Seewölfe - Piraten der Weltmeere 581. Burt Frederick
mit ihm unterhalten.
Ein Engländer. Einer von diesen Männern, denen man nachsagte, sie seien die rauhesten und verwegensten auf den Weltmeeren. Es bereitete Vergnügen, sich mit ihm zu unterhalten. Denn er wußte eine Menge mehr als die jungen Burschen, die über Cagliari und die Umgebung nie hinausgelangt waren.
„Sicher“, sagte sie. „Er glaubt, es gäbe nur diese eine Methode, die ihm schon in jungen Jahren von seinem Vater eingebleut worden ist. Nur wenn der Warenbestand restlos geräumt ist, erzielst du einen Gewinn. Natürlich mußt du ein bißchen darauf achten, daß die Kunden zufrieden sind vor allem gilt das für Stammkunden. Aber in den seltensten Fällen werden sie merken, daß ein Fisch vor dreißig Stunden und nicht erst vor sechs gefangen wurde.“
„Im Fall der gewaltigen Signora“, sagte der schwarzhaarige Seefahrer lachend, „dürfte es sich um achtundsiebzig Stunden gehandelt haben.“
Gigliola hielt die flache Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten.
„Er kann es einfach nicht lassen“, sagte sie. „Diesmal hat er wirklich maßlos übertrieben. Und er könnte es so einfach haben. Cagliari ist nämlich ein guter Platz für das Marktgeschäft. Aber Papa liegt mit seinen Verkaufspreisen zu niedrig, dabei könnte er den Verlust durch verdorbene Ware leicht ausgleichen, indem er sich dem Preisniveau der anderen angleicht.“
Blacky zog anerkennend die Mundwinkel nach unten. „Das hört sich fachmännisch an.“
„Ist es auch“, antwortete die hübsche junge Sardin und lächelte stolz. „Papa hat mich in ein Handelshaus geschickt, damit ich dort das Kaufmännische von Grund auf lerne. Es hat mir nicht geschadet. Ich könnte das Geschäft von heute auf morgen übernehmen. Und weil Papa keinen Sohn hat …“
„… hofft er auf einen brauchbaren Schwiegersohn?“
Gigliolas Lächeln wurde spitzbübisch. „So ist es, Marinero. Und ich tue alles, um ihn in der Hoffnung nicht zu enttäuschen. Das bedeutet, ich bin sehr wählerisch.“
„Ich heiße Blacky.“
„Ist das ein Name?“
„Eher ein Spitzname.“ Er tippte mit den Fingerkuppen auf sein Haar. „Die Leute bei denen ich als Rustabout gefahren bin, hatten keine Mühe, sich den auszudenken.“
„Was ist das – ein Rustabout?“
„Das jüngste Crewmitglied.“
„Und wie heißt du wirklich?“
„Keine Ahnung.“ Blacky zog die Schultern hoch und grinste verlegen. „Es ist wie mit dem alten Lied: ‚I’m nobody’s child‘ – ‚Ich bin niemandes Kind‘. Ich weiß nicht, woher und von wem ich stamme; ich war einfach irgendwann da.“
„Ein Findelkind also?“ In Gigliolas Miene zeigte sich das Mitgefühl einer Frau, die ihre Mutterinstinkte nicht verbergen konnte.
„Ich nehme es an“, brummte Blacky.
„Ach, kümmere dich nicht darum“, sagte Gigliola. „Namen sind Schall und Rauch. Und was meine und meines Vaters Hoffnung betrifft, spielen sie sowieso keine Rolle.“
Blacky zog überrascht die Brauen hoch. „Ist man hierzulande schon verlobt, wenn man ein Mädchen anspricht? Eins, dessen Namen man noch nicht einmal kennt?“
„Gigliola!“ ertönte eine laute Stimme, die einen Hauch Verzweiflung verriet. „Gigliola, wo steckst du denn?“
Blacky und die junge Sardin lächelten.
