Seewölfe - Piraten der Weltmeere 242. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 242 - Roy Palmer


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Kreta und Rhodos lag.

      „Dies ist Karpathos“, erklärte er. „Nach meinen Berechnungen befinden wir uns rund zwanzig Meilen querab ihres südlichen Ufers, und zwar hier.“

      Er bestimmte mit der Fingerkuppe einen Punkt, der südöstlich der Insel im Mittelmeer lag.

      „Ich habe unsere Position auch überprüft“, sagte Dan O’Flynn. „Sie stimmt mit deiner Berechnung völlig überein.“

      „Also, wir haben die Wahl. Entweder laufen wir Karpathos an, um dort vor dem drohenden Sturm Schutz zu suchen, oder aber wir segeln bis nach Rhodos weiter, um dort eine Bucht zu suchen.“

      „Andere Inseln gibt es in unserer nächsten Umgebung nicht?“ fragte Shane.

      „Das siehst du doch“, brummte der alte O’Flynn. „Die kleineren Inseln der Sporaden, Kykladen und Dodekanes liegen alle weiter nördlich.“

      „Du weißt ja genau Bescheid, Donegal“, sagte Ferris Tucker. „Donnerwetter, das hätte ich gar nicht von dir erwartet.“

      Der Alte warf ihm einen giftigen Blick zu. „Mister Tucker, irre ich mich – oder waren wir schon mal in dieser schönen Gegend?“

      „Du irrst dich nicht. Aber wie lange liegt das nun schon zurück! Himmel, man vergißt doch so vieles wieder“, sagte Ferris grinsend.

      „Ja, ja“, murmelte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Und bei dir ist der Gedächtnisschwund schon weiter fortgeschritten als bei mir, wenn’s das ist, auf was du anspielst.“

      „Aber, Donegal!“ stieß der rothaarige Schiffszimmermann in scheinbarer Entrüstung aus. „Wie kannst du denn so was von mir glauben?“

      „Von euch Satansbraten ist alles mögliche zu erwarten“, sagte der Alte. „Aber bei mir im Gehirn funktioniert noch alles prächtig, und ich hab ein Gedächtnis wie die Bibel, merk dir das.“

      „Du bist auch so alt wie die Bibel, Mann“, meinte Shane. „Und nun halt mal die Luft an, Ben will was sagen.“

      „Karpathos wäre ein Umweg“, sagte Ben Brighton. „Wir müßten ein Stück nach Nordwesten zurücksegeln. Viel Zeit würde das bei diesem Wind nicht in Anspruch nehmen, aber ebenso schnell wären wir auch in Rhodos. Wir brauchen nur am Wind Kurs Nordosten zu steuern.“

      „Und Rhodos würde bedeuten, wir wären schon wieder einen Schritt näher an unserem eigentlichen Ziel“, sagte der Seewolf. „Ich denke, wir schaffen es, die Insel zu erreichen, ehe der Sturm richtig losbricht.“

      Smoky hatte einen Blick durch die Tür zur Heckgalerie ins Freie geworfen. Er rammte die Tür wieder zu, kehrte ans Pult zurück und sagte: „Die Schauer- und Gewitterwolken drängen sich zusammen. Der Wind nimmt an Stärke zu.“

      „Hast du Wassersäcke an der Unterseite der Wolken sehen können?“ fragte Hasard.

      „Nein, noch nicht.“

      „Dann lassen Regen und Hagel wohl noch ein wenig auf sich warten. Mit den ersten Orkanböen ist erst nach Dunkelwerden zu rechnen.“ Der Seewolf sah die Männer der Reihe nach an. „Wir wagen es. Abwettern können wir den Sturm auf keinen Fall, die Wetterlage ist gerade um diese Jahreszeit unberechenbar. Aber Rhodos dürfte für uns als Zufluchtsort so gut wie sicher sein.“

      Ferris Tucker blickte wieder auf die Karte, die fast den gesamten Teil des östlichen Mittelmeeres zeigte. „Und wie weit ist es von Rhodos bis nach Ägypten? Ach, verdammt, das ist ja noch ein langer Törn. Ob wir den wohl vor Jahresende noch schaffen?“

      „Ich habe mir fest vorgenommen, zu Weihnachten am Nil zu sein“, entgegnete der Seewolf. „Und ich schwöre euch, daß ich meinen Zeitplan einhalte.“

      „Das heißt, wir gehen so bald wie möglich wieder auf Südkurs?“ fragte Smoky.

