Seewölfe - Piraten der Weltmeere 152. Kelly Kevin
Moses, hatte mit überzeugenden Argumenten die Ansicht verfochten, daß er bisher beim Landgang nicht viel mehr erlebt habe als alte Heuchler, die ihm auf die Finger guckten und ihm predigten, gefälligst nicht so viel zu saufen. Also war ihm besagter Abschiedsschluck genehmigt worden, in Begleitung von Edwin Carberry, Donegal Daniel O’Flynn und Matt Davies. Denn schließlich mußte jemand dasein, der dem jüngsten der Crew ein bißchen auf die Finger schaute und ihn ab und zu ermahnte, gefälligst nicht so viel zu saufen.
So war eben das Leben.
Man mußte das Beste aus dem machen, was man kriegen konnte. Bill schnupperte vergnügt den Mief der „Bloody Mary“. Ed Carberry griff in die Tasche und befreite Sir John, den roten Ara-Papagei. Und Nathaniel Plymson zeigte strahlend seine schadhaften Zähne und zog sich noch schnell die neue blonde Perücke von der Glatze, um sie in einem Schubfach in relative Sicherheit zu bringen.
Eddy Smith, der Halunke, verholte sich unauffällig ans Ende des langen Schanktischs.
Vorsicht hieß die Mutter der heilen Rumflasche. Wer wußte schon, ob Leute, die Kneipenmöbel geraderückten, ihre Aktivitäten nicht auch auf Gesichter ausdehnten, die ihnen nicht gefielen. Wie gesagt: Eddy Smith hatte Ähnlichkeit mit dem Urenkel eines Kraken. Er glaubte nicht recht, daß sein Gesicht den vier Seewölfen besonders gefallen würde. Außerdem hatte er noch einen anderen Grund, sich unauffällig zu verhalten. Einen Grund, der in seinem Kopf herumspukte, seit das Stichwort Schätze gefallen war, und der ihm keine Ruhe mehr ließ.
Eddy Smith pflegte anderer Leute Besitztümer stets unter dem Aspekt zu betrachten, wie man sie sich am besten unter den eigenen Nagel reißen konnte.
So auch jetzt! Die Goldstücke, die der Riese mit dem zernarbten Rammkinn auf den Schanktisch warf, sprachen für sich. Wo die herstammten, da klimperte bestimmt noch mehr in der Tasche. Ganz abgesehen von der Sache mit den Schätzen, die vorerst noch Tauben auf dem Dach waren. Nun war zwar Eddy Smith weder ein Held noch ein Narr, jedenfalls kein so ausgemachter Narr, daß er sich allein an vier hartgesottene, salzgewässerte Seewölfe gewagt hätte, aber schließlich war er nicht der einzige Erzhalunke, der im schönen Plymouth herumlief.
Im Gegenteil!
Eddy Smith hatte beizeiten gelernt, daß Einigkeit stark macht. Deshalb pflegte er innige geschäftliche Beziehungen zu einem Erz-Ober-Halunken, der Patrick Killarney hieß, wegen seiner schönen roten Haare „Red Fox“ genannt wurde und eine starke Bande von Halsabschneidern und Wegelagerern befehligte.
Für „Red Fox“ waren auch ein paar Seewölfe kein unverdaulicher Happen. Von dem Gold, dem Silber, den Perlen und den Edelsteinen ganz zu schweigen! Eine solche Chance ließen sich Killarney und seine Hafenratten bestimmt nicht entgehen. Man mußte ihnen nur Bescheid geben. Genau das hatte Eddy Smith jetzt vor, und er war überzeugt davon, daß der „rote Fuchs“ ein paar hübsche Goldstückchen für die Nachricht springen lassen würde.
Eddy Smith trank noch einen Selbstgebrannten und verließ die „Bloody Mary“ noch im Stadium des aufrechten Gangs.
Nathaniel Plymson, der das höchst ungewöhnlich fand, blickte ihm nach und hatte da so seine eigenen Gedanken.
„Saftladen!“ krähte der Papagei Sir John.
Zur Abwechslung saß er auf Ed Carberrys Kopf. Nathaniel Plymson war froh, daß er seine Perücke in Sicherheit gebracht hatte. Er ahnte nämlich, daß sich der Vogel sonst bestimmt das gute Stück als Landeplatz ausgesucht hätte.
„Noch einen Whisky für jeden“, bestimmte der Profos. „Whisky, sagte ich. Nicht deine selbstgebrannte Haifischspucke, Plymson!“
„Einen?“ maulte Matt Davies. „Mann, sind wir hier vielleicht in ’nem Kloster, oder was ist?“
Der Profos schnaubte. „Dir zeig ich gleich, woher in diesem Kloster der Wind weht, du karierter Decksaffe! Noch ein Wort, und ich zaubere dir einen Slip-knoten in deinen verdammten Haken!“
„Ha! Kannst du ja mal versuchen, wenn du mit dem Haken tätowiert werden willst“, fauchte Matt.
