Herz des Todes. Magret Kindermann

Herz des Todes - Magret Kindermann


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den umliegenden Dörfern noch irgendwo eine, doch Armondin hatte es aufgrund ihrer Trägheit verpasst, einen Notdienst einzurichten.

      »Und ich muss kurz noch was gucken«, sagte der Tod und schwankte.

      »Aber bitte schnell!«, flehte die Alte. »Es wartet ein Kind auf dich.«

      Das irritierte den Tod – was sollte er mit einem Kind? –, aber er vertraute darauf, dass er früh genug auf eine Antwort stoßen würde.

      Er lief unter Johlen der anderen Gäste mit der wirren Frau nach draußen und ordnete an, auf ihn zu warten. Er folgte dem Stallgeruch und gelangte zu einem Vordach, unter dem drei Esel angebunden waren. Unter ihnen lag der Wirt der Schänke in einer Blutpfütze. Als er betrunken ins Heu gepisst hatte, war ein Esel darüber so erbost gewesen, dass er ihn mit einem kräftigen Tritt in die Bewusstlosigkeit befördert hatte.

      Der Tod beugte sich zu ihm hinunter und lauschte. Für jeden anderen erschien der Wirt bereits verstorben, doch der Meister im Geschäft konnte noch schwache, unregelmäßige Atemzüge erkennen.

      Der Tod pisste ebenfalls ins Heu, streckte sich und gähnte, und ging zurück vor die Schänke.

      »Hab noch Zeit«, erklärte er.

      Natürlich verstand die Alte die Worte nicht, doch sie wollte auch nichts von dieser seltsamen Bilgrim wissen. Sie hatte ihre Pflicht getan, eine Bilgrim gefunden und das sollte reichen.

      »Komm, komm!«, rief sie und marschierte vorneweg. Sie war froh, bald wieder ins Bett gehen zu können.

      Die Stadt Jui war weder bei Besuchern noch bei den Bewohnern beliebt, denn das Moorwasser machte nicht nur die Bauten mürbe, sondern auch die Menschen. Nun betraten die Alte und der Tod den Holzpfad, der über das im Dunkeln nur schwer auszumachende matschige Niedrigwasser führte.

      »Bist du hier geboren?«, fragte der Tod.

      Neugierde gehörte zu den Eigenschaften, die er besonders an sich schätzte.

      »Geboren und nie woanders gewesen. Wir müssen über den Markt. Dort hinten das Haus mit dem Holzrad, das ist es. Es ist das Haus des Redners.«

      »Des Redners? Für was braucht mich der Redner?«

      Der Tod befürchtete, dass die Tätigkeiten einer guten Bilgrim doch nicht zu seinen Vorstellungen eines amüsanten Abends passten. Ein Redner war angeblich im ständigen Kontakt mit dem Tod und gab vor, vorwarnen zu können, wen es als nächstes treffen würde. Wie sich dieser Beruf so lange hatte halten können, war für den Tod ein Rätsel, denn er hatte noch nie Kontakt zu einem aufgenommen. Warum auch? Menschen wollten immer alles planen, anstatt es zu erleben, selbst für ihren Tod nahmen sie sich nicht die nötige Zeit.

      Die Alte vor ihm zeigte in die Richtung, in der ihr Ziel liegen sollte. »Es ist die Tochter des Redners, sie ist eben zur Welt gekommen und braucht die Weihung.«

      Der Tod hatte keinen Schimmer von der Weihung, doch das Wort kam ihm feuchtfröhlich vor. Seine Stimmung hellte sich wieder auf. Unter dem Marktplatz, der ebenfalls auf Pfählen stand, gluckerte das Moor und sie erreichten das Haus mit dem Holzrad.

      »Wie heißt du denn, gute Bilgrim?«, fragte die Alte.

      Der Tod überlegte. »Berga.«

      Irritiert drehte sie sich um, die Hand schon auf dem Türknauf. »Das ist ja ein Frauenname.«

      »Dann Berg«, sagte er. Der Tod hatte noch nie verstanden, weshalb manche Namen nur für Frauen und andere nur für Männer gedacht waren.

      Da dämmerte der Alten, dass die vermeintlich gute Bilgrim einen falschen Namen angegeben haben musste und sie einen Fehler gemacht haben könnte, wenn dieser Mann vor ihr nicht mal seinen Namen richtig wusste. Doch bevor sie etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür und die Köchin zog sie hinein. Um ihren Afro hatte sie noch das Seidentuch geschlungen, mit dem sie sich schlafen gelegt hatte. Anscheinend war das ganze Haus durch die eintretende Geburt geweckt worden.

      Die Köchin machte die typische Kreisbewegung mit der flachen Hand zur Begrüßung und keuchte. »Danke, wir hatten schon nicht mehr mit einer Weihung gerechnet. Hier entlang. Die Mutter hat große Schmerzen, die Nachgeburt ist noch nicht gekommen.« Schweißperlen standen ihr auf der Stirn und der Nasenspitze.

