Seewölfe - Piraten der Weltmeere 499. Burt Frederick
das Gefühl, als ob man so gut wie nackt dasteht, und dann kann man plötzlich aus dem vollen schöpfen.“
„Recht hast du“, sagte Ed Carberry und wischte sich das Waffenfett an den Hosenbeinen ab. „Aber ich gebe dir einen guten Rat, wenn du auf mich hörst, Mister Correa.“
„Warum sollte ich nicht auf dich hören, Mister Carberry?“
Der Profos der „Isabella“ atmete schnaufend ein und sah den Schweden von der Seite an.
„Erkläre du es ihm, Mister Stenmark.“
Der schlanke Mann mit dem leuchtend blonden Haarschopf grinste breit.
„Ich will es mal so ausdrücken, Martin: Wenn du deinen Kapitän fragen würdest – nun, dann würde er dir wahrscheinlich empfehlen, keine Silbe von dem krausen Zeug anzuhören, das dieser Mister Carberry von sich gibt.“
„Empfehlen?“ rief der Narbenmann dröhnend. „Befehlen! Wie ich den alten Donegal kenne, läßt er sich auf Widerspruch ganz und gar nicht ein. Aber sonst hat Stenmark den Nagel auf den Kopf getroffen, Martin. Deinem hochgeschätzten Kapitän bin ich als vorübergehendes Crewmitglied wohl der größte Dorn im Auge, den er jemals erlebt hat.“
Correa zog die Schultern hoch.
„Na gut, ihr spielt immer ein bißchen Hund und Katze. Aber was geht mich das an? Außerdem sind wir unter uns. Also laß schon deinen guten Rat hören, Ed.“
Carberry schob das mächtige Rammkinn vor.
„Ganz einfach, mein Junge: Halte dich mit solchen Sachen zurück – erst nackt, dann aus dem vollen und so. Halte dich zurück, wenn der alte Donegal in der Nähe ist. Verstehst du?“
Martin Correa sah den Profos einen Moment erstaunt an, dann lachte er schallend.
„Himmel, natürlich! Diesen Rat hättest du mir nicht einmal zu geben brauchen.“
„Schlechte Erfahrungen, was, wie?“
„Schlecht will ich’s nicht nennen. Ich bin ein geduldiger Mensch. Wenn Old Donegal seine übersinnliche Ader entdeckt, läßt man’s eben über sich ergehen.“ Correa deutete nacheinander auf sein linkes und dann auf sein rechtes Ohr. „Hier rein, da raus. Das regt mich nicht auf.“
„Und seine Wahnsinnsgeschichten gehen dir nicht auf die Nerven?“
„Vielleicht kenne ich ihn noch nicht lange genug. Aber ich werde natürlich sein zweites Gesicht nicht herausfordern. Allerdings bin ich ziemlich sicher, daß er unseren ungewöhnlichen Glücksfall ganz von selbst zu erklären versucht. Wann passiert Schiffbrüchigen so etwas schon mal?“
„Einmal in hundert Jahren“, sagte Stenmark nickend und mit düsterer Miene. Er wandte sich dem Profos zu. „Martin hat recht, Ed. Wir können mal wieder auf einiges gefaßt sein. Wenn der Alte drüben auf der Insel erstmal zur Ruhe gelangt ist und mit dem Grübeln anfängt …“
Carberry winkte ab.
„Auf der Insel kann ich mich in einen stillen Winkel verholen. Auf der ‚Empress‘ konnte man seinen Schauermärchen nicht so leicht entgehen.“
Die Männer grinsten sich eins und fuhren mit der Arbeit fort. Wie am Tag zuvor, rann ihnen der Schweiß in Strömen über die Stirn, und wie alle anderen von der „Empress“ schufteten sie bis an die Grenze ihrer Kräfte. Dennoch waren sie wie besessen bei der Sache. Sie wußten um den Wert ihrer Chance, und sie wußten, daß die Stunden, die ihnen noch blieben, genutzt werden mußten.
Denn die einzige Ungewißheit bestand in der Frage, wann die Spanier wieder zur Stelle sein würden.
Immer deutlicher hatte sich herauskristallisiert, daß die Besatzung der Galeone offenbar alle Vorkehrungen getroffen hatte, um die „Viento Este“ oder zumindest deren wertvolle Ladung vom Riff abzubergen. Alle Boote waren von der Galeone verschwunden. Erstaunlich war nur die Tatsache, daß man keine Bewachungsmannschaft zurückgelassen hatte. Doch das hatte möglicherweise den Grund, daß die Crew des Goldschiffes ohnehin nicht sehr zahlenstark gewesen war.
