Seewölfe - Piraten der Weltmeere 209. Kelly Kevin
einem Strohhalm gegriffen, als er sah, wie leicht die „Isabella“ mit der Piratendschunke fertig wurde, die die Boote der fliehenden Mon verfolgten.
Yannay, älter und weniger voreilig, hatte sich überzeugen lassen, da die Falle nun einmal gestellt war. Gefallen fand er von Anfang an nicht an dem Plan. Ganz davon abgesehen, daß die Rechnung nicht aufging, weil die Mon ihre Opfer gewaltig unterschätzen.
Immerhin: die Lage der „Isabella“ war alles andere als rosig gewesen.
Deshalb entschloß sich der Seewolf auch zu einem Bravourstück: mit zwei Mann holte er Yannay Ki mitten aus seinem Lager heraus, um ihn als Faustpfand zu benutzen. Doch so weit kam es nicht mehr. Unmittelbar danach hatten die Piraten das Lager überrannt. Sie wollten den Schatz. Kyan sollte ihnen verraten, wo sie die sagenhaften Reichtümer finden konnten – und die Schreie des Gefolterten waren noch auf der „Isabella“ zu hören gewesen.
Daß die Seewölfe in dieser Situation nicht triumphiert, sondern sich bereitgefunden hatten, das Opfer herauszuhauen – das war eine Tatsache, die der Anführer der Mon erst einmal verdauen mußte.
Jetzt wußte er, mit wem er es zu tun hatte. Mit Männern, die fair und anständig kämpften, die auf kleinliche Rachsucht verzichteten, die es sogar fertigbrachten, dem geschlagenen Gegner beizuspringen – auch wenn er es im Grunde nicht verdiente. Yannay Ki war überzeugt davon, daß er und seine Leute diese Hilfe nicht verdient hatten. Längst schämte er sich seiner eigenen Handlungsweise. Genauso, wie es Scham gewesen war, die seinen Bruder zu dem Versuch trieb, sich dem Mongolen als Geisel anzubieten, damit er Bill freiließ.
Genutzt hatte es nichts.
Jetzt befanden sich beide in der Gefangenschaft der Piraten. Vorerst! Für die Seewölfe war es selbstverständlich, die beiden Männer zu befreien. Inzwischen kannte Yannay Ki diese Teufelskerle gut genug, um zu glauben, daß sie es schaffen würden.
Er, Yannay, würde mit den unverletzten Mon-Kriegern die dezimierte Crew der „Isabella“ verstärken.
Für den Transport der Kranken und Verwundeten standen die flachen Flußboote zur Verfügung, die in diesem Augenblick auf dem Wasserarm erschienen. Die sechs Kranken waren bereits an Deck gebracht worden: Garry Andrews, Bob Grey und der weißhaarige Segelmacher Will Thorne bewußtlos, Dan O’Flynn und Jeff Bowie im Fieber phantasierend, selbst der bullige Smoky in einem Zustand, in dem er seine Umgebung offenbar nicht mehr richtig wahrnahm.
Der Kutscher hatte die verwundeten Mon versorgt, so gut es ging. Außer ihm sollten Old O’Flynn und die Zwillinge mit in die Boote gehen. Letztere mit ziemlich gemischten Gefühlen, weil sie nicht recht wußten, was nun spannender war: gegen eine Bande heimtückischer Piraten zu kämpfen oder die geheimnisvolle Dschungelfestung der Mon kennenzulernen.
Für den Seewolf gab den Ausschlag, daß die beiden Jungen in der Dschungelfestung sicherer sein würden. Das glaubte er jedenfalls. Wie sehr er sich irrte, konnte er noch nicht ahnen.
Old O’Flynn versicherte mit grimmiger Miene, daß er schon auf die „Rübenschweinchen“ aufpassen werde.
Hasard junior und Philip junior ignorierten diesen Punkt. Sie sonnten sich lieber in der Wichtigkeit ihrer Aufgabe: im Verein mit ihrem Großvater und dem Kutscher auf die Kranken aufzupassen. Noch lieber hätten sie allerdings geholfen, ihren besonderen Freund Bill zu befreien. Aber Widerspruch gab es nicht in einer solchen Situation. Um das zu wissen, fuhren die Zwillinge nun schon lange genug auf der „Isabella“.
Ein paar Minuten später kletterten sie zusammen mit den anderen in eins der flachen Boote.
Ein knappes Dutzend Mon-Krieger stakten die schwerfälligen Fahrzeuge durch das langsam auflaufende Wasser. Der Seewolf sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. Ganz wohl war ihm nicht bei der Sache, aber er wußte, daß er keine Wahl hatte. Die Mittel gegen die heimtückische Krankheit gab es nur in der Festung am Irawadi. Inzwischen hätte Hasard seine Hand dafür ins Feuer gelegt, daß sie den Mon vertrauen konnten.
