Seewölfe - Piraten der Weltmeere 7/I. John Roscoe Craig
Galeone neigte sich nach Backbord, als der ablandige Wind die Segel füllte. Carberry brüllte. Er hing an einem Bergholz an Steuerbord, und nur die zupackenden Hände von Al Conroy und Matt Davies bewahrten ihn davor, ein Bad zu nehmen. Die anderen Männer der „Marygold“ schafften es ohne Zwischenfall, die „Isabella“ zu entern.
Der Seewolf steuerte seine Galeone an den beiden havarierten Schiffen vorbei auf die Öffnung der Mill Bay zu, die hinaus in den Plymouth Sound führte.
Im Osten über der Zitadelle und dem Cattewatter ging blutrot die Sonne auf. In der Stadt zuckten Flammen hoch. Irgendwo in der Mill Bay Road brannte es.
Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dachte Hasard, dann ist es die „Bloody Mary“ des dicken Plymson, die dort in Flammen aufgeht.
Die Geschütze der Küstenforts donnerten jetzt unaufhörlich, doch sie konnten die Angreifer nicht entscheidend zurückschlagen. Immer noch heulten Kugeln über das Fort Eastern King hinweg und landeten berstend zwischen den dicht bebauten Straßen der Hafenstadt.
Der Seewolf biß die Zähne zusammen. Er war entschlossen, die Angreifer das Fürchten zu lehren. Sie sollten spüren, was es hieß, in die Höhle des Löwen zu segeln. Der Rachen würde zuschnappen, und die scharfen Zähne der „Isabella“ würden den Feind zermalmen.
Im Hafenviertel von Plymouth war die Hölle los. Schreiende Männer schleppten Wassereimer die Straße entlang, um die Flammen in einem Wohnhaus zu ersticken. Frauen kreischten und brachten ihre Kinder in Sicherheit. Eine Kugel der Spanier hatte das Dach eines Hauses zum Einsturz gebracht. Zerfetzte Balken lagen mitten auf der Straße. Der eiserne Wetterhahn eines Schornsteins hatte das Fensterkreuz der „Bloody Mary“ glatt durchschlagen und war mit den gebogenen Schwanzfedern im Holz der Theke steckengeblieben.
Das war vor einigen Minuten gewesen, und seitdem lag der dicke Nathaniel Plymson hinter seiner Theke auf dem schmutzigen Bretterboden und zitterte, daß seine rosigen Hamsterbacken und sein dreifaches Hängekinn in einem atemberaubenden Tempo wackelten. Seine flinken hellen Augen, die sonst die kleinste Kleinigkeit erfaßten, hatte er vorsichtshalber geschlossen. Wenn er den Weltuntergang schon miterleben mußte, so wollte er das grauenhafte Geschehen wenigstens nicht mit ansehen.
Nach den ersten berstenden Einschlägen der spanischen Eisenkugeln hatte sich die „Bloody Mary“ in Sekundenschnelle geleert. Nur zwei Gäste waren an ihrem Tisch sitzen geblieben, als hätten sie von dem Höllenspektakel nichts bemerkt.
„Einse lausige Kneipe in einer lausigen Gegend ist das hier“, sagte der eine von ihnen mit schwerer Zunge. „Erst der Höllenlärm da draußen auf der Straße, und jetzt ist auch noch der fette Plymson verschwunden.“ Er rülpste laut, hob den Zinnkrug hoch und schleuderte ihn hinter die Theke.
„He, Plymson, du fette Bisamratte!“ brüllte er. „Hast du nicht gehört? Unser Wein ist alle!“ Er drehte sich zu seinem Kumpan um, der mit glasigen Augen auf die mit Weinlachen übersäte Tischplatte starrte. „Du trinkst doch noch einen mit mir, Blacky, oder?“
Der bärenstarke schwarzhaarige Kerl öffnete den Mund, um zu antworten. Er brachte keinen Ton hervor.
„Du siehst aus wie ein Hering, den man an Land geworfen hat“, sagte Ben Brighton kichernd. „Und du bist auch einer, wenn du nicht einmal ein bißchen gepanschten Wein vertragen kannst. Ich hab gedacht, in könnte mit dir einen schönen Zug durch die Gemeinde ...“
Ben stockte. Sein Kopf hob sich schwerfällig. Er kniff die Augen ein paarmal zusammen, um den Nebel zu verscheuchen, der sich im Raum ausgebreitet hatte. Er hörte die helle Stimme eines Mädchens. Verdammt, wo kam bloß der Nebel her? Ben wischte sich über die Augen. Und dann sah er verschwommen, wie sich die mollige Rose an einen jungen Burschen klammerte.
