Seewölfe - Piraten der Weltmeere 358. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 358 - Burt Frederick


Скачать книгу
es überhaupt kein Problem, mit sechs Kerlen und einer Frau fertig zu werden, auch wenn sie Musketen, Pistolen und Entermesser bei sich hatten. Wichtig war nur, sie im Nu zu überrumpeln.

      Der Anführer der Piratenbande faßte einen schnellen Entschluß. Als er ihn flüsternd kundtat, waren die Kerle sofort Feuer und Flamme.

      Barba, der narbige Riese, hatte gemeinsam mit Siri-Tong die Führung der kleinen Gruppe übernommen. Sie erstiegen einen sandigen Hang an der Nordostseite der Bucht, über den das Landesinnere am leichtesten zu erreichen war. Ihnen folgten Roger Lutz, Sven Nyberg und drei weitere Männer, die allesamt außer ihren Cutlasses noch Pistolen und Musketen mit den dazugehörigen Pulverhörnern trugen. Ein Fußmarsch ins Ungewisse verlangt immer eine vollständige Ausrüstung.

      „Ein ödes Eiland, Madame“, sagte Barba geringschätzig, „öde und leer. Ist Zeitverschwendung, was wir tun.“

      Die Rote Korsarin schüttelte lächelnd den Kopf.

      „Man soll sich nie auf den äußeren Eindruck verlassen, mein Freund – weder bei Menschen noch bei Sachen. Ein Blick hinter die Kulissen erspart böse Überraschungen.“

      „Ku-lissen?“ fragte Barba stirnrunzelnd. „Eine besondere Art von Kühen? Kann man die auch fliegen lassen?“

      Siri-Tong mußte lachen. Barba war zwar ein abstoßend häßlicher Bursche, und er sah aus wie ein Schlagetot von der übelsten Sorte. Wenn man ihn nicht kannte, mußte man sich an seine seltsame Redeweise erst gewöhnen. Aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Auch in den bedrohlichsten Situationen konnte man sich auf ihn verlassen.

      „Keine Kühe, Barba“, sagte die Rote Korsarin lächelnd. „Kulissen sind die großen bunten Bilder im Theater. Damit es so aussieht, als wäre auf der Bühne eine richtige Landschaft, ein richtiges Haus oder …“

      Auf den Rest ihrer Erklärung mußte Barba verzichten. Und den übrigen Männern verging das amüsierte Grinsen.

      Heiseres Gebrüll brach über sie herein wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

      Die Kerle, die plötzlich aus dem Dickicht brachen und ihnen in breiter Front entgegenstürmten, sahen zum Fürchten aus. Jeder einfältigen Seele wäre bei diesem Anblick vor Schreck das Herz stehengeblieben.

      Doch bei Siri-Tong und ihren Männern währte das Erschrecken nicht länger als einen Atemzug.

      Sie reagierten blitzartig, ließen die Musketen fallen und schwärmten mit langen federnden Sätzen aus. Die Langwaffen nutzten ihnen auf die kurze Distanz nichts mehr. Denn die Meute der Angreifer brauchte nur wenige Yards zu überbrücken. Ein Nachteil war für den Erkundungstrupp von der „Le Vengeur III.“ überdies, daß die Galgenstricke sozusagen von oben nach unten das Gefälle ausnutzen konnten.

      Diesen Vorteil und auch das Überraschungsmoment hatten der Schwarzbärtige und seine Kerle in ihre Rechnung einbezogen. Doch schon nach Sekundenbruchteilen zerplatzte diese Rechnung wie eine Seifenblase.

      Fassungslos mußten die Piraten feststellen, daß sie buchstäblich ins Leere stürmten. Die Leute von der Galeone tauchten mit einer Behendigkeit unter ihnen weg, daß sie, die Angreifer, sich zur Lächerlichkeit erniedrigt fühlten.

      Im Handumdrehen hatte sich das Blatt gewendet. Jetzt waren es die Rote Korsarin und ihre Männer, die aus erhöhter Position auf die fast vierfache Übermacht losgingen.

      Sie konnten es sich nicht leisten, Rücksicht zu nehmen. Denn Fairneß war das letzte, was sie von diesen Halunken erwarten konnten. Unbarmherzig feuerten Siri-Tong, Barba und die anderen ihre Pistolen ab.

      Die Mündungsblitze stießen in die herum wirbelnden Reihen der Piratenbande, die sich zum neuen Angriff zu formieren suchte. Schreie gellten, und unter dem emporwölkenden Pulverrauch zeigte sich, daß die Front der wilden Horde in Verwirrung geriet.

      Siri-Tong und die Männer stießen ihre Pistolen in die Gurte zurück und zogen im Vorwärtsdringen ihre Entersäbel.