„Siehst du“, sagte sie, „so erspart man sich überflüssige Worte.“
„Lauf zu deinem Vater“, entgegnete Blacky. „Ich denke, er braucht wirklich Unterstützung.“
Sie nickte. „Geh nicht fort, Straniero.“
„Hör auf, mich Fremder zu nennen.“
„Oh, Verzeihung, Blacky. Also bleib noch ein bißchen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ein Eheversprechen hast du mir nicht gegeben, ohne es zu wissen. Und sei beruhigt: Ungeprüft würde ich dich sowieso nicht nehmen. Wo gibt es ein Gesetz, das besagt, eine Frau müsse die Katze im Sack kaufen?“
Blacky hob beeindruckt die Augenbrauen und blickte ihr nach. Sie trug ein einfaches Leinenkleid, und doch war ihr Gang atemberaubend. Ihr Vater lugte um die Ecke des Kistenstapels. Seinem bestürzten Gesicht war anzusehen, daß er zur Zeit weniger an einen Schwiegersohn dachte als an einen Weg, sich aus dem Schlamassel herauszuwinden, in den er sich selbst hineingeritten hatte.
Blacky schlenderte ein Stück nach vorn, so daß er sehen konnte, was sich beim Fisch- und Gemüsestand von Vater und Tochter Nócciolo abspielte.
Die Mutter, Porfirios Frau, war nach Gigliolas Geburt, ihres einzigen Kindes gestorben. Eine Amme hatte das kleine Mädchen großgezogen, das seinen Vater jetzt so tatkräftig unterstützte.
Blacky biß in den Pfirsich. Das Fruchtfleisch war fest und zuckersüß, ein Genuß, den jeder Seemann nach den Entbehrungen einer monatelangen Seereise zu schätzen wußte.
Für Gigliola blieb keine Zeit, ihrem Vater zu raten, welche Verhandlungstaktik er tunlichst anwenden sollte.
Ein vielstimmiges Raunen entstand in der Umgebung. Überwiegend Frauen waren es, die ihr Feilschen mit gewitzten Handelsleuten abbrachen und in die Richtung spähten, der sich nach und nach alle Aufmerksamkeit zuwandte.
Der Drachen stürmte aus einer Seitengasse, die auf den Marktplatz mündete. Das Steinpflaster schien zu erbeben. Der Mann, den die riesenhafte Signora mitbrachte, war durchaus normalwüchsig. Schlank und einen Kopf kleiner, wirkte er an ihrer Seite jedoch wie ein Zwerg.
Sie zog ihn am linken Unterarm, und er hatte Mühe, Schritt zu halten. Immer wieder stolperte er. In der rechten Hand hielt er den Seeteufel und die Schlangengurke. Fisch und Gemüse schlenkerten wie eine gallertartige Masse, die in längliche Beutel gefüllt worden war.
Der Ehemann der wutentbrannten Riesin – um niemand anders konnte es sich handeln – sah unglücklich und verzweifelt aus.
Porfirio Nócciolo duckte sich hinter seinem Verkaufsstand wie jemand, der einem angreifenden Stier nun nicht mehr ausweichen konnte.
Gigliola Nócciolo hatte sich verteidigungsbereit neben ihrem Vater aufgebaut und verschränkte die Arme, wodurch ihr kecker Busen betont wurde.
Blacky grinste sich eins – wie die meisten anderen Leute auf dem Marktplatz.
Einen halben Schritt vor dem Verkaufsstand blieb das ungleiche Gespann stehen.
Der rundliche kleine Händler erinnerte jetzt an einen krummbeinigen Mischlingshund, der den Zorn eines kampferprobten Bullenbeißers erweckt hat und sich zum ungleichen Kampf stellen muß.
„Fabrizio!“ sagte die Signora mit schneidender, weit hallender Befehlsstimme. „Leg die Beweisstücke auf den Tisch! Vor die Füße werfen sollte man sie ihm, diesem Halsabschneider!“
Fabrizio gehorchte. Vorsichtig, nachdem seine bessere und größere Hälfte seinen Unterarm losgelassen hatte, schob er den schwammigen Seeteufel und die noch schwammigere Gurke auf die Holzplatte.
„Die Beweisstücke für Ihren Betrugsversuch, Signor Nócciolo“, sagte er lahm.
„Weiter!“ bellte Signora Breganza.
„Wir werden den Fall bei einem Gerichtsschreiber zu Protokoll geben“, erklärte Ehemann Fabrizio folgsam.
„Es sei denn …“ Die Signora sagte es mit erhobener Stimme wie ein diktierender Schulmeister.
„Es sei denn, Sie entschuldigen sich meiner Frau gegenüber ordnungsgemäß und ersetzen den entstandenen Schaden“, sagte Fabrizio seinen auswendig gelernten Satz auf.
Porfirio Nócciolo erstarrte. Er gab sich einen Ruck und wollte seine Gegenrede nun nicht mehr zurückhalten.
Aber seine Tochter kam ihm zuvor.