Seewölfe - Piraten der Weltmeere 391. Burt Frederick
riesenhafte Pater von der „Isabella“ erschienen war und einen flammenden Appell an ihn gerichtet hatte, war es die einzig denkbare Entscheidung gewesen, die fünf Geiseln freizugeben. Killigrew hatte Churruca und die anderen Spanier an Land gebracht, die „Golondrina“ versenkt und gleich darauf Segel gesetzt.
Don Juan zwang sich, wenigstens äußerlich die Ruhe zu bewahren. Churruca würde ihn nicht dazu bringen, die Fassung zu verlieren.
„Nachträglich sollte es mir vielleicht leid tun, keine der Geiseln liquidiert zu haben“, sagte er trocken. „Denn dann hätten Sie an der Rah gezappelt, verehrter Capitán.“
Churruca überhörte den Spott. Geringschätzig verzog er das Gesicht.
„Na und?“ sagte er, indem er die Augenbrauen hochzog und sein Gegenüber herablassend ansah. „Selbstverständlich wäre ich bereit gewesen, mein Leben für die Mannschaft zu opfern. Für einen Mann von Rang ist das eine unumgängliche Ehrenpflicht. Vergessen Sie eines nicht, Señor de Alcazar: Wir repräsentieren die große spanische Nation. Bei allem, was wir tun, müssen wir uns das immer vor Augen halten.“ Churruca wandte sich zu seinen Offizieren um. „Habe ich recht, Señores?“
„Aber ja“, sagte Carlos Antibes, der Zweite. Er blickte Don Juan mit einem herausfordernden Grinsen an. „Ein Mann muß eben auch in schwierigsten Situationen einen klaren Kopf bewahren und das Vernünftige tun – statt blindwütig draufloszuschlagen.“
Don Juan juckte es in den Fingern, den dreisten Kerl ein zweites Mal in die Waagerechte zu befördern. Aber es war sinnlos. Leute dieses Schlages ließen sich weder durch Worte noch durch handfeste Taten belehren.
Auch der Erste Offizier, Rolando de Simon, hielt es für angebracht, seinen bissigen Kommentar abzugeben.
„Natürlich wäre jeder von uns bereit gewesen, das höhere Interesse an erste Stelle zu setzen. Als Spanier von nobler Herkunft sollte man wissen, daß man sich in dieser Beziehung auf einen Landsmann verlassen kann.“
Capitán Churruca blickte in die Runde, um sich von der Wirkung der markigen Worte zu überzeugen. Aber die Gesichter der Crew waren nach wie vor ausdruckslos. Da gab es keinen, der für den scheinbar so tapferen und aufrechten Kapitän der „Golondrina“ in Begeisterung ausgebrochen wäre.
Don Juan konnte nur den Kopf schütteln. Die Borniertheit dieses Mannes verschlug ihm glatt die Sprache.
Churruca war nichts weiter als ein Sprücheklopfer und Maulheld. Einer, der zu engstirnig, zu dumm und zu aufgeblasen war, um überhaupt zu erfassen, was die Ermordung des Bootssteurers ausgelöst hätte. Ein grauenhaftes Massaker hätte begonnen.
Denn nur zu Recht hätten die Engländer auf einen Geiselmord mit unnachgiebiger Härte reagiert.
Aber da waren vor allem die Worte Killigrews und des Paters gewesen, die Don Juan entscheidend beeinflußt hatten. Nie zuvor hatte er von derart menschenverachtendem Verhalten gehört, wie es seine Landsleute gegenüber den Mixteken an den Tag gelegt hatten. Gewiß, es gab auch in Madrid Gerüchte darüber, wie grausam die Eroberer in der Neuen Welt mit den Ureinwohnern umgingen.
Doch Don Juan hatte diese Gerüchte nie für bare Münze genommen. Wo Politik betrieben wird, so hatte er sich gesagt, werden Wortgefechte eben manchmal mit unlauteren Mitteln geführt. Da war es dann leicht, dem politischen Gegner Dinge vorzuwerfen, die sich nicht so leicht nachprüfen ließen.
Und nun war es ausgerechnet Philip Hasard Killigrew gewesen, der ihm die Augen geöffnet hatte. Der Mann, den er jagen sollte, hatte ihm auf schockierende Weise Klarheit verschafft.
Was man den Mixteken angetan hatte, war zweifellos kein Einzelfall. Abgesehen davon, daß die Indianer kaum in der Lage waren, sich gegen die waffenstarrenden spanischen Truppen zur Wehr zu setzen, war es eine unvorstellbare Greueltat, Frauen, Kinder und alte Leute niederzumetzeln. Eben dies war aber mit dem Stamm der Mixteken geschehen. Und die wenigen Überlebenden hatte man in den Laderaum der „Golondrina“ gestopft, um sie bei Hofe in Madrid wie exotische Tiere zur Schau zu stellen.
