Seewölfe - Piraten der Weltmeere 211. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 211 - Roy Palmer


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du bist aber wieder mal leicht auf die Palme zu bringen.“

      „Kein Wunder, wenn ich ständig geärgert werde!“

      „Es muß am Wetter liegen“, sagte Big Old Shane. „Die Wärme und die Feuchtigkeit sind das reine Gift für dein Bein.“

      „Das ist es nicht“, zischte der Alte. „Ich bin doch kein Tattergreis, den immer irgendwelche Gebrechen plagen.“

      „Wer hat denn das behauptet?“ fragte Shane so freundlich wie möglich. „Wer, Donegal? Oder redest du dir schon selbst was ein? Könnte ja sein – bei deinen ewigen Prophezeiungen.“

      „Aufhören“, sagte der Seewolf. „Ich muß jetzt für Donegal Partei ergreifen, denn er hat völlig recht: Wir sollten Indien so schnell wie möglich den Rücken kehren. Ganz gegen meine ursprünglichen Absichten sind wir von Andamanen aus nicht in den Indischen Ozean gesegelt, sondern haben einen Umweg durch den Golf von Bengalen unternommen. Aber jetzt lege ich keine Station mehr ein, das versichere ich euch. Wir haben schon zuviel Zeit verloren.“

      „Man kriegt schon so was wie Sehnsucht nach dem guten alten Atlantik“, sagte Ben.

      „Und nach Old England“, meinte Dan O’Flynn.

      „Ehe wir wieder Plymouth oder Falmouth anlaufen, wird aber wohl noch viel Zeit vergehen“, sagte Old O’Flynn. „Stimmt’s, Sir?“

      „Ja.“

      „Ist doch egal“, sagte Dan und grinste schon wieder, wobei er seinen Vater aus den Augenwinkeln musterte. „Man wird doch wohl noch träumen dürfen, oder?“

      Old Donegal warf ihm einen giftigen Blick zu.

      Shane hatte ein Spektiv auseinanderzogen und hob es vor sein Auge. Er spähte nach Steuerbord voraus und sagte: „Ich kann die beiden Feuer an Land jetzt auch sehen. Wißt ihr, was ich mich die ganze Zeit über frage?“

      „Was sie zu bedeuten haben“, erwiderte der Seewolf. „Natürlich wird es bei dieser Schwüle keinem Menschen einfallen, sich an einem Lagerfeuer wärmen zu wollen. Aber vielleicht handelt es sich um ein Zeichen.“

      „Für wen?“ fragte Ben. „Für jemanden, der sich auf See befindet?“

      „Wahrscheinlich.“

      „Für uns ganz bestimmt nicht“, brummte Old O’Flynn.

      „Und deshalb werden wir uns auch nicht weiter darum kümmern“, sagte der Seewolf.

      Narayan drückte die Ruderpinne immer weiter herum, und sein Sohn braßte das Segel im Anluven des Bootes so weit an, daß die Vortriebskraft des Windes nicht verringert wurde. Ein kräftiger Drücker aus Nordosten verlieh dem Boot so viel Schub, daß es ein wenig Vorsprung gewann und vor dem von Backbord drohend herangleitenden Piratensegler davonlief.

      Narayans und Chakras Gesichter und Körper waren schweißbedeckt. Sie kauerten in dem schlanken, langen Boot, blickten mal voraus zu den an Land zuckenden Feuern, mal nach achtern zu dem Zweimaster mit den dreieckigen Segeln, dessen Bug dem Heck des Bootes nun bedenklich nah war.

      Sie hatten längst begriffen, was die Kerle an Bord des Zweimasters mit ihnen vorhatten, und ihre anfängliche Wut auf Raghubir schlug in Panik und Verzweiflung um.

      Chakra fühlte sein Herz heftig hämmern, es schlug ihm bis zum Hals hinauf. Er gab sich keinen Illusionen hin. Wenn es Raghubir gelang, sie mit seinem Schiff zu rammen, dann war nicht nur das Boot verloren, sondern es war auch um ihrer beider Leben geschehen. Entweder wurden sie mit dem kenternden, zerbrechenden Boot in die Tiefe gedrückt, oder aber der Rumpf des Piratenschiffes begrub sie unter sich.

      Für kurze Zeit hatten Narayan und Chakra geglaubt, die Piraten wollten sie nur in nördliche Richtung abdrängen und verhindern, daß sie nach Kadiri gelangten. Jetzt aber war es klar, welche Absichten die Meute von Schnapphähnen und Galgenstricken hegte.

      Mord, dachte Chakra, kaltblütiger Mord.

      Sein Haß auf Raghubir und dessen Spießgesellen verdrängte die Verzweiflung, mit einem Ruck drehte er sich wieder zu dem Schiff um, dessen Bug nun fast über dem Heck des Bootes war.

