Seewölfe - Piraten der Weltmeere 123. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 123 - Roy Palmer


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zuckte mit den Schultern. Warum noch darüber herumgrübeln? Vermeiden ließen sich solche unliebsamen Begegnungen nun einmal nicht, man mußte immer darauf vorbereitet sein. Deswegen war er auch froh, wenn seine Männer ihre gesunde Skepsis beibehielten.

      Er stieg auf das Quarterdeck hinunter und suchte das Ruderhaus auf. Hier stand Pete Ballie in Gesellschaft all der Karten, die der Seewolf seit Formosa und den Philippinen an der Rückwand des Decksgebäudes festgepinnt hatte.

      Ausgezeichnete Karten waren das. Ohne sie wäre Hasard auf die Straße von Malakka gar nicht aufmerksam geworden. Er warf einen prüfenden Blick auf den Kompaß, nahm seine Hilfsmittel für die Navigation zur Hand und stellte noch einmal die Position fest. Dann verglich er die Position mit dem Kurs, den er auf den Karten abgesteckt hatte. Soweit es die Berechnung der Route und deren Einhaltung betraf, verlief alles genau nach Plan.

      Eine der Karten hatte Hasard von Sun Lo, dem Mönch von Formosa, als Geschenk erhalten. Die anderen hatten ihm die Spanier in Manila „ausgehändigt“, höchst unfreiwillig allerdings. Sie mußten noch immer eine Höllenwut auf ihn haben, und sie würden alles daransetzen, ihn wieder zu stellen.

      Vorläufig allerdings hatten sie den Anschluß verloren. Die Spur der „Isabella“ verschwand für die Verfolger irgendwo zwischen den Sunda-Inseln. Die Chance, daß sie ihn wiederfanden, war äußerst gering. Genausogut konnten sie nach der bekannten Nadel im Heuhaufen suchen.

      Hasard hätte sie herausfordern oder ihnen irgendwo eine Falle stellen können. Aber er war nicht scharf darauf, die Kriegsschiff-Verbände von Manila wiederzutreffen. Früher oder später würden sich die Dons ohnehin wieder präsentieren, wenn auch mit anderen Schiffen, in Form anderer Gesichter, anderer Taktiken und Hinterhältigkeiten – er rechnete damit, sie noch vor dem Erreichen des Indischen Meeres wiederzusehen.

      Ohne die Karten, soviel stand fest, hätte Hasard sich statt durch die Malakkastraße eher durch jene Passage getastet, die zwischen den Inseln Sumatra und Java lag.

      „Na ja“, sagte der Seewolf. „So ein großer Umweg wäre das eigentlich auch nicht gewesen, Pete.“

      „Was denn, Sir?“

      „Die Selat Sunda. Die Sunda-Straße.“

      „Bestimmt nicht.“

      „Dann frage ich mich, welchen Vorteil wir jetzt gewinnen.“

      Pete stülpte die Unterlippe vor und blickte voraus. „Wahrscheinlich ist es der bequemere Törn. Und das ist doch sehr wichtig für uns.“

      „Möglich, daß wir auch um ein paar Erfahrungen reicher werden, die uns die Sunda-Straße nicht bietet.“

      Old O’Flynn war Hasard nachgestakt, er schaute zum Ruderhaus herein und grinste.

      „Du hast ja auch einen ganz schönen Sarkasmus am Leib“, meinte er.

      Hasard begegnete seinem Blick. „Mußt du denn immer alles negativ auslegen?“

      „Du kennst mich doch.“

      Hasard lachte. „Donegal, du bist wirklich unverbesserlich. So wie du die Dinge siehst, erreichen wir Old England sowieso nie wieder, oder?“

      „Nun fang du nicht auch noch an“, entgegnete der knorrige Alte wider Erwarten. „So ein Miesmacher bin ich ja nun auch wieder nicht. Wenn wir nicht auf Grund laufen, von einem Sturm zerschmettert werden, ersaufen, an einer Seuche krepieren oder von den Dons massakriert werden – dann laufen wir garantiert heil und unversehrt die Heimat an.“

      „Aha. Sag mal, was hältst du davon, wenn wir die Spanier unterwegs wieder um einige ihrer Reichtümer erleichtern? Wäre das nicht nach deinem Geschmack?“ erkundigte sich der Seewolf.