„Du kannst mich jetzt nicht allein lassen, Dan!“ rief sie. „Ich habe Angst. Die nächste Kugel kann unser Haus treffen!“
„Verkriech dich bei Plymson hinter der Theke“, sagte Donegal Daniel O’Flynn wütend. Fast fünf Minuten waren bereits vergangen, seit die ersten Kugeln der Spanier in die Stadt geflogen waren. Er war sofort aus dem warmen Bett der weichen und liebebedürftigen Rose gesprungen, aber das verrückte Weib hatte sich an ihn gehängt und wollte ihn nicht gehen lassen.
Dan O’Flynn hatte sofort erfaßt, was der Angriff auf Plymouth zu bedeuten hatte. Er wußte, daß sein Platz jetzt auf der „Isabella“ war. Er riß sich endgültig von Rose los, deren Stimme in ein keifendes Gezeter überging.
„Ben! Blacky!“ schrie Dan. „Wir müssen zur Mill Bay! Hasard wartet bestimmt schon auf uns!“
Blacky saß plötzlich stocksteif auf seinem Stuhl.
„Bi – bist du verrückt?“ lallte er. „Wir haben Freiwache, und der Klabautermann soll mich mit seiner Gro – großmutter verkuppeln, wenn ich jetzt zu – zurück an Bord gehe!“
Ben Brighton grinste Dan an.
„Besorg uns noch eine Kanne Wein, Junge“, sagte er mit schwerer Zunge. „Und dann trink einen mit mir. Dieser besoffene Hering hier neben mir kann nichts mehr vertragen.“
Dan O’Flynn sah, daß die beiden im Augenblick nicht ansprechbar waren. Er mußte zu härteren Mitteln greifen, um ihnen klarzumachen, wie ernst die Situation war.
Er sah den verbeulten Ledereimer neben der Theke stehen, nahm ihn und tauchte ihn in die Zinkwanne, in der Plymson seine Weinkannen ausspülte.
Ben Brighton und Blacky ahnten nicht, was ihnen blühte. Sie grinsten das Bürschchen an, das da vor ihnen stand und sein grimmigstes Gesicht aufgesetzt hatte.
Dann platschte das Wasser in ihre Gesichter.
Fast zehn Sekunden sagte keiner von ihnen ein Wort. Sie hatten die Münder offenstehen und schnappten nach Luft. Blacky fing sich als erster, obwohl es ausgesehen hatte, als sei er schon hinüber. Aber seine fast schon krankhafte Abneigung gegen Wasser ließ ihn auf einen Schlag wieder nüchtern werden.
Ein Brüllen drang aus seiner Kehle. Mit einem Ruck erhob er sich und stieß den Holztisch um.
„Du kleiner Dreckskerl!“ schrie er wutentbrannt. „Das wirst du mir bü ...“
Dan hatte den Ledereimer bereits zum zweitenmal mit der rötlichen Jauche gefüllt, die nach abgestandenem Wein stank. Blacky hob die Hände und wollte dem Wasserstrahl ausweichen, aber seine Reaktion war viel zu langsam. Die volle Ladung klatschte in sein Gesicht. Er prustete wie ein Walroß. Seine mächtigen Pranken schossen nach vorn, doch Dan hatte sich bereits außer Reichweite gebracht.
Mit ein paar Schritten war das Bürschchen bei Ben Brighton, der immer noch wie ein begossener Hund auf seinem Stuhl hockte, und rüttelte ihn an der Schulter.
„Verdammt, Ben!“ rief er. „Die Spanier greifen Plymouth an! Begreifst du denn nicht? Sie werden unsere schöne ‚Isabella‘ in Klump schießen!“
Dan spürte eine Faust in seinem Nacken. Er wollte sich aus dem Griff winden, es gelang ihm nicht mehr. Was Blacky gepackt hatte, hielt er auch fest. Dan sah die andere Faust Blackys auf sich zusausen und schloß die Augen. Er hätte vor Wut zerplatzen können. Warum mußten sich diese verfluchten Kerle immer besinnungslos besaufen, wenn man sie mal an Land ließ?“
Er wartete auf den Schlag, doch der kam nicht.
Erstaunt öffnete er die Augen. Er sah die mächtige Faust Blackys dicht vor seiner Nase. Blacky hatte die Stirn in Falten gezogen. Er schien angestrengt nachzudenken.
„Was hast du gesagt?“ fragte er schließlich.
„Die Dons greifen unsere ‚Isabella‘ an!“ rief Dan hastig. „Der Seewolf braucht uns! Er kann doch nicht allein gegen die Tintenfischfresser kämpfen!“
Der harte Griff in Dans Nacken löste sich, und das Bürschchen fiel auf den harten Bretterboden. Blacky kümmerte sich nicht mehr um den fluchenden Jungen. Er packte Ben Brighton, um dessen Lippen bereits wieder ein seliges Grinsen spielte, am Kragen und riß ihn vom Stuhl hoch. Als Ben sich wehren wollte, mußte er