Seewölfe - Piraten der Weltmeere 339. John Curtis
brauchen ein Boot, Gato!“ stieß Mardengo hervor und sah seinen Unterführer an, der ebenfalls wie durch ein Wunder überlebt hatte. „Wir müssen fort von hier, ich will diesem verfluchten schwarzhaarigen Bastard folgen. Das Kanu, das wir gefunden haben, stammt von den Timucuas. Offenbar hat er welche von diesen Indianern an Bord. Das Krankenlager, das wir gefunden haben, deutet jedenfalls darauf hin. Vielleicht will er zu den Timucuas – wenn das aber so ist, dann weiß ich auch, wo ich ihn zu suchen habe.“
Gato, Kreole wie Mardengo, blickte seinen Anführer an. Seine dunklen, wilden Augen loderten vor Haß. Trotzdem beherrschte er sich.
„Gut“, sagte er, „vielleicht finden wir diesen Bastard wirklich. Aber was dann? Willst du ihn etwa mit diesem traurigen Haufen angreifen?“ Gato vollführte eine Handbewegung, die die restlichen Überlebenden der einstigen Streitmacht der Piraten einschloß. Das Häuflein lagerte unweit von den beiden Anführern und harrte mürrisch der Dinge, die kommen würden.
Mardengo funkelte seinen Unterführer an. Er war größer als Gato und ihm geistig auch überlegen, wenngleich Gato keineswegs dumm war.
„Laß das meine Sorge sein. Ich habe schon andere Situationen gemeistert. Wo Stärke fehlt, hilft List, das solltest du eigentlich wissen, denn du kennst mich lange genug. Wir brauchen ein Boot, das Kanu ist hinüber und für uns alle zu klein. Wir sollten versuchen, ob wir nicht eins unserer Beiboote finden und wieder flottmachen können. Vorwärts, hoch mit den Kerlen dahinten! Ich habe gesehen, daß eins der Boote unserer ‚Grinthian‘ abgetrieben ist, bevor die ‚Grinthian‘ sank. Wenn die Spanier es nicht mitgenommen haben, dann steckt es hier noch irgendwo in der Bucht. Wir müssen es finden, denn die Dons haben sich garantiert nicht um ein treibendes Boot gekümmert.“
Gato sprang auf.
„Verdammt“, sagte er, „du hast recht. Auch ich erinnere mich daran. Ich meine aber, daß das Boot beschädigt war – wir werden sehen!“
Er scheuchte die träge herumliegenden Piraten, die immer wieder nach den Moskitos schlugen, hoch.
„Los, ausschwärmen. Sucht das Boot, das sich beim Untergang der ‚Grinthian‘ vom Schiff gelöst hat. Ich habe gesehen, daß es durch die Bucht getrieben ist. Wenn mich nicht alles täuscht, dann liegt es irgendwo da drüben!“
Er deutete über die Bucht.
„Vorwärts, bewegt euch!“
Gato trieb die Männer an, und einen, der sich nicht schnell genug aufrappelte, trat er in den Hintern, was der Pirat mit einem wilden Fluch quittierte.
Aber Gato kümmerte das nicht, Mardengo und er teilten das Häuflein in zwei Gruppen, dann rückten sie ab. Mardengo nahm sich das Westufer der Bucht vor, während sich Gato und seine Männer mühsam den Weg zum wesentlich weiter entfernten Ostufer der Bucht bahnten, wo nur noch eine schmale Landzunge die Ponce de León Inlet vom offenen Meer trennte.
Gato und seine Männer entdeckten das Boot zwei Stunden später. Es steckte zwischen den Schlingpflanzen des Ufers, und sogar Riemen nebst dem Mast für das Segel und sogar das Segel selbst befanden sich an Bord.
Gato sprang ins Boot. Er konnte nicht glauben, was er sah. Warum befanden sich Riemen, Mast und Segel im Boot? Und wie war es nahezu unbeschädigt vom sinkenden Schiff freigekommen?
Gato stand im Boot und rührte sich nicht. Erst nach und nach begriff er, daß wahrscheinlich eine Gruppe von Piraten versucht hatte, sich mit diesem Boot von der „Grinthian“ abzusetzen, als klar wurde, daß die totale Niederlage unabwendbar war.
Gato spürte, wie der Zorn in ihm aufwallte. Aber wieder beherrschte er sich.
„Gut“, sagte er schließlich leise. „Hoffentlich haben die Spanier diese feigen Hunde erwischt oder getötet. Das spart mir die Arbeit. Und das Boot, bei allen Teufeln der Hölle, das können wir brauchen. Mardengo wird die Augen aufreißen!“
Er drehte sich seinen Männern zu.