      „Klar“, erwiderte O’Flynn. Dann pochte er jedoch mit einer seiner Krücken auf die Decksplanken. „Nur einen Haken hat die Sache. Wir liegen schon zu tief. Unsere Lady hat ihren Bauch schwer vollgeladen und geht mit einem Riesenschatz schwanger. Wenn du noch mehr dazulädst, säuft sie glatt ab und überläßt uns den Haien zum Fraß.“

      Sie grinsten sich an, und auch Pete Ballie fing an zu lachen. Die Stimmung an Bord war ausgezeichnet, und das war die wichtigste Voraussetzung für ein harmonisches Leben auf See, wenn alles ruhig verlief und Langeweile sich einzustellen drohte. Stürme und Kämpfe schmiedeten die Männer so fest zusammen wie nie, aber wenn allzu lange Stille und Müßiggang herrschten, wurde die Crew leicht mürrisch. Dann war es gut, zu flachsen und zu unken und von Dear Old England zu reden, als läge sie nicht Tausende von Meilen entfernt, sondern gleich hinter der nächsten Ecke.

      Carberry, seines Zeichens Profos und unumschränkter Herrscher über die Kuhl, hatte seine ureigene Art, den Gegebenheiten zu begegnen. Wenn so ein „Schlabbertörn“ gefahren wurde wie heute, ließ er entweder die „Isabella“ von vorn bis achtern aufklaren, brüllte die Crew an, daß die Schotten aus ihren Fassungen zu fallen drohten, brachte Sir John, dem karmesinroten Aracanga, neue Unanständigkeiten bei oder gab seine ewigen Kalauer zum besten.

      Hätte man ihn wegen dieser allenthalben bekannten Geschichten als schrullig bezeichnet, wäre er sofort explodiert. Keiner sollte es sich einfallen lassen, Edwin Carberry, den Zuchtmeister und Hüter der Borddisziplin, zu kritisieren oder gar zu beleidigen. Die Bande hatte zu kuschen und ergebenst zu lauschen, wenn Carberry sein Seemannsgarn spann.

      So dachte er jedenfalls.

      Dem Äquator waren sie jetzt wieder nahe, wie Carberry nach eingehendem Studium der Karten im Ruderhaus festgestellt hatte. Obwohl der Monatserste verstrichen war, konnte man durchaus noch jemanden in den April schicken. Zweifacher Anlaß für den Profos also, nach einem willfährigen Opfer Ausschau zu halten.

      Carberry schritt nicht, er stapfte über Deck. Sein Blick verharrte auf Bill. Der Schiffsjunge schickte sich gerade an, in den Großmars aufzuentern. Dort sollte er den Ausguck Bob Grey ablösen.

      Carberry stoppte den Moses.

      „He!“ rief er. „Bill, komm mal her, Söhnchen!“ Er blieb mit gegrätschten Beinen stehen und glich die Schiffsbewegungen aus. Als Bill, der schon nach den Luvhauptwanten gegriffen hatte, sich jetzt umdrehte und anmarschierte, setzte Carberry seine bedeutungsvollste Miene auf und sagte: „Hör zu, halte nach den Wegweisern Ausschau, die uns die Richtung zum Äquator zeigen, verstanden?“

      „Mister Carberry“, erhob Bill einen schwachen Einwand.

      Der Profos ließ sich nicht bremsen. „Wir sind jetzt nahe dran, und du kriegst was hinter die Löffel, Söhnchen, falls du die Hinweisschilder verpennst, die überall in der See aufgestellt sind“, fuhr er fort.

      Bill nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Mister Carberry, ich habe meine Äquatortaufe schon hinter mir.“

      „Wie? Was? Als ob ich das nicht wüßte. Halt den Mund und rede nur, wenn du gefragt wirst.“ Carberry holte zu einem schwungvollen Vortrag über den Zaun aus, durch den der Verlauf des Äquators rund um die Erde gekennzeichnet war, über das Gatter, das hier ganz aus Bambusrohr gearbeitet war und das man erst durchbrechen mußte, um auf die andere Seite zu gelangen.

      Aber Bill holte ganz tief Luft und rief: „Also nein, bei allem Respekt, auf die Geschichten falle ich nicht mehr herein. Tut mir leid, Mister Carberry. Bitte mich abmelden zu dürfen.“

      Der Profos war richtig erschüttert. Eine Weile stand er finster schweigend da, und Bill befürchtete schon das Schlimmste. Dann sagte Carberry aber nur: „Also gut, hau ab, mein Sohn.“

      Bill kehrte zu den Luvwanten zurück und kletterte in den Webeleinen hoch, froh, einem brüllenden Donnerwetter des Profos’ entgangen zu sein.

      Sir John ließ sich auf der Profosschulter nieder, aber sein Herr scheuchte ihn weg.

      „Verschwinde, du Schnarchhahn“, fuhr er den bunten Vogel an. „Sieh zu, daß du Land gewinnst.“ Wirklich, um Carberrys Stimmung war es jetzt nicht mehr zum besten bestellt.

      Er trat zu dem jungen Dan O’Flynn, der sich gerade auf dem Rand der Kuhlgräting niedergelassen


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