Ekel und Abscheu befielen Don Juan de Alcazar bei dieser Vorstellung.
Capitán Churruca und seine Offiziere repräsentierten wahrhaftig die spanische Nation. Ja, das Geschehen auf der „Golondrina“ war beispielhaft für alles das, was sich in der Neuen Welt abgespielt haben mußte, seit die ersten Conquistadores ihren Fuß auf den Boden dieses Erdteils gesetzt hatten.
Nachträglich festigte sich Don Juans Überzeugung, daß er richtig gehandelt hatte, als er die fünf Geiseln von der „Isabella“ freiließ.
Was ihm Killigrew über das Verhalten der Spanier in der Neuen Welt gesagt hatte, konnte Don Juan nicht mehr mit einer Handbewegung abtun. Sollte es wirklich wahr sein, was dieser Engländer behauptete; der so völlig anders war als der blutrünstige Pirat, den man ihm beschrieben hatte?
Wenn Killigrew in vollem Umfang recht hatte, so überlegte Don Juan, dann trafen die gehässigen Beschreibungen, mit denen man ihn bedacht hatte, eher umgekehrt auf die Spanier zu, die in der Neuen Welt ihr viehisches Verhalten an den Tag legten.
Aber tief in seinem Inneren gab es noch immer eine nicht ganz verstummte Stimme, die sich gegen die offenkundigen Tatsachen sträubte. Fast wie ein Rest von Hoffnung war es, mit der er sich daran klammerte, daß die Greuelberichte nicht der Wahrheit entsprächen.
Aber hier, im Fall von Churruca und seinen Offizieren, wurde er unmittelbar mit dem Zynismus und der arroganten Dummheit seiner Landsleute konfrontiert.
Don Juan schüttelte die bohrenden Gedanken ab. Ein eisiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er den Capitán aus schmalen Augen fixierte.
„Angesichts einer solchen aufrechten Gesinnung müßte man wahrscheinlich vor Ehrfurcht ergriffen sein“, sagte er spöttisch. „Tut mir leid, Señor Churruca, wenn ich für Ihr Gebaren nicht den nötigen Respekt aufbringe. Wie dem auch sei – Sie täten gut daran, sich schon einmal zu überlegen, wie Sie die Vorkommnisse auf der ‚Golondrina‘ rechtfertigen wollen. Sollte es uns jemals gelingen, diese Insel unbeschadet zu verlassen und Kuba zu erreichen, werde ich dafür sorgen, daß eine peinlich genaue Untersuchung eingeleitet wird.“
Churruca lief krebsrot an.
„Was für Vorkommnisse?“ rief er fauchend. „Was für eine Untersuchung? Von was reden Sie?“
Don Juan glaubte ihm fast, daß er es nicht begriff. In seiner Borniertheit kam Churruca offenbar nicht einmal auf die Idee, daß die Mißhandlung der Mixteken etwas Ungerechtes gewesen war.
„Sie sind also der Meinung, daß es rechtmäßig war, was Sie den Indianern angetan haben?“
„Angetan?“ brüllte Churruca. „Ich habe sie so behandelt, wie es ihnen zusteht. Mit diesem Pack kann man nicht anders umspringen. Außerdem hatte ich meine Order.“
„An Bord der ‚Golondrina‘ hatten Sie die Befehlsgewalt“, widersprach de Alcazar. „Sie hätten es in der Hand gehabt, die Gefangenen wenigstens menschenwürdig zu behandeln. Aber anscheinend betrachten Sie die Mixteken nicht als Menschen.“
„Haargenau!“ schrie Churruca. „Endlich haben Sie es mal erfaßt. Kümmern Sie sich gefälligst nicht um Sachen, von denen Sie nichts verstehen.“
„Nun gut“, erwiderte Don Juan ruhig, „ich muß sagen, daß der Engländer richtig gehandelt hat, als er Sie in den stinkenden Laderaum sperrte. Und ebenso gerechtfertigt war es, Sie unter den Bugspriet zu binden.“
Churrucas Gesichtsfarbe wechselte vom ungesunden Rot in ein kalkiges Weiß. Minutenlang starrte er seinen hochgewachsenen Landsmann wutentbrannt an. Dann ruckte er herum.
Seine Stimme klang beinahe schrill, als er die Mannschaft der „Golondrina“ anfuhr: „Nehmt ihn fest, diesen Verräter! Ich werde dafür sorgen, daß er sich vor höherer Stelle zu verantworten hat. Festnehmen, sage ich! Ihn und seinen verdammten Haufen!“
Die Haltung der beiden Offiziere spannte sich an.
Doch bei den Mannschaften war keine Reaktion