Seewölfe Paket 14. Roy Palmer
so wie die vielen anderen, die vorgaben, Archis Stimme zu lauschen und wegen der besseren Konzentration die Augen geschlossen hatten.
In Wahrheit dösten sie vor sich hin, waren einigermaßen satt und zufrieden und ließen eine Litanei nach der anderen an sich vorbeiplätschern. Archibalds sanfte Worte, das Wiegen der Karavelle auf dem Wasser, das alles lullte sie ein, und so stand Archibald vor seiner Mannschaft und dozierte vor dösenden Kerlen.
Hin und wieder hielt er inne und linste über die Bibel. Aber sobald seine Stimme verstummte, öffneten sich die Augen der Kerle, die darauf gedrillt waren, bei einem plötzlichen Schweigen des Masters augenblicklich zu erwachen. Archibalds Eindruck, daß sie ganz genau zuhörten, verstärkte sich dadurch jedesmal. Nein, da schlief kein einziger, sie hatten die Augen wohl doch nur der besseren Konzentration wegen geschlossen, und sobald er einmal schwieg, sahen ihn diese Augen erwartungsvoll an.
Sehr zufrieden und nach einem leisen Räuspern, las der Kapitän weiter.
Erst der Ruf aus dem Ausguck ließ alle zusammenzucken.
„Drei Schiffe Steuerbord voraus!“ schrie der Mann an Deck. „Es scheinen drei Feluken zu sein.“
Archibald klappte die Bibel zu, drehte sich um und blickte über das Wasser, das ruhig und langgezogen dünte. Er hatte scharfe Augen und nickte, als er die Feluken erkannte. Sie segelten in Dwarslinie Kurs Nordwest. Die Dwarslinie war langgezogen, und wenn die „Arethusa“ auf ihrem Kurs blieb, würde sie mitten durch die Feluken hindurchsegeln müssen.
„Es scheint“, sagte Cribbs, „als suchten sie die See ab, denn diese Art der Segelei ist doch recht merkwürdig.“
Die anderen waren hellwach. Mißtrauen war immer angebracht, wenn sie gerade hier im Mittelmeer, wo es von Piraten und Küstenhaien nur so wimmelte, anderen Schiffen begegneten. Bisher war ja immer alles gutgegangen, aber man konnte nie wissen. Denn Cribbs These nahmen sie zwar alle zur Kenntnis, sie glaubten nur nicht daran, daß sich alle anderen auch friedlich verhielten.
Nach einer Weile war deutlich zu sehen, daß die Feluken ganz leicht den Kurs änderten. Die Linie hielt auf sie zu.
„Die wollen etwas von uns, Sir“, sagte Roger. Sein Gesicht war besorgt und mißtrauisch, und seine blauen Augen irrten von den heransegelnden Feluken wieder zu Archibald Cribbs. „Sie sollten vielleicht doch lieber vorsichtshalber Waffen ausgeben lassen, Sir. Und die Neunpfünder …“
Archibald Cribbs sah den blonden Engländer fast entrüstet an.
„Geht denn das schon wieder los?“ sagte er. „Habe ich euch nicht jeden Tag gepredigt, daß wir anderen friedlich begegnen und die dann das gleiche tun? Die vier Kanonen bleiben unter der Leinwand, und Waffen werden ebenfalls nicht ausgegeben. Diese drei Feluken sind friedliche Handelsfahrer, genau wie wir, und es ist nur natürlich, daß sie sich eine englische Karavelle einmal aus der Nähe ansehen wollen. Wir werden sie freundlich empfangen, wie das Christenpflicht ist, und ein paar nette Worte oder Gesten mit ihnen wechseln, und wenn sie merken, daß wir in absolut friedlicher Absicht nach Beirut wollen, werden sie sich ebenso friedlich verhalten wie wir.“
„Sir“, sagte Roger. „Das meine ich doch nur – äh – symbolisch. Wir könnten uns ja symbolisch bewaffnen und die Waffen verstecken.“
„Und was sollen diese Männer von uns denken, wenn sie die Waffen trotzdem sehen? Ich werde es dir sagen: Sie werden denken, wir wollten sie provozieren oder sie heimtükkisch angreifen. Schlagt euch das aus dem Kopf, Männer. Wir sind friedliche und gottesfürchtige Kauffahrer.“
„Und wenn es doch Piraten sind?“ fragte Roger grimmig.
Aber Archibald Cribbs hatte auch darüber recht eigenartige Ansichten.
