Seewölfe Paket 14. Roy Palmer
Zeit drängte, denn inzwischen war schon ein zweiter Hai aufgetaucht.
„Himmel, Arsch und Wolkenbruch!“ fluchte Old O’Flynn. „Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn die Biester noch länger auf ihren Besuch verzichtet hätten.“ Dann legte er eine Muskete an.
Der Schuß löste sich krachend, doch der Schatten unter der Wasserfläche hatte sich just in diesem Moment zur Seite bewegt. Nachdem die Kugel eine kleine Fontäne hochgerissen hatte, schien der Hai einen Atemzug lang zu zögern. Offenbar hatte ihn der plötzliche Angriff erschreckt. Doch dieser Zustand war nur von kurzer Dauer, dann nun begann der gefräßige Räuber erst einmal Kreise zu ziehen.
Im selben Augenblick war zu erkennen, wie der erste, von Will Thorne verwundete Hai, der ein Stück abgetaucht war, wie ein Irrer in die Reste der Fockmastwanten des Wracks raste und dort hängenblieb. Das Tier geriet in Panik, und während sein Blut weiterhin das Wasser rötlich verfärbte, tobte es wie verrückt.
Pete Ballie, Smoky und Bob Grey erreichten in diesem Moment die Wasseroberfläche. Sie wußten, daß ihr Auftauchen ein Wettlauf mit dem Tod war. Deshalb hangelten sie sich unter Einsatz aller Kräfte blitzschnell an ihren Leinen hoch, die von den Männern an Bord der Sambuke sofort an Klampen belegt wurden. Keuchend stießen sie dabei die Luft aus ihren Lungen.
„Das war verdammt knapp!“ stellte Ben Brighton fest.
Und er hatte recht damit, denn der zweite Hai, der den Schauplatz lauernd umkreist hatte, zischte genau in diesem Augenblick dicht unter den aufenternden Männern hindurch. Er bewegte sich direkt unter der Wasseroberfläche, der riesige Körper war bereits etwas gedreht, und das furchtbare Maul war weit zum Zubeißen geöffnet.
Für einen Moment stockte den Seewölfen der Atem, doch dann bewies der alte, grauhaarige Will Thorne zum zweiten Male, daß er immer noch ein ausgezeichnetes Reaktionsvermögen hatte.
Noch während sich die drei Taucher an den Leinen hochhangelten, hatte er eine der noch von Ferris Tucker, dem Schiffszimmermann der „Isabella“, konstruierten Flaschenbomben gezündet, die mit Pulver, Eisenstücken und Nägeln gefüllt war. Und diese gefährliche Flaschenbombe flog jetzt, genau zum richtigen Zeitpunkt, zielgenau in den weitgeöffneten Rachen des Hais.
Das Fischmaul krachte sofort zu, und damit war der Untergang des gefährlichen Räubers besiegelt.
Es dauerte etwa fünfzehn Sekunden, dann flog der riesige Fischleib mit einem dumpfen Knall auseinander. Die Detonation hatte ihn buchstäblich in Stücke gerissen. Innerhalb von Augenblicken färbte sich das Wasser rot von seinem Blut.
Doch damit war der Spuk noch nicht zu Ende. Den Seewölfen, die sich jetzt alle sicher an Bord ihres Seglers befanden, standen schon gleich darauf erneut die Haare zu Berge, denn urplötzlich, als habe man sie herbeigezaubert, wimmelte es in der Bucht von Kanais nur so von Haien. Wohin sie auch blickten, überall wurde das Wasser von den Dreiecksflossen gepflügt.
Pfeilschnell und unaufhaltsam schossen die Raubfische, die durch das Blut im Wasser angelockt worden waren, auf die Überreste ihres zerstückelten Artgenossen zu. Auch jenen Räuber, der noch immer in den Fockwanten der „San Marco“ herumtobte, hatten sie längst im Visier.
Die wilde, grausige Freßorgie, die sich dann vor den Augen der Seewölfe abspielte, würde ihnen ohne Zweifel bis an das Ende ihrer Tage in Erinnerung bleiben.
6.
Das schreckliche Massaker, das sich unter der sengenden Sonne des frühen Nachmittags in der Bucht von Kanais abspielte, war bald zu Ende. Die Seewölfe standen immer noch wie erstarrt, und einige von ihnen hatten es nicht verhindern können, daß ihnen das Grauen eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Will Thorne, der in seinem langen Leben schon viel Schreckliches gesehen hatte, brach als erster das allgemeine Schweigen.
