Seewölfe - Piraten der Weltmeere 522. Fred McMason
Hasard wußte, daß die Bleiladung in den Tromblons für mehrere Männer gleichzeitig tödlich war. Die Waffen hatten eine breite Streuung. Er musterte die beiden so überraschend aufgetauchten Kerle.
Der eine hatte einen langen schwarzen und reichlich verwilderten Bart. Daran zerrte er nervös mit einer Hand, während die andere die Waffe hielt.
„Ah!“ tönte Carberry. „Der hat sein eigenes Gestrüpp mitgebracht, um sich dahinter zu verstecken. Kein Wunder, daß wir das eine Rübenschwein nicht gesehen haben.“
„Ruhe, Hände hoch!“ brüllte der andere. Er hatte ein etwas eingefallenes Gesicht mit scharfen, unruhig blickenden Augen. Sein Bart war zwar gestutzt, aber die nächste Schur war bald fällig.
Hasard unterzog die beiden Kerle einer noch genaueren Musterung. Dabei fiel ihm auf, daß sie ihre Nervosität nur sehr mühsam verbargen und ziemlich verunsichert waren. Sie schienen auch Angst zu haben.
„Ihr befindet euch auf spanischem Gebiet!“ brüllte der Kerl mit dem eingefallenen Gesicht. „Ihr geht jetzt dort hinüber und wagt keine Bewegung, sonst schießen wir!“
Hasard hatte seine Musterung beendet und lächelte spöttisch.
„Womit wollt ihr armseligen Helden denn schießen?“ fragte er. „Etwa mit den Tromblons? Na, dann versucht es doch mal. Die verrosteten Dinger werden euch um die eigenen Ohren fliegen.“
„Ruhe!“ kreischte der andere. „Soll ich feuern, Señor Generalkapitän?“
Hasard stutzte wieder. Ein Generalkapitän befand sich hier auf dieser Insel? Das war wirklich bemerkenswert.
„Noch nicht, Corporal“, sagte der Generalkapitän hochnäsig und arrogant. „Dieser Pöbel ist uns erst noch eine Erklärung schuldig, bevor ich mich zur Vollstreckung entschließe.“
Der mit Corporal angesprochene Kerl nickte devot, verbeugte sich sogar noch und hatte wieder dieses Zucken in den Augen.
„Die beiden scheinen mir ein bißchen bescheuert zu sein“, meinte der Profos. „Jedenfalls haben sie was am Scheitel. Ganz sauber sind die Burschen nicht.“
Hasard und Don Juan wurden noch nicht so ganz schlau aus diesen beiden eigenartigen Helden, die hier in voller Montur standen und Tromblons in den Händen hielten, die so alt wie die Welt waren.
„Welche Erklärung sind wir euch denn schuldig?“ fragte Hasard ironisch.
Der Generalkapitän lief rot an und schnappte fast über.
„Maul halten, Engländer! Ihr seid Spione, die man aus England hier eingeschleust hat, um uns zu überrumpeln. Aber diese Inselgruppe ist bereits im Besitz der spanischen Krone. Ihr habt kein Recht, hier einzudringen, und ihr habt das Hoheitszeichen dieser Insel, die spanische Flagge, mißachtet. Ich bin Generalkapitän Don Ricardo de la Marcarena. Das dort drüben ist Corporal Virgil Aldegonde. Englisches Pack, verdammtes! Ich werde euch alle hinrichten lassen und das Schiff vor dem Hafen requirieren.“
„Ah ja“, sagte Hasard. „Vor dem Hafen, was? Euch hat wohl die Sonne ein bißchen das Gehirn ausgetrocknet. Generalkapitän und Corporal – daß ich nicht lache! Und nun steckt eure Bleispritzen wieder ein, sonst steht es schlecht für euch.“
„Falls ihr das nicht tut“, fügte der Profos grollend hinzu, „dann werde ich euch die Haut von euren edlen Affenärschen abziehen und zum Trocknen vor eure Hütten hängen, ihr Rübenschweinzüchter.“
„Corporal“, sagte Don Ricardo fassungslos. „Lassen Sie augenblicklich diesen schwarzhaarigen Teufel festnehmen. Und füsilieren Sie endlich diesen narbigen Bastard, der mich beleidigt hat.“
Der Corporal war ebenfalls mächtig verunsichert und schwitzte Blut und Wasser. Mal sah er hilflos auf seine vergammelte Waffe, dann wieder starrte er seinen „Vorgesetzten“ an, und dabei zuckten ständig seine Augen.
„Sehr wohl, Señor Generalkapitän“, brüllte er. Dann nahm er Haltung an, grüßte zackig und richtete das Tromblon auf Carberry.