      Der Tod duckte sich unter den Strohpüppchen hinweg, die niemand sonst daran hindern sollten, das Haus zu betreten, als ihn selbst. In Jui wie auch in sämtlichen Städten auf der Insel glaubte man nicht an Götter, dafür an den Tod. Man fürchtete ihn, war sich aber sicher, man könne ihn beeinflussen. Mit Gebeten und lächerlichem Schnickschnack versuchte man, ums Leben zu betteln, meistens um das eigene, seltener um das eines geliebten Menschen. Der Tod mochte es, Teil dieses Glaubens zu sein, aber da die Opfergaben nie Schnaps oder Schokolade beinhalteten und er dazu auch nie eingeladen wurde, interessierte er ihn nicht weiter.

      Wegen der niedrigen Decke musste er den Kopf einziehen und bekam Nackenschmerzen. Auf den Balken sah er keinen Staub, weswegen er vermutete, dass sich die Rednerfamilie ein Hausmädchen leisten konnte. Die waren teuer, aber vor allem hart zu kriegen, denn die meisten jungen Menschen verließen die unbeliebte Stadt im Moor, sobald sie eine Stelle woanders ergattern konnten.

      »Bist du satt?«, fragte die Köchin, als sie vor einer mit Schnitzereien verzierten Tür stehen blieben.

      Obwohl das gesamte Haus in Aufruhr schien – hinter der Ecke entdeckte der Tod ein Kinderkopf, dessen Augen aus der Dunkelheit abwechselnd blinzelten –, roch es nach gebackenem Moorapfel.

      »Och, nach der Sauferei krieg ich immer Kohldampf. Wenn du was da hast, ein mit Moorapfel gefülltes Huhn oder so ...«

      Die Köchin warf der alten Frau einen bösen Blick zu, der aussah wie: »Was hast du denn da für einen schlecht vorbereiteten Ochsen mitgebracht?« Zum Tod sagte sie: »Ich hole schnell einen Moorapfel aus dem Ofen.«

      Eine gute Bilgrim durfte während der Weihung nie hungrig sein, um die gesamte Aufmerksamkeit dem Kind geben zu können. Deswegen wurde ein Festmahl vorbereitet, sobald die Wehen einsetzten.

      »Mit Bulnüssen und Honig gerne!«, rief der Tod.

      Er ahnte nicht, dass er nach allem hätte fragen können, doch was hätte er sich anderes wünschen können? Nur Huhn wurde in Jui nie angeboten, die Tiere galten als heilig.

      Gebackener Moorapfel war eine Spezialität der Region, die man frisch nicht exportieren konnte. Die saftigen Äpfel wuchsen an den Wurzeln des Gorkaubaums unter Wasser und hielten sich nach der Ernte unverarbeitet nur wenige Stunden. Der Tod liebte sie und brachte manchmal jemanden aus der Gegend um, bevor es seine Zeit gewesen wäre, um mal wieder einen Moorapfel genießen zu können.

      Der Honig, in dem man die Frucht buk, stammte nicht von Bienen, sondern von Pilzen, die auf verrottenden Baumstämmen wuchsen. Die Pilze bildeten jährlich ein im Dunkeln leuchtendes Sekret, das einerseits als feuerlose Lichtquellen und anderseits als Honigersatz genutzt wurde.

      Die kulinarischen Erzeugnisse des Moores waren ein gutes Geschäft für die Region und in Jui hatte man ein feines Gefühl für Verkaufserfolge. Und so brachten Händler regelmäßig getrocknete Moorapfelscheibchen, Moorapfelbier, Gorkaugemüse, Pilzhonig und Herkulenbeulen, die auf Wasserschnecken wuchsen, in die ganze Welt. Trotzdem war Jui eine arme Stadt, denn sonst hatte sie nichts zu bieten.

      »Ist noch heiß«, sagte die Köchin und reichte ihm einen Teller mit der gelben Frucht, die durch den Honig bläulich leuchtete. »Bitte iss schnell. Die Weihung kann nicht mehr lange aufgeschoben werden. Wir haben Serenika hereingelockt, um das Mädchen zu beschützen.«

      Serenika war eine Hühnerart mit türkis schimmernden Federn, aus denen gerne Schmuck gemacht wurde. Nicht nur, weil sie hübsch aussahen, sondern auch, weil die Hühner unsterblich waren und man den Federn nachsagte, ihren neuen Trägern das Gleiche zu bescheren. Der Tod konnte sie nicht leiden, weil man sie nicht essen konnte. Sie waren nicht totzukriegen und wenn man es doch versuchte, wurde es eine endlose, unappetitliche Sache. Unsterblichkeit konnte auch seine Schattenseiten haben.

      Der Tod lehnte sich an die Torfwand


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