Seewölfe - Piraten der Weltmeere 356. Davis J.Harbord
von der „Isabella“ ankerten die „San Donato“ und das Hausboot. Die „Isabella“ selbst mochte etwa dreißig, vierzig Yards von der Karavelle entfernt sein.
Die beiden Kerle, die auf dem Achterdeck der „Isabella“ ihre Wache schoben, waren als undeutliche Schatten zu sehen. Sie befanden sich an der Heckreling und schienen immer wieder Blicke zu der Karavelle hinüberzuwerfen.
Abschießen müßte man die Hunde, dachte Mardengo, aber er sagte flüsternd: „Ich habe den Eindruck, daß die Bastarde ständig zu uns herüberpeilen. Da ist es wirklich zu riskant, mit der Karavelle abzuhauen. Gut, ich habe nichts dagegen, wenn wir mit den beiden Jollen verschwinden. Wollen wir die Karavelle vorher anbohren? Was meinst du, was die Bastarde dämlich glotzen, wenn der Kahn anfängt abzusaufen!“
Davon hielt Duvalier überhaupt nichts. Er hatte es jetzt eilig. Nur weg hier, so schnell wie möglich, das war seine Devise.
„Wie