Seewölfe - Piraten der Weltmeere 67. John Brix

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 67 - John Brix


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schließlich längst tun können. Nein, die Entführung der beiden Kinder war nur Mittel zum Zweck, ein Druckmittel, um ihn zu erpressen. Aber zu was? Alles, was sie erreichen konnten, hatten sie doch schon erreicht. Seine Frau war auf der Flucht vor ihren Nachstellungen ertrunken, die Königin hatte einen bereits erteilten Kaperbrief widerrufen und gegen ihn Haftbefehl erlassen. Durch die Schuld von Keymis und Burton war seine Familie zerstört, sein Ruf ruiniert und er selbst zu einem Flüchtigen vor dem Gesetz geworden. Was also konnten sie noch wollen? Was wollten sie noch aus ihm herauspressen? Es konnte höchstens sein, daß sie bei ihm noch einen Schatz vermuteten.

      „Seine Exzellenz, der allergnädigste Pascha lassen bitten“, unterbrach eine Stimme seine Überlegungen.

      Er wandte sich um. Der dicke Hassan ben Iskander trat auf ihn zu.

      Hasard zog mit einer mechanischen Bewegung seinen Lederkoller zurecht, den er über einem einfachen Baumwollhemd trug.

      Zwei bärtige Türken, die zu beiden Seiten einer breiten Tür standen und den Zugang mit gekreuzten Speeren versperrten, rissen ihre Waffen zur Seite, als Hassan und Hasard auf sie zuschritten. Einer von ihnen stieß die Tür auf.

      Sie traten in ein großes, rundes Zimmer, das völlig kahl war. Nur ein kleiner, runder Tisch stand auf den dicken Teppichen, die fast den ganzen Boden bedeckten. Die Luft war dumpf und roch nach irgendwelchen Kräutern, zwei trübe Ölfunzeln verbreiteten mattes Licht. Fenster gab es nicht, aber Hasard erkannte, daß dieser Raum früher welche gehabt hatte. Sie waren nur zugemauert worden. Der Pascha schien nicht sehr beliebt zu sein.

      Er hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem thronartigen Divan, der auf einem Podest stand. Der Pascha war ein alter, aufgeschwemmter Mann mit einem hennagefärbten Bart und einem Turban, der seinem Rang entsprechend bestickt und mit einem großen Rubin geschmückt war. Auch auf seinen dicken Wurstfingern trug er kostbare Edelsteine. Die rechte Hand spielte mit einer Kette aus dicken Bernsteinkugeln.

      Hassan ben Iskander verneigte sich, so tief es seine Fülle zuließ.

      „Sie müssen sich verbeugen“, flüsterte er Hasard zu.

      Hasard hielt ein leichtes Kopfnikken für völlig ausreichend. Er verstand nicht, was der dicke Hassan zu dem kaum weniger fülligen Pascha sagte, und was dieser ihm antwortete. Er war auch nicht sonderlich neugierig darauf.

      „Verbeugen“, zischte ihm Iskander kurz darauf wieder zu. Die Audienz schien beendet zu sein.

      „Sie Glücklicher“, sagte Hassan strahlend, als sie das düstere Gelaß wieder verlassen hatten. „Seine Exzellenz hat Gefallen an Ihnen gefunden.“

      „Welche Ehre.“

      „Er bittet Sie, als sein persönlicher Gast im Serail zu bleiben.“

      „Das ist sehr nett von ihm, aber ich muß mich um mein Schiff kümmern.“

      „Das lassen Sie bitte unsere Sorge sein.“ Das angefrorene Lächeln verschwand für ein paar Sekunden. „Sie kennen die Sitten des Orients noch nicht, mon Capitain. Es ist eine Beleidigung, die Gastfreundschaft eines Herrschers auszuschlagen. Eine tödliche Beleidigung.“

      „Trotzdem, sagen Sie bitte Seiner Exzellenz …“

      „Ach, ehe ich es vergesse: Morgen findet ein sehr interessantes Schauspiel statt, zu dem ich Sie herzlich einladen möchte.“ Das Grinsen erschien wieder auf dem feisten Gesicht. „Interessant – und sehr lehrreich!“

      „Seid doch vernünftig, Leute“, sagte Ben Brighton mahnend. „Hasard hat uns ausdrücklich befohlen, nichts zu unternehmen, bis er zurück ist.“

      „Aber er ist nicht zurück! Darum geht es doch!“ Matt Davies schlug seine Unterarmprothese mit dem Stahlhaken auf die Back. „Er hat gesagt, er würde gegen Sonnenuntergang zurück sein.“

      „Richtig! Und jetzt ist es zehn Uhr!“ rief Jeff Bowie.