„Siehst du, Donegal“, sagte er in seiner ruhigen und bedächtigen Art, „es geht auch ohne Koch. Die Haie haben jedenfalls keinen gebraucht.“
Der alte O’Flynn kniff die Augen zusammen. „Was willst du damit sagen, Mister Thorne? Hast du vielleicht keine Lust mehr, für uns zu kochen, he?“
„So war es nicht gemeint.“ Will Thorne lächelte. „Gerade da es euch so gut schmeckt, bereitet mir die Arbeit in der Kombüse besonders viel Spaß.“
„Das will ich auch hoffen“, knurrte Old O’Flynn besänftigt. „Überall an Bord duftet es nämlich jetzt noch so herrlich nach Knoblauch. Willst du nicht mal die Burschen da draußen damit füttern? Bis jetzt weiß noch niemand, wie sie auf Knoblauch reagieren. Vielleicht würden sie sogar daran eingehen, wer weiß. Es soll sogar Leute geben, die schon böse Geister und selbst den Teufel mit Knoblauch vertrieben haben.“
„Das glaube ich nicht, Mister O’Flynn“, erklärte Sam Roskill. „Wenn das Zeug so wirksam wäre, dann hättest du bestimmt schon die Hacken gezeigt.“
Die Starre, die über den Männern gelegen hatte, war nun jedenfalls gebrochen. Rasch kehrten sie in die Wirklichkeit zurück, denn vor ihnen lag ein Problem, von dem sie noch nicht wußten, wie sie es lösen sollten. Es mußte unbedingt Kriegsrat an Bord der Sambuke gehalten werden, denn die Haie dachten noch nicht daran, die Bucht wieder zu verlassen.
„Und was wird jetzt aus unseren schönen Klunkerchen?“ fragte Bob Grey. „Hat irgend jemand Lust zum Tauchen?“
Doch danach stand im Moment niemand der Sinn. Auch Ben Brighton hatte ein skeptisches Gesicht.
„Vielleicht sollten wir überlegen, ob wir unter diesen Umständen weiter tauchen wollen“, sagte er. „Ich bin jedenfalls nicht dafür, daß jemand sein Leben wegen dem ganzen Plunder da unten riskiert.“
„Plunder ist gut“, brummte Smoky, „das sind Schätze, richtige Schätze von unermeßlichem Wert.“
„Und wenn schon“, erwiderte Ben Brighton. „Ich möchte auf keinen Fall wegen des Zeugs einen Mann verlieren. Es wäre unverantwortlich, wegen eines Schatzes Menschenleben aufs Spiel zu setzen.“
„Du hast schon recht, Ben“, pflichtete ihm Al Conroy bei. „Wir brauchen ja auch nichts zu überstürzen. Du hast ja selber gesagt, daß niemand mit der Neunschwänzigen hinter uns steht und uns antreibt. Wir könnten doch zunächst einmal abwarten, was die Haie weiter so treiben. Es kann ja durchaus sein, daß sie recht bald wieder verschwinden, wenn sie erst einmal kapiert haben, daß es hier nichts mehr für sie zu holen gibt.“
Ben Brighton nickte. „Natürlich werden wir erst einmal abwarten. Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, wenn wir unseren guten alten Stockanker nicht hier zurücklassen wollen. Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit einmal daran erinnern, daß er immer noch da unten festsitzt.“
„Das soll uns im Moment nicht stören“, fuhr Al Conroy fort. „Ich habe nämlich noch eine ganz andere Idee, wie wir doch noch an die Schätze heran können.“
„Da bin ich aber gespannt“, brummelte Old O’Flynn, „ja, da bin ich gespannt wie ein Flitzebogen. Willst du vielleicht den Haien die Schwanzflossen zusammenbinden, damit sie nur noch im Reigen schwimmen, wie?“
„Diese Idee ist von dir, Donegal“, erwiderte Al Conroy. „Du kannst die Sache ja mal ausprobieren. Eigentlich kann dir nicht viel passieren. An deinem Holzbein würden sich die Biester die Zähne ausbeißen und am Rest könnten sie sich höchstens noch den Magen verderben.“
Wumm! Das saß! Old Donegal tat, als habe er diese Worte nicht gehört. Der stämmige Waffen- und Stückmeister konnte deshalb ungehindert fortfahren, seine Idee darzulegen.
„Man könnte“, so erklärte er, „auch außerhalb der Bucht Köder auslegen, um die Haie von hier fernzuhalten. Jedenfalls sollten wir es einmal probieren. Ich habe nämlich überhaupt keine Lust, all die schönen Sachen in dem Wrack zurückzulassen.“
Dieser Vorschlag ließ die Männer aufhorchen. Selbst der alte O’Flynn spitzte längst wieder die Ohren. Schließlich hatten