Eine solche Bezugnahme auf ein Objekt wird in der philosophischen Emotionstheorie als Intentionalität bezeichnet.
Der Begriff der Intentionalität wird manchmal auch im Sinn von Absichtlichkeit verwendet. Doch damit hat der Objektbezug von Emotionen nichts zu tun. Der weitgehend passive Charakter von Emotionen schließt aus, dass wir sie absichtlich herbeiführen. Wir können nicht direkt beabsichtigen, uns zu freuen, wenngleich wir natürlich absichtlich nach Objekten suchen können, die Freude in uns auslösen.
Die Bezugsobjekte von Emotionen bezeichnet man als intentionale Objekte. Diese Objekte müssen nicht immer konkrete materielle Gegenstände sein: Man kann auch über die Klimakrise besorgt sein oder eine Idee bewundern. Wichtig ist jedoch, dass die Bezugsobjekte von Emotionen auf eine ganz bestimmte Art und Weise gegeben sind.
Nehmen wir an, Julia ist traurig darüber, dass Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft in der Vorrunde ausgeschieden ist. Das Objekt ihrer Emotion ist nicht nur das Ausscheiden der Nationalelf als solcher. So könnte ein Anhänger einer anderen Mannschaft über dasselbe Ereignis hoch erfreut sein. Sie erachtet es vielmehr auf eine ganz besondere Art und Weise als schlecht, nämlich im Sinn eines Verlusts. Ihre Traurigkeit beinhaltet also eine negative Bewertung des Objekts als Verlust. Andere negative Bewertungen wären etwa Peinlichkeit (dann würde sie Scham empfinden), Kläglichkeit (dann würde sie Verachtung empfinden) oder Anstößigkeit (dann würde sie Ärger empfinden).
Die Art des Bezugsobjekts und seines Gegebenseins ist wichtig, um verschiedene Emotionen voneinander unterscheiden zu können. Die subjektive Empfindungsqualität allein reicht dafür nicht aus. So lässt sich der Unterschied zwischen der Scham und der Trauer über das Ausscheiden der Fußballmannschaft nicht allein anhand der subjektiven Erlebnisqualität ausmachen. Der Bezug auf ein intentionales Objekt ist auch verantwortlich dafür, dass Emotionen begründet oder unbegründet sein können. So wäre Julians Furcht vor dem Hund unbegründet, wenn dieser nicht gefährlich, sondern ganz sanftmütig ist.
Weiterhin sind Emotionen mit bestimmten Ausdrucksformen verbunden. Sie manifestieren sich in Sprache, Haltung, Gestik und Mimik und bewirken häufig bestimmte Verhaltensweisen. So führt Furcht zu Angriff, Flucht oder Erstarrung. Emotionen lassen sich anhand dieser Merkmale gut von anderen affektiven Phänomenen abgrenzen.
Stimmungen haben ebenso wie Emotionen eine subjektive Erlebnisqualität. Es handelt sich jedoch nicht um episodische Reaktionen, und sie verfügen nicht über Bezugsobjekte. Sie gehen auch nicht mit bestimmten körperlichen Veränderungen, Ausdrucksformen oder Verhaltensweisen einher. Emotionen sind auch von körperlichen Empfindungen (wie einem Prickeln oder Ziehen) zu unterscheiden. Körperliche Empfindungen sind zwar episodisch, sie haben aber typischerweise kein Bezugsobjekt und sind nicht mit spezifischen körperlichen Veränderungen, Ausdrucksformen oder Verhaltensweisen verbunden, sondern zeichnen sich vor allem durch ihre Erlebnisqualität aus.
Charakterzüge wie Extrovertiertheit, Offenheit oder emotionale Verletzlichkeit stellen ebenfalls keine Emotionen dar. Sie weisen keine der für Emotionen charakteristischen Merkmale auf, auch wenn sie etwas damit zu tun haben mögen, zu welchen emotionalen Reaktionen jemand in bestimmten Situationen tendiert.
Emotionstheorien unterscheiden sich darin, welche Merkmale von Emotionen sie als vorrangig betrachten und wie sie deren