      Sie saßen im Mannschaftsraum im Vorschriff der „Isabella“. Das heißt, soweit sie auf den Kojenrändern Platz fanden. Die anderen drängten sich um die Back.

      „Du weißt genauso gut wie wir, daß Hasard sein Wort hält“, sagte Dan O’Flynn hitzig. „Wenn er bis jetzt noch nicht hier ist, dann muß was faul sein.“

      „Das bedeutet, daß irgend etwas dazwischengeraten ist und er später zurückkehrt“, sagte Ben Brighton.

      „Oder er kann nicht kommen, weil er irgendwo eingesperrt worden ist“, sagte Blacky. „Ich traue diesen Ungläubigen nicht.“

      „Wozu denn die ganze Quatscherei!“ rief Bob Grey. „Ich schlage vor, wir gehen an Land und sehen uns mal ein bißchen um. Und wenn sie den Seewolf wirklich eingesperrt haben sollten …“

      „Was dann?“ fragte Ben Brighton ruhig.

      „Dann hauen wir ihn heraus.“

      „Gegen eine ganze türkische Garnison?“

      „Wir sind schließlich fast zwanzig Männer!“

      „Von denen wir höchstens zehn losschicken können“, sagte Ben Brighton.

      „Und warum können wir nicht alle gehen?“

      „Weil mindestens zehn Mann an Bord bleiben müssen“, erwiderte Ben Brighton ruhig.

      „Aber wir können doch nicht einfach hier herumsitzen und so tun, als sei alles in bester Ordnung!“

      „Das werden wir auch nicht“, sagte Ben Brighton. „Aber wir dürfen deshalb nicht den Verstand ausschalten. Ich schlage euch einen Kompromiß vor: Drei von euch gehen an Land und versuchen festzustellen, wo Hasard ist und warum er nicht zurückkehrt.“ Er machte eine kurze Pause und blickte die Männer der Reihe nach an. „Dan, du wirst die Führung übernehmen. Und ich denke, du solltest Batuti und Smoky mitnehmen.“

      Ein paar der Männer, die damit von dem Unternehmen ausgeschlossen wurden, begannen zu murren.

      „Haltet die Schnauze und laßt Ben ausreden“, fuhr Dan O’Flynn sie an. „Er hat völlig recht. Zuerst müssen wir feststellen, wo Hasard überhaupt steckt, und das erreichen drei Männer besser und unauffälliger als eine ganze Horde.“

      Ein paar der Männer maulten noch etwas, aber dann waren sie ruhig.

      „Also los, Leute“, sagte Dan zu Batuti und Smoky.

      Smoky griff nach seinem Wehrgehänge mit dem Säbel.

      „Das bleibt hier“, sagte Dan. „Wir nehmen nur Messer mit. Mit dem schweren Ding könntest du ja auch nicht schwimmen.“

      „Schwimmen?“ fragte Smoky entgeistert.

      „Wie sonst sollten wir denn unbemerkt an Land kommen?“ sagte Dan grinsend.

      „Macht’s gut.“ Ben Brighton schlug Dan auf die Schulter. „Und seht euch ein bißchen vor, wenn ihr an Land schwimmt. Ich habe kurz vor Sonnenuntergang zwei Haie gesehen.“

      „Sie haben den Ehrenplatz zur Rechten Seiner Exzellenz“, sagte Hassan ben Iskander.

      „Ich weiß es zu schätzen.“ Hasard saß mit gekreuzten Beinen auf einem großen Kissen auf einer Empore. Links von ihm stand eine Art Thronsessel, der noch leer war. Vor ihm lag ein großer Platz. Männer mit Speeren und Krummsäbeln, wahrscheinlich Soldaten, hielten eine ständig anwachsende Menge zurück.

      „Was ist hier eigentlich los?“ wandte er sich an Iskander.

      „Heute ist Donnerstag“, sagte der.

      „Und?“

      „Der Freitag ist uns heilig, und vor jedem Freitag müssen alle Sünden gesühnt werden, damit wir Allah morgen reinen Herzens preisen können.“

      Also eine Art Gerichtstag, folgerte Hasard. Das konnte ja gut werden.

      Die Menschenmauer wurde gespalten. Zwei Neger trugen eine Sänfte heran. Es war jedoch nicht der Pascha, wie Hasard vermutet hatte,


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