      „Jetzt lassen wir die Kuh fliegen!“ brüllte Barba. „Und gleich seht ihr die Kimm brennen, ihr Hundesöhne!“

      Keinem der Galgenstricke blieb Zeit, noch über den Sinn dieser Drohung nachzudenken. Wie ein Ungewitter brach der Gegenangriff über sie herein, alle Hoffnungen auf ein leichtes Spiel schwanden innerhalb von Sekunden.

      Die Rote Korsarin trieb zwei Gegner auf einmal mit sausenden Hieben zurück. Roger Lutz kämpfte mit wildem Lachen, und Sven Nyberg benutzte seine bloßen Fäuste wie Hämmer, nachdem ihm die Kerle den Cutlass weggeschlagen hatten. Barba hieb dem Schwarzbärtigen den Säbel aus den Fingern, und durch eine ungeschickte Bewegung lief der Anführer in die blitzende Klinge des narbigen Riesen.

      Als sie den Schwarzbärtigen fallen sahen, verloren die anderen jeglichen Mut. Nur noch ein zusammengeschmolzener Haufen waren sie. In panischer Hast ergriffen sie die Flucht ins Innere der Insel. Dabei schleiften sie auch die Verwundeten mit, die sich noch auf den Beinen halten konnten.

      Der Erkundungstrupp von der „Le Vengeur III.“ folgte ihnen, bis sie ihre Schaluppe an der Ostseite der Insel erreichten und den arg mitgenommenen Kahn Hals über Kopf ins freie Wasser manövrierten. Das zusammengeflickte Segel füllte sich mit Wind.

      „Die lassen sich nicht wieder blicken“, sagte Barba zufrieden, „die sehen jetzt die Kimm brennen.“

      Siri-Tong gab das Zeichen zur Umkehr. Sie durchforschten die Insel, wie es ihre ursprüngliche Absicht gewesen war. Dann begaben sie sich zurück zu der westlich gelegenen Bucht.

      Die Rote Korsarin ließ sich an Bord bringen, und die Männer pullten noch einmal zum Strand, um die Toten zu begraben.

      Jean Ribault erwartete Siri-Tong auf dem Achterdeck der „Le Vengeur III.“ Die Rote Korsarin las den Unwillen im Gesicht des schlanken Franzosen schon auf zehn Yards Entfernung.

      „Ich habe dich gewarnt“, sagte er mit unüberhörbarem Vorwurf.

      Siri-Tong sah ihn lächelnd an. Spuren des Kampfes waren ihr kaum anzusehen. Sie hatte nur einen kleinen Riß in der roten Bluse und eine Schramme auf dem rechten Handrücken.

      „Habe ich denn deine Warnung in den Wind geschlagen?“ entgegnete sie sanft. „War ich etwa nicht genügend auf der Hut?“

      „Du weißt genau, wovon ich spreche.“ Er bemühte sich, unnachsichtig zu bleiben, obwohl ihm das bei diesem sanften Klang in ihrer Stimme höllisch schwerfiel. Er wandte sich um, trat an die Heckbalustrade und blickte zum Strand, wo Barba und die anderen die Gräber schaufelten.

      Mit leisen Schritten folgte die Rote Korsarin Jean Ribault und berührte kaum merklich seine Schulter. Es war eine Berührung, die ihm dennoch ein Prickeln durch die Adern jagte. Er drehte sich zu ihr um, und der Blick ihrer dunklen Mandelaugen ließ seinen Ärger dahinschmelzen.

      „Ich mag es nicht, wenn du mich als schutzbedürftiges kleines Mädchen zu betrachten versuchst. Das ist so typisch männlich. Du siehst, die Männer und ich sind mit allen Problemen spielend fertig geworden.“

      Aus ihren Worten klang kein Vorwurf, doch um so mehr fühlte sich Jean bis auf den Grund seiner Seele durchschaut.

      „Du irrst dich“, entgegnete er dennoch. „Ich mag es nämlich nicht, wenn du mich wie einen kleinen Jungen zu bemuttern versuchst. Das ist so typisch weiblich.“

      Die Rote Korsarin mußte lachen.

      „Wir sind ebenbürtige Partner, Jean. Ich habe nur verlangt, daß du an Bord bleibst, weil du dich ein wenig schonen mußt. Die Insel zu erkunden, war eine Lappalie. Deswegen brauchtest du deine Kräfte nun wirklich nicht zu verausgaben.“

      „Zwei Dutzend Schlagetots sind keine Lappalie“, sagte er und ereiferte sich dabei. „Außerdem bin ich völlig in Ordnung. Ich brauche mich nicht mehr zu schonen. Das willst du mir nur einreden.“

      „Jean, ich bitte dich. Dein Rücken sieht immer noch schlimm aus. Es wird eine Weile dauern, bis alle Wunden verheilt sind. Und die Geschehnisse auf Gran Cayman haben dich auch wieder einige Kräfte


Скачать книгу