All das änderte jedoch nichts daran, daß die Männer vom Bund der Korsaren über den Zeitpunkt einer heraufziehenden Gefahr völlig im unklaren waren.
Deshalb hatten sie auch an diesem zweiten Tag schon beim ersten Licht mit der Arbeit begonnen. Und sie würden nicht vor Einbruch der Dunkelheit aufhören. Unentwegt war die Jolle der „Empress“ im Einsatz. Keine Minute lang vergaßen die Männer, daß dieses Boot ihr einziges bißchen Besitz gewesen wäre, wenn sie nicht die aufgebrummte Galeone entdeckt hätten. Das Glück war ihnen hold gewesen, und sie arbeiteten dafür, daß es auf ihrer Seite blieb.
Innerhalb der Vormittagsstunden stöberten sie die Galeone vom Kielschwein bis zum Hauptdeck durch. Neben den Waffen und der Munition fanden sie unendlich viel Nützliches, das sie während ihres Zwangsaufenthaltes auf den Cat Cays sehr gut gebrauchen konnten.
Mit jeder Kistenladung, die sie in das Boot fierten, wurden auch Utensilien in dem noch verbleibenden engen Raum zwischen den Duchten verstaut. Nach Waffen und Munition handelte es sich dabei in erster Linie um Werkzeug, Vorräten an Segeltuch und Tauwerk und Kombüsenausrüstung von Kochlöffeln bis zu Pfannen und Kochtöpfen.
Pro Transport von der Galeone zur Insel konnte die Jolle nicht mehr als vier Kisten verkraften, zumal die zusätzliche Ladung auch ihr Gewicht hatte. Bei Wind aus Nordosten waren Hasard und Philip junior wegen ihres Leichtgewichts die geeigneten Hands, um die schwerbeladene Jolle von der „Viento Este“ zur Insel zu segeln. Mit der jeweils entladenen Jolle kreuzten sie in kurzen Schlägen von der Insel zurück zur Galeone.
2.
Bis zur Mittagspause schufteten die Männer, was das Zeug hielt. Alle Kisten, Waffen und Gebrauchsgegenstände waren von Old Donegal, dem Kutscher, Nils Larsen und Sven Nyberg zunächst am Strand einer kleinen Bucht aufgereiht und gestapelt worden. Auch Proviantvorräte hatten Ed Carberry und die beiden anderen an Bord des gestrandeten Spaniers noch entdeckt.
Der Kutscher hatte ausgetrocknetes Treibholz gefunden, ein Feuer am Strand entfacht und mit den ersten eingetroffenen Sachen von der Galeone ein schmackhaftes Mahl zubereitet. Es gab einen kräftigen Eintopf aus eingeweichtem Dörrgemüse, roten karibischen Bohnen und kleingeschnittenem Räucherspeck und Pökelfleisch. Im Halbkreis hockten die Männer am Strand. Sie waren gezwungen, aus Mucks und Krügen zu essen, doch das änderte nichts daran, daß sie sich wie im Paradies fühlten. Zu frisch war noch die Erinnerung, daß sie als Schiffbrüchige wahrscheinlich tage- und wochenlang von Kokosnüssen hätten leben müssen.
„Donnerwetter“, sagte Sven Nyberg anerkennend. Er ließ einen wohligen Laut hören, nachdem er seinen ersten Krug geleert hatte. „Das hebt einen drei Tage toten Seelord wieder in die Stiefel.“
„Mindestens“, sagte Nils Larsen im Brustton der Überzeugung. „Ich bin sogar der Meinung, daß es besser ist als jeder Jungbrunnen.“
Der Kutscher hörte aufmerksam zu und lächelte geschmeichelt. Jeder in der Runde zuckte indessen beim Stichwort „Jungbrunnen“ kaum merklich zusammen, und Nils erntete vorwurfsvolle Blicke für seine Unbedachtsamkeit.
Old Donegal hatte den Kopf gehoben, war auf einmal hellwach geworden und vergaß sogar das Löffeln.
„Auf die Gewürze kommt es an“, sagte der Kutscher und versuchte damit, das Gespräch doch noch rasch in eine unverfängliche Bahn zu lenken. „Die Dons waren so freundlich, uns auch Pfeffer und Salz und getrocknete Kleinigkeiten zurückzulassen.“
„Scharfe Kleinigkeiten“, sagte Stenmark, öffnete den Mund weit und gab ein hechelndes Geräusch von sich. „Aber hervorragend.“
„Ja, finde ich auch“, sagte Ed Carberry, und ausgerechnet er, dem es sonst nie an Sprüchen mangelte, suchte krampfhaft nach Worten. „Ja, also – ich meine, das Zeug schmeckt wirklich verdammt gut.“
„Und es gibt Kraft!“