Aber dann zog er es doch vor, aus der Reichweite des Profos’ zu verschwinden. Ein Whisky war besser als kein Whisky. Ganz abgesehen davon, daß sie schon mehrere gelenzt hatten und bei dem Abschiedsschluck die Betonung auf Schluck lag – was hieß, daß sie ohne wesentliche Schlagseite an Bord der „Isabella“ zurückerwartet wurden.
Dan O’Flynn ließ sich den echten Schottischen mit Genuß durch die Kehle rinnen.
Bill hatte glänzende Augen, weil er noch nicht so geübt war, was Hochprozentiges betraf.
Nathaniel Plymson strahlte, denn weder seine Perücke noch die Reste seiner Einrichtung waren in Gefahr. Über das plötzliche, auffällig-unauffällige Verschwinden des Halunken Eddy Smith ließ er sich keine grauen Haare wachsen. Erstens wuchsen auf seiner Glatze sowieso keine Haare, und zweitens huldigte er dem gesundheitsförderlichen Grundsatz, sich nicht in Angelegenheiten zu mischen, die ihn nichts angingen. Vor allem nicht in Angelegenheiten, in die außer diesen Teufelsbraten von Seewölfen auch noch ein schwarzer Höllenhund wie Red Fox Killarney verwickelt war und bei denen man am besten daran tat, den Kopf einzuziehen und sich zu verkriechen.
Die vier Seewölfe ahnten nichts von Nathaniel Plymsons prophetischen Gedanken, als sie nach einem weiteren, endgültig allerletzten Whisky die „Bloody Mary“ verließen.
Draußen dämmerte es, über dem westlichen Horizont lag ein glutroter Streifen wie der Widerschein einer Feuersbrunst. Ed Carberry schnupperte in den Wind. Es hatte aufgebrist. Morgen würden sie raumschots an der englischen Südküste vorbeisegeln.
Ein Geräusch unterbrach die erbaulichen Betrachtungen des Profos’. Ein sehr eigenartiges Geräusch. Scharf, schabend, begleitet von einem ganz leichten metallischen Singen – haargenau so, als werde mit einem Ruck ein Degen aus der Scheide gezogen.
Edwin Carberry blieb stehen.
Schräg neben ihm kreiselte Dan O’Flynn herum, der nicht nur scharfe Ohren, sondern vor allem ungewöhnlich scharfe Augen hatte. Jetzt bohrte er sie in den Schatten des Torwegs, aus dem das Geräusch gedrungen war – und was er da sah, ließ ihn grimmig die Lippen von den Zähnen ziehen.
Blitzende Klingen!
Schattenhafte Gestalten, die eben dabei waren, sich auf die Millbay Road zu pirschen. Matt Davies und Bill hatten sie ebenfalls erspäht, und der Moses, dessen Tatendrang vom echten Schottischen durchaus nicht eingeschläfert worden war, reckte unternehmungslustig die Schultern.
„Erst mal abwarten, ob die überhaupt was von uns wollen“, mahnte der Profos.
Sie wollten, kein Zweifel.
Der Anführer hatte fast so schöne rote Haare wie Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der „Isabella“, das zeigte sich, als die Burschen in den Lichtkreis der nächsten Sturmlampe gerieten. Der Rotkopf war es auch gewesen, der den Degen gezogen hatte. Jetzt gab er seinen Kumpanen ein Zeichen. Und die pirschten sich lautlos heran wie Katzen an die Sahneschüssel – wahrscheinlich, weil sie nicht die ganze Millbay Road durch wildes Kriegsgeschrei aufscheuchen wollten.
„Lebensmüde“, konstatierte Matt Davies trocken.
Aber lebensmüde sah der knochige rothaarige Bursche eigentlich nicht aus. Eher hungrig – beutehungrig. Seine Kumpane, etwas mehr als ein Dutzend, waren auch nicht gerade von dem Kaliber, das in der Sonntagsschule herangezogen wird.
Zwei von ihnen hielten schwere Steinschloß-Pistolen in den Fäusten und zielten auf die Seewölfe. Somit bestand kein Zweifel mehr an ihren unfreundlichen Absichten.
Edwin Carberry rieb sich andächtig die mächtigen Fäuste.
„Weg mit den Erbsenspuckern“, forderte er. „Wenn ihr scharf auf ’ne anständige Keilerei seid …“
Er stockte.
Denn im selben Augenblick klapperten Hufe, rumpelten Räder, und der finstere Rachen des Torwegs spuckte auch noch einen offenen einspännigen Karren aus.
„Steigt