      „Ja. Sobald Wind und Wetter es wieder zulassen.“

      „Weihnachten am Nil“, brummte der alte O’Flynn. „Also, so richtig geheuer ist mir das nicht, aber was sein muß, muß sein. Ob wir denn wohl wirklich Schätze finden – oder vielleicht nur Sand, nichts als Sand?“

      Hasard lachte. „Donegal, wenn man dich so reden hört, kriegt man die richtige Vorfreude auf Ägypten. Du bist der geborene Optimist.“

      „Ja, Sir. Und ich habe keine Lücke im Hirn.“

      „Wie kannst du da so sicher sein?“ wollte Ferris Tucker wissen. „Ich finde, wir sollten das mal durch den Kutscher überprüfen lassen.“

      „Wie denn?“ fragte der Alte verblüfft. „Das geht doch gar nicht.“

      Sein Sohn wandte sich ihm mit ernster Miene zu. „Doch, Dad. Man braucht dazu nur ein Kalfateisen und einen großen Hammer.“

      Old O’Flynn wollte der „Bande von Höllenbraten“, wie er die Männer zu nennen pflegte, gerade ein paar derbe Verwünschungen entgegenschleudern, da ertönte aus dem Großmars die Stimme Bills.

      „Deck! Mastspitzen Steuerbord voraus! Ein Schiff mit drei Masten! Es segelt auf uns zu!“

      „Sehen wir nach, was es mit dem Bruder auf sich hat“, sagte der Seewolf. Er rollte die Karte zusammen und verstaute sie in der Schublade des Pultes, dann verließ er die Kapitänskammer. Die anderen folgten ihm.

      Antos kehrte in sein Dorf zurück, um sich auf das Bevorstehende vorzubereiten. Er wollte seine besten Kleider anlegen und seine Bartstoppeln abrasieren. Er wollte sich fein herausputzen für die Ankunft der Schiffe.

      Pigadia lag versteckt im Hügelland der Insel Rhodos und war so an die Hänge gebaut worden, daß es von der See her nicht eingesehen werden konnte – eine Maßnahme zum Schutz der Bewohner vor Piraten. Man brauchte aber nur wenige Schritte von den Häusern in Richtung auf das Ufer zu tun, um zwischen Felsenvorsprüngen auf die Bucht schauen zu können, in deren Grotten wohlbehütet und vor fremden Blicken gesichert die Fischerboote lagen.

      Pigadia hockte wie der Horst eines Seeadlers auf dem Berg, und nur zwei Pfade führten hinauf, der eine von der Bucht her, der andere aus dem Innern der Insel, um die Olivenhaine mit dem Dorf zu verbinden.

      Die Häuser waren klein und ineinander verschachtelt. Sie standen übereinander, und bei den meisten bildete die Decke den Fußboden der darüberliegenden Behausung.

      Antos schritt im ersterbenden Licht der Dämmerung durch die Gasse, die ihn zu seinem kleinen Haus brachte. Ein Haus mit nur einem Raum, das erbärmlichste Heim von ganz Pigadia, in dem man nur dahinvegetieren, aber nicht richtig leben konnte.

      Antos war vergnügt und schlug im Voranschreiten wieder die Saiten seiner Lyra an.

      Eine der Frauen reckte ihren Kopf zum Fenster hinaus. Es war Melania, eine Witwe mit drei Kindern, die ihren Mann im Sturm verloren hatte, wie Antos seine Familie hatte ertrinken sehen müssen. Sie hatte viel Verständnis für das Schicksal des armen Teufels, und oft gab sie ihm zu essen und zu trinken und lud ihn in ihr Haus ein. Dies hatte anfangs Anlaß zu allerlei Klatsch und Tratsch gegeben, doch inzwischen hatte man in Pigadia begriffen, daß Melania mit Antos wirklich nichts anderes im Sinn hatte, als ihm ein bißchen dabei zu helfen, sein bitteres Los zu ertragen.

      „Antos!“ rief sie ihm zu. „Was tust du um diese Zeit noch draußen? Der Wind bläst dich fort! Komm herein oder geh in dein Haus!“

      „Ich gehe nach Haus“, sagte Antos mit feierlicher Miene. „Ich ziehe mich fein an und wasche mich, denn es ist soweit.“

      „Ich verstehe nicht, was du sagst!“ rief sie.

      Er trat näher an ihr Haus und sprach etwas lauter, um das Jaulen und Pfeifen des Sturmwindes zu übertönen. Er wiederholte Wort für Wort, was er gesagt hatte.

      Sie sah ihn halb verständnislos, halb zweifelnd an. „Schiffe? Ich glaube nicht, daß bei diesem Wetter noch jemand unterwegs ist. Und wer sollte auch schon nach Rhodos segeln? Es liegt schon viele Jahre zurück, daß wir in Pigadia Besuch gehabt haben.“

      „Es


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