Der Profos hatte einen Blick drauf, wie Hasard ihn lange nicht mehr an ihm gesehen hatte. Da war Belustigung drin, Unglauben und alles mögliche. Jedenfalls schien Ed sich sehr zu amüsieren. Er stand nur da und starrte in den trichterförmigen Lauf. Sein Grinsen wurde immer breiter.
Hasard taten die beiden Spanier fast leid. Er hatte auf Anhieb erkannt, was mit den beiden los war. Es waren zwei dümmliche Dons, die offenbar an ihrer Einsamkeit verzweifelt und dabei wunderlich geworden waren. Sie hatten eine Rangordnung eingeführt und spielten Chef und Untergebener. In diese Rolle waren sie im Laufe der Jahre regelrecht hineingewachsen und kamen nicht mehr von ihr los. Sie waren tatsächlich überspannt, um nicht zu sagen, bescheuert.
Kein Wunder, dachte Hasard. Wenn die beiden nur sich selbst hatten, ging das auf die Dauer nicht gut.
Als er aus den Augenwinkeln zu den Hütten sah, wurde ihm auch der Standesunterschied klar. Der „Generalkapitän“ bewohnte die große Hütte, und der „Corporal“ mußte mit der kleinen vorlieb nehmen, damit der Standesunterschied auch genügend zur Geltung kam.
Die anderen sahen in aller Ruhe und sehr gelassen zu, wie der Profos auf den „Corporal“ zuging, ihm ein Grinsen schenkte, das ihn bis in die Seele erschauern ließ, und ihm dann die Waffe abnahm.
„Die schießt doch nicht mehr, Kleiner“, sagte er. „Vielleicht ist sie nicht mal geladen.“
Hasard nahm sich inzwischen den Don Ricardo vor, der mit hochrotem Gesicht vor ihm zurückwich und die Waffe immer höher hielt.
„Ich schieße!“ kreischte er. „Ich werde die Miliz rufen! Oder die Kriegsschiffe! Man wird euch versenken!“
„Jaja, suchen Sie sich was aus“, sagte Hasard. „Aber fuchteln Sie nicht dauernd mit dem Ding herum. Vielleicht können wir uns auch mal vernünftig unterhalten.“
„Es lebe Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien!“ rief Don Ricardo. „Ich werde bis zum letzten Blutstropfen kämpfen, und wenn ich sterbe“, setzte er pathetisch hinzu.
„Hat noch keine Eile“, sagte Hasard gelassen, „auch wenn es sich sehr heroisch anhört. Aber der König von Spanien ist weit und wird Ihnen das kaum danken.“
Aldegonde zerrte aufgeregt an seinem Bart, den Carberry als Gestrüpp bezeichnet hatte. Er sah Don Ricardo erwartungsvoll und aufgeregt an und hatte auch keine Einwände, als Hasard ihm die Waffe abnahm und ins Gras warf. Jetzt war auch der Generalkapitän sozusagen entblößt in Feindeshand gefallen, was ihn mächtig aufregte.
Ein paarmal noch rief er nach der Miliz, und als die partout nicht anrückte, befahl er dem Corporal, sofort ein Schreiben aufzusetzen, um den König von Spanien um Entsendung weiterer Kriegsschiffe zu bitten, am besten gleich eine ganze Armada.
Die anderen hörten dem Stuß grinsend zu. Der Geist der beiden Dons war reichlich in Verwirrung geraten. Sobald jemand hustete oder sich auch nur räusperte, zuckte Aldegonde jedesmal heftig zusammen.
Der Kutscher beruhigte die beiden Männer, klopfte ihnen auf die Schultern und erklärte, daß sie keinesfalls die Absicht hätten, den ehrenwerten Dons auch nur ein Haar zu krümmen.
Seine Worte wirkten beruhigend, so daß sich der Generalkapitän schließlich zu der Frage entschloß, warum denn ausgerechnet die Engländer auf dieser Insel gelandet seien. Das könne wirklich kein Zufall sein, dahinter stecke doch Verrat.
„Wir durchsegeln den Pazifik“, erklärte der Kutscher geduldig. „Und da wir kaum noch Trinkwasser und Proviant hatten, suchten wir nach einer Insel, bis wir schließlich auch eine fanden. Jetzt wollten wir weitersegeln, aber da sahen wir die Flagge und wurden neugierig. Das ist doch verständlich.“
Alle beide nickten vorsichtig, waren aber noch immer von leichtem Mißtrauen erfüllt.
Schließlich nickte Don Ricardo.
„Gehen wir ins Arsenal“, sagte