„Hat uns schon mal ein Pirat aufgebracht? Nein, natürlich nicht. Was wollte er auch von uns! Wir haben nichts, wir wollen nichts von ihnen, wir sind freundlich und höflich, und das werden selbst Piraten einsehen müssen. Wenn sie sich wirklich unfreundlich benehmen, werde ich ihnen zurufen: Liebet einander! Und alles ist in Ordnung.“
„Verdammt noch mal“, sagte der Bootsmann so leise, daß Archie ihn wieder nicht verstand. „Ist der Kerl denn vernagelt? Wir rennen doch in unser Verderben, wenn das wirklich Piraten sind. Weshalb denn grasen sie das Meer in breiter Formation ab!“
„Sie verstehen unsere Sprache doch nicht“, versuchte Roger es noch einmal, um Cribbs umzustimmen. „Und wir verstehen auch nicht, was sie sagen. Und wenn wir von Liebe und Freundschaft faseln, dann schneiden sie uns die Köpfe vom Hals.“
Archibald umklammerte seine Bibel, sah die Männer noch einmal streng an und schüttelte dann entschieden den Kopf.
„Wir bleiben auf Kurs“, entschied er. „An Bord meines Schiffes wird jedenfalls nicht geschossen, auch die Kanonen werden nicht ausgerannt. Wir sind friedliche Seefahrer.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und kehrte aufs Achterdeck zurück.
„Friedliche Seefahrer!“ höhnte Roger. „Kalfaterte Blödmänner sind wir. Archie sieht in jedem Schnapphahn nur das Gute. Ich für meinen Teil werde mich jedenfalls zu verteidigen wissen, und wenn es nur mit meinem Entermesser ist. Euch würde ich dasselbe empfehlen.“
„Darauf kannst du dich verlassen“, sagte der Bootsmann. „Ich habe mich mein Leben lang rumgeprügelt, und ich schlage lieber zuerst zu, dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.“
Wieder änderten die Feluken leicht den Kurs. Ihre Absicht war unverkennbar. Sie wollten sich die Karavelle einmal aus der Nähe ansehen, und beim bloßen Ansehen würde es ganz sicher nicht bleiben.
2.
Was dem ahnungslosen und gutgläubigem Archibald Cribbs dort entgegensegelte, war kein geringerer als der alte Schnapphahn Muley Salah, der immer noch auf der Suche nach der Sambuke und damit der Seewölfe-Gruppe um Ben Brighton war.
Bisher hatte er sie noch nicht gefunden. Falls ihm das auch weiterhin nicht gelang, würde es ihn den Kopf kosten. So hatte Uluch Ali beschlossen, und was Uluch Ali, der schlimmste und auch älteste Pirat des Mittelmeeres, beschloß, das wurde ausgeführt.
Uluch Ali – der Name war schon zu seinen Lebzeiten zur Legende geworden, zu einer üblen Legende, die von Algier bis nach Alexandria bekannt war.
Der türkische Sultan Murad III. hatte ihn als Beylerbey eingesetzt, und so konnte Uluch Ali uneingeschränkt sein Reich aufbauen und so grausam herrschen, wie es ihm beliebte.
Der letzte üble Piratenknochen war Chaireddin gewesen, aber Ali stand ihm längst in nichts mehr nach. Er hatte erfahren, daß ein paar Christenhunde, englische Christenhunde, die er ganz besonders haßte, ein Wrack ausgeplündert hatten, das von seinen Leuten versenkt worden war. Ein Teil der Beute, ein paar mit Gold, Perlen und Edelsteinen gefüllte Truhen, befand sich an Bord der Sambuke, die er seit Tagen verfolgen ließ.
Sein Haß auf die Engländer hatte ebenfalls einen einfachen Grund: Ein Engländer war es gewesen, Philip Hasard Killigrew nämlich, der Uluch Ali vor Jahren in einem Säbelduell fast zerfetzt hatte. Niemand an Bord der „Isabella“ hatte geglaubt, daß Uluch Ali das überlebt hätte, aber er hatte, wenn auch zerhackstückt und fast tot.
Diese seine schmählichste Niederlage saß ihm auch heute noch in den Knochen, und er würde sie nie vergessen.
Jetzt also waren die drei Feluken dabei, die See nach der geflüchteten Sambuke abzusuchen – bisher vergeblich. Und nun entdeckten sie die englische Karavelle.
Muley Salah wußte, daß sein Kopf in den Sand rollen würde, wenn er die verhaßten Engländer nicht aufbrachte. Ali würde ihn erst auspeitschen, dann foltern und schließlich köpfen lassen. Er hatte nur noch diese eine Chance, die Sambuke zu finden, mochte es auch noch Tage dauern.
Dann sah er die englische Flagge und grinste zufrieden. Über sein narbiges grausames Geiergesicht legte sich ein Zug teuflischer Freude.
Nun, dachte er, Ali war auf