„Steht nicht so dämlich rum. An Bord mit euch, hoch mit dem Segel und dann an die Riemen. Wir haben keine Zeit zu verlieren!“
Auch die Piraten brachen jetzt in wildes Gebrüll aus. Sie wateten durch das Wasser zum Boot hinüber und sprangen an Bord.
Nur wenig später stand der Mast, dann wurde das Segel gesetzt. Der Wind, der über die schmale Landzunge in die Bucht einfiel, füllte es im Nu. Das Boot nahm Fahrt auf, und die Piraten beschleunigten sie noch, indem sie sich kräftig in die Riemen legten.
Alle Müdigkeit und aller Mißmut waren von ihnen abgefallen. Sie hatten ein seetüchtiges Boot, sie konnten diese verfluchte Bucht verlassen. Für alles andere würde Mardengo sorgen. Zumindest konnten sie aber mit diesem Boot zu ihrem Versteck an der Westküste Floridas gelangen, das zu Fuß wegen der ausgedehnten Sümpfe nur unter allergrößten Strapazen zu erreichen gewesen wäre.
Mardengo erging es nicht anders als Gato zuvor. Auch er starrte das Boot zunächst sprachlos an, aber dann begriff er, welchem Umstand er das Vorhandensein dieses nahezu unbeschädigten und komplett ausgerüsteten Boots zu verdanken hatte.
Sein Gesicht lief vor Zorn knallrot an seine Augen funkelten.
„Diese Hunde!“ stieß er hervor. „Dieses Pack! Feige fliehen wollten sie. Sollte noch einer von diesen Bastarden leben und ich ihn erwischen, dann wird er einen Tod sterben, wie ihn noch nie zuvor jemand gestorben ist, so wahr ich Mardengo bin!“
Er atmete schwer. Doch nach und nach beruhigte er sich.
„Wir haben ein Boot, Gato. Nur das zählt in diesem Moment. Warte, du schwarzhaariger Bastard, Mardengo wird dich finden! Dann werden wir sehen, ob du auch weiterhin soviel Glück haben wirst!“
Mardengo watete an Bord, denn wegen der Lianen und Schlingpflanzen konnten sie das Boot nicht bis ans Ufer pullen. Die anderen Männer seiner Gruppe folgten ihm. Gleich darauf begannen die Männer wieder zu pullen, während Mardengo auf der Achterducht neben Gato Platz genommen hatte, der die Ruderpinne bediente.
Mit Hilfe des Segels würden sie schneller und bequemer vorwärts gelangen. Mardengo ahnte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht, daß sich die Dinge für ihn auf völlig unerwartete Weise zum Besseren wenden sollten.
Der Wind blieb ihnen den ganzen Tag über günstig. Zwar plagten Mardengo und seine Leute sowohl der Durst als auch der Hunger, aber der Pirat steuerte das Land nicht an. Er wollte so schnell wie möglich den Südzipfel Floridas erreichen und umrunden, um zur Westküste der riesigen Halbinsel zu gelangen.
Jedes Murren erstickte er im Keim, und als einer der Männer aufsässig zu werden begann, schlug er ihn auf der Ducht zusammen.
„Den nächsten“, sagte er und hielt sein Entermesser in der Faust, „schlitze ich auf. Wann wir an Land pullen, bestimme ich, sonst niemand, klar?“
Die anderen duckten sich. Anschließend packte Mardengo den Bewußtlosen, hob ihn hoch, umklammerte eins seiner Fußgelenke und hängte ihn außenbords in die See.
Der Mann kam rasch wieder zu sich, und Mardengo warf ihn ins Boot.
„Noch einen Laut oder ein Wort, du Mistkerl“, sagte er, „und ich werfe deinen Kadaver den Haien vor!“
Er deutete nach hinten, wo seit wenigen Augenblicken eine Dreiecksflosse hinter dem Boot herschnitt.
Der Pirat, dem das Wasser noch aus den Haaren lief, zuckte zusammen. Dann duckte er sich und griff wieder zu seinem Riemen.
Mardengo fixierte ihn noch einen Moment, dann setzte er sich wieder neben seinen Unterführer Gato.
Den ganzen Tag über wurde an Bord kaum ein Wort gesprochen. Mal pullten die Männer zusätzlich zum prall vom Wind gefüllten Segel, dann wieder ließ Mardengo sie ausruhen, um ihre Kräfte zu schonen.
So wurde es Abend. Die Sonne versank hinter der flachen Küstenlinie Floridas. Plötzlich erstarrten die Männer mitten in ihrer Bewegung. Das war, als bereits erste Schleier der Dämmerung die herannahende Nacht ankündigten und der Mond schon als