      Den geringen Vorsprung, den sie zuvor erreicht hatten, drohten Narayan und Chakra nun wieder einzubüßen.

      Gern hätte Chakra einen Pfeil zu dem Deck des Schiffes hinaufgejagt, an dessen Schanzkleid er jetzt die düsteren Konturen von männlichen Gestalten sehen konnte. Aber er trug als Waffen nur ein Messer und ein kurzes Schwert bei sich. Narayan hatte auch weder einen Speer noch Pfeil und Bogen, und so waren sie beide machtlos gegen die nahenden Feinde.

      Narayan gab seinem Sohn jetzt jedoch ein Zeichen – und Chakra reagierte sofort darauf. Er schrickte die Schot des Segels weg und holte die Gaffelrute herum, während sein Vater die Ruderpinne zur anderen Seite hinüberbewegte und das Boot auf den anderen Bug legte.

      Sie fuhren eine Halse und entwischten dem Schiffsbug auf knappe Distanz in südliche Richtung.

      Ganz so schnell vermochten die Freibeuter nicht zu manövrieren, sie brauchten dazu etwas länger Zeit.

      Wetterleuchten goß weißes Licht in die Dunkelheit, und so konnte Chakra, der sich flink wieder nach den Gegnern umwandte, nicht nur das Schiff von Raghubir sehen, sondern auch die beiden anderen Zweimaster, die nicht sehr weit entfernt im Kielwasser ihres Führungsschiffes segelten.

      Die Helligkeit erlosch. Chakra war wie geblendet, er konnte das Schiff von Raghubir jetzt kaum noch erkennen.

      „Wir haben ihnen ein Schnippchen geschlagen“, sagte Narayan. „Wir sind schneller und gewandter als sie, mein Sohn, und das ist unser Trumpf. Vishnu ist doch mit uns. Wir können es schaffen, gleich verlieren die Hunde uns aus den Augen.“

      Chakra fühlte sich durch diese Worte seines Vaters angespornt. Er holte die Schot noch etwas weiter dicht und hielt sie mit beiden Händen fest. Dann, als sein Vater ihm zuwinkte, schrickte er sie wieder ein Stück weg, und gleich darauf lag das Boot wieder auf Südwestkurs und steuerte auf die Feuer zu, die vor den Augen der beiden Männer rasch größer wurden.

      Chakra wollte schon frohlocken, denn er war jetzt sicher, daß sie den Feind durch geschicktes Manövrieren und eine Reihe von Tricks abhängen konnten. Dann aber fuhr er zusammen und duckte sich tief, denn etwas zischte von achtern heran.

      Narayan stieß noch eine Warnung aus, dann war der Pfeil heran und blieb mit einem dumpfen Laut in der mittleren Ducht stecken. Chakra ging vor der vorderen Ducht in Dekkung und glitt dabei um ein Haar aus. Er kauerte sich hin, blickte wieder nach achtern und sah, wie sich auch sein Vater in Sicherheit brachte, dabei aber nach wie vor die Ruderpinne festhielt.

      Eine Hoffnung hatte sich zerschlagen. Die Piraten hatten die beiden Fischer doch nicht aus den Augen verloren. Sie konnten sie noch gut genug sehen, um mit ihren Pfeilen ein Zielschießen auf sie zu veranstalten.

      Der zweite Pfeil strich flach über das Boot weg. Gleich darauf durchbohrte ein dritter das Segel, und ein vierter blieb in der Bordwand des Hecks stecken.

      Narayan stieß einen zischenden Laut aus. Chakra wertete ihn richtig und veränderte wieder die Segelstellung. Narayan riß die Ruderpinne herum.

      Narayan hatte beschlossen, einen Zickzackkurs zu fahren, um die Piraten zu irritieren, und diese Taktik schien sich auch als erfolgreich zu erweisen, denn die nächsten Pfeile gingen fehl. Vater und Sohn konnten deutlich hören, wie sie wirkungslos ins Wasser schlugen.

      Immer mehr schrumpfte die Entfernung zur Küste zusammen. Narayan gab sich alle erdenkliche Mühe, das Boot bei allem Hin- und Herwenden doch zielgenau in die Bucht zu steuern.

      Plötzlich aber stieß Narayan einen Schmerzenslaut aus.

      Chakra fuhr zu ihm herum und sah, daß sein Vater getroffen worden war.

      Der Pfeil steckte in Narayans linker Schulter. Chakra stöhnte vor Entsetzen auf. Er wollte zu seinem Vater kriechen, doch dieser bedeutete ihm, es nicht zu tun.

      „Nicht!“ sagte er gepreßt.


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