Seewölfe - Piraten der Weltmeere 216. Ralph Malorny

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 216 - Ralph Malorny


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längst das Weite gesucht und war irgendwo untergekrochen oder bereits in Seenot.

      Irgendwann tauchte Edwin Carberry auf und flog mehr über das Deck, als daß er ging.

      „Wenn wir schon absaufen“, brüllte er, und keiner konnte sagen, wie er es geschafft hatte, das Ruderhaus zu erreichen, ohne über Bord gerissen zu werden, „will ich wenigstens sehenden Auges in die Hölle segeln und nicht unter Deck ertränkt werden wie eine verdammte Schiffsratte!“

      Mehr als vierzehn Stunden tobte der Orkan. Dann flaute er ab. Die Stille danach wirkte unheimlich.

      Der Profos war froh, wieder seine eigene Stimme hören zu können. Er stampfte aus dem Ruderhaus, mit roten, müden Augen, und brüllte: „Alle Mann an Deck!“

      Natürlich gab es genug für jeden zu tun. Die „Isabella“ war nicht ganz ungerupft aus dem Chaos wieder aufgetaucht, und der Schiffszimmermann war für die nächsten Tage der gefragteste Mann. Aber auch die anderen Hände wurden gebraucht, um das Deck aufzuklaren und die Segel zu wechseln.

      Die Seewölfe wollten einen neuen Anlauf nehmen, um die südliche Spitze Afrikas zu runden.

      Wo sie sich im Augenblick befanden, das wußte niemand zu sagen. Irgendwann würde Hasard es schon bekanntgeben, nachdem er die genaue Position der „Isabella“ herausgefunden hatte. Wozu verstand er soviel von Navigation?

      Die Männer waren willig und fleißig, froh, der Ungewißheit und Höllenfahrt entronnen zu sein. Auch der Kutscher drängte sich zur Arbeit, nachdem er seinen Patienten versorgt hatte. Er war eben ein Mann für alles, der ehemalige überzeugte Nichtseemann, der längst seinen festen Platz in der Crew erobert hatte.

      Er war der erste, der aufmerkte.

      Da er wie die anderen unter der Hitze der Tropen gelitten hatte, stellte er erleichtert fest: „Es ist erfreulich frisch!“

      Batuti sah ganz grau aus im Gesicht. Ihm war es entschieden zu kalt. Er schnatterte mit den Zähnen und konnte sich gar nicht warm genug anziehen. Er plünderte sein Schapp, das er mit zwei anderen teilte, bis aufs letzte Hemd und sah aus wie ein großer schwarzer Bär.

      Die See war leicht bewegt, die Wellen also noch klein, aber mit weißen Schaumköpfen. Die Sicht verschlechterte sich schnell. Nebel kam immer stärker auf.

      Der Profos reckte das Rammkinn in die kalte Luft und murmelte: „Ich kann das Eis direkt riechen. Weiß der Teufel, wohin es uns verschlagen hat. Man sollte eben einem Schmied nicht das Ruder überlassen.“

      Big Old Shane war viel zu müde, um sich zu streiten. Ungewohnt friedfertig stolperte er den Niedergang hinunter, querte die Kuhl und verschwand im Vorschiff, um sich in die Koje zu rollen und den Schlaf nachzuholen.

      „Als ob einer von uns eine Mütze Schlaf gekriegt hätte!“ wetterte der Profos. „Kein Auge konnte ich bei diesem verdammten Sturm schließen. Nehmt euch ja kein Beispiel an diesem schlappen Kerl, der besser bei nächster Gelegenheit abmustert.“

      Alle wußten, wie gut sich der Profos und Big Old Shane verstanden, und grinsten daher.

      Das wiederum brachte Carberry in Fahrt.

      Er scheuchte die Mannschaft in die Wanten und brüllte seine Befehle mit ein wenig mehr als üblicher Lautstärke – bis er feststellte, daß der Atem wie ein weißer Federbusch vor seinem weit aufgerissenen Mund stand.

      Da schielte er erschrocken zum Achterdeck, um von Hasard zu erfahren, wie es um die Schiffsposition stand.

      Die Zwillinge tauchten auf und gesellten sich zu ihrem Vater, während Sir John und Arwenack, der Schimpanse, es vorzogen, im warmen Mief des Vorschiffs zu bleiben.

      Die Stimmung der Crew sank mit den Temperaturen. Jeder dachte an den Proviant und diese übelriechende Brühe, die als Trinkwasser ausgegeben wurde.

      „Wenigstens das Problem ist gelöst, wenn wir auf den ersten Eisberg stoßen“, verkündete der Profos. „Dann schlagen wir uns ein gehöriges Stück ab und tauen es auf. Das gibt ein paar Gallonen erstklassigen Trinkwassers.“

      „Und vor den Maden in der Verpflegung braucht ihr euch auch nicht mehr zu ekeln“, mischte sich der Kutscher ein. „Für die armen Tropentierchen ist Kälte der sofortige Tod.“

      „Die dickste Made in deiner verfluchten vergammelten Kombüse bist du selbst“, wetterte der Profos. „Bei allen Schutzheiligen – geht denn auf diesem Törn alles schief?“

      Er wirbelte herum, weil Ben Brighton etwas lauter als nötig den Seewolf auf eine Gefahr hinwies, die von achtern anrückte, lautlos, stumm, riesig.

      Aus dem Nebel kristallisierte sich immer deutlicher ein gewaltiger Eisberg heraus. Langsam driftete er an der Steuerbordseite vorbei, eine Viertelkabellänge entfernt, mehr nicht.

      Und irgend etwas scheuerte denn auch prompt über die Außenhaut der „Isabella“, ein fürchterliches schabendes Geräusch, als werde sie so abgeschmirgelt, daß die Planken zum Teufel gingen.

      Glücklicherweise gab die Galeone dem Druck der Eismassen nach, die unter Wasser weiter zu reichen schienen als darüber.

      „Jetzt wird’s aber Zeit, daß wir verschwinden“, meinte der Erste Offizier.

      Der Profos brüllte seine Segelkommandos.

      „Die „Isabella“ lag über Backbordbug und kreuzte gegen einen leichten Westwind. Zwei Mann am Bugspriet hielten Ausschau nach weiteren Eisbergen, während der Rahsegler sich wie blind durch die Nebelsuppe schob.

      Die Männer froren erbärmlich. Die Glieder wurden klamm und blaurot, wenn man sich zu lange diesem eisigen Wind aussetzte, der wie ein Todeshauch über die See strich und doch nicht stark genug war, um den Nebel zu zerstreuen und wegzublasen.

      Wahrscheinlich gab es zuviel von diesem wattigen Zeug, das sich wie ein Leichentuch über alles legte, wie der Kutscher formulierte, während er sich anschickte, Tee für die Männer zu kochen, dessen Zutaten er lieber niemandem verriet. Rum war jedenfalls nicht dabei.

      „Da müßt ihr warten, bis wir in der Karibik sind“, wimmelte er Neugierige ab.

      Philip Hasard Killigrew auf dem Achterdeck schlug fröstelnd den Kragen hoch und sagte zu Ben Brighton: „Das ist unsere Position, aber ich muß darum bitten, die Männer nicht einzuweihen. Es gibt lange Gesichter, wenn sie hören, wie weit uns der Sturm nach Süden verschlagen hat, genauer: nach Südosten. Keine Rede mehr von der Südspitze Afrikas. Wir werden Tage brauchen, um die verlorenen Meilen auszugleichen. Eigentlich müßten wir – wenn alles normal verlaufen wäre – längst im Atlantik sein. Ich kann nur hoffen, daß keiner durchdreht.“

      „Das wäre das erste Mal“, verteidigte Ben Brighton die Crew, aber er tat es halbherzig.

      Auch er hatte nicht die Anzeichen schwelenden Bordkollers übersehen, die bereits vor Tagen aufgetreten waren. Und da waren sie noch den richtigen Kurs gefahren, und niemand hatte an einen Sturm von solchen Ausmaßen gedacht.

      „Wir sollten den ersten Fetzen Land, den wir sichten, ablaufen, vor Anker gehen und den Männern eine Pause gönnen“, schlug der Erste Offizier vor.

      Mit einem entschlossenen Lächeln schüttelte der Seewolf den Kopf. Er zögerte mit seiner Antwort, weil eben seine beiden Söhne das Achterdeck enterten.

      Er nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich, während er sagte: „Mit leerem Magen in tropischen Breiten zu segeln ist unangenehm, aber man kann es überleben. Hier, in subpolarer Gegend, ist mangelhafte Ernährung tödlich. Ich habe nicht die Absicht, Selbstmord zu begehen.“

      „Wir könnten vielleicht einen Walfisch harpunieren“, meinte Philip junior unternehmungslustig. „Dann haben wir mehr Fett, Öl und Fleisch, als wir bewältigen können.“

      „Dazu gehört mehr als Glück“, sagte der Seewolf. „Ganz abgesehen davon, daß eine Crew wie diese fast alles kann, aber der Walfang ist doch ein besonderes Geschäft. Dazu braucht man außer Mut sehr viel Erfahrung. Also wollen wir uns lieber nicht darauf


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