Daß in diesem gefährlichen, von Unruhen geschüttelten Landstrich alles mögliche Unvorhergesehene passieren konnte, ließ sich nun einmal nicht ändern.
Der Seewolf preßte die Lippen zusammen. Noch mußten sie warten. Yannay Ki hatte behauptet, die „Isabella“ werde bei der nächsten Flut von selbst aufschwimmen, weil der auffrischende Wind das Wasser tiefer ins Delta drückte. Ob das stimmte, war noch die Frage. Eine weitere Frage mußte ebenfalls geklärt werden: inwieweit die Mon tatsächlich eine Verstärkung für die Crew waren.
Im Enterkampf Mann gegen Mann würden sie sich bestimmt bewähren.
Aber mit den schweren Culverinen konnten sie vermutlich überhaupt nicht und mit Musketen und Pistolen nur sehr beschränkt umgehen. Und ob sie je vorher eine Galeone aus der Nähe gesehen hatten oder eine Brasse von einem Fall unterscheiden konnten, war gleichfalls fraglich.
Einmal mehr mußte Pak-Sung, der Birmane, in Aktion treten.
Er gehörte zur Streitmacht des schwarzen Priesters und war als Gefangener bei den Mon gewesen. Da er Spanisch sprach, hatten sie ihn geschickt, um den Seewölfen ihre Bedingungen zu stellen: die Waffen der „Isabella“ gegen freien Abzug und Hilfe für die Kranken. Pak-Sung hatte es vorgezogen, nicht zurückzugehen, sondern sich unter den Schutz der Engländer zu stellen. Er stand immer noch unter ihrem Schutz – eine Tatsache, die von den Mon stillschweigend akzeptiert wurde.
Jetzt übersetzte er etwas mühsam Hasards Fragen.
Yannay Ki lächelte leicht und straffte die Schultern. Er sei mit einem Teil seiner Leute lange genug zur See gefahren, erwiderte er. Bis ins ferne Reich des großen Chan und in die Inselwelt des Pazifik. Dabei hätten sie manchen Sturm und manches Gefecht überstanden – was auch gleich die Frage nach ihren Erfahrungen mit den Waffen beantwortete.
Hasard nickte nur.
Die Auskunft war beruhigend, vor allem im Hinblick auf die Übermacht, mit der sie sich würden schlagen müssen. Die genaue Stärke der Piratenflotte kannten auch die Mon nicht. Aber das war auch nicht der Punkt, über den sich der Seewolf den Kopf zerbrach. Das eigentliche Problem bestand nicht darin, mit dem Gesindel des Mongolen fertigzuwerden, sondern in der Notwendigkeit, vorher die beiden Geiseln herauszuholen.
Eine knappe halbe Stunde später plätscherten die ersten Wellen gegen die Bordwände der „Isabella“.
Das Wasser stieg jetzt rasch. Es knirschte und rieb unter dem Kiel, eine Serie winziger Rucke erschütterte die Galeone. Jetzt konnte es nur noch Minuten dauern, bis sie aufschwamm. Der Seewolf stützte die Hände auf die Schmuckbalustrade des Achterkastells und atmete tief durch.
„An die Brassen und Fallen! Fock und Besan klar zum Aufheißen!“
„Klar zum Aufheißen!“ bestätigte Ben Brightons ruhige Stimme.
„Hoch damit!“
Es klappte wie am Schnürchen, was den Profos natürlich nicht daran hinderte, die „lahmen Säcke“ mit den schauerlichsten Höllenstrafen zu bedrohen. Die Mon packten mit an, ein bißchen zögernd zuerst. Der Wind fuhr in Fock und Besan, blähte das Tuch, die „Isabella“ legte sich leicht nach Steuerbord über. Wieder knirschte es unter dem Kiel – und dann, langsam und ruckhaft, nahm die Galeone Fahrt auf.
Jubel brandete auf.
Ein donnerndes „Arwenack“, das die Mon etwas erschrocken zusammenzukken ließ und den Papagei Sir John veranlaßte, sich schimpfend in die Toppen zurückzuziehen. Mit wachsender Fahrt glitt die Galeone über den Wasserarm, und auch Hasard atmete auf, als er endlich wieder die vertrauten Schiffsbewegungen unter den Stiefeln spürte.
Yannay Ki, der hier jeden Fußbreit Boden kannte, spielte den Lotsen.
Eine knappe Stunde brauchten sie, um die Stelle zu erreichen, wo ihnen während ihrer Odyssee durch das Delta klargeworden war, daß sie den Weg verloren hatten. Inzwischen kannten sie den Grund: ein Damm, den die Mon errichtet hatten und der sich in nichts von den grünen Wänden des Dickichts unterschied.
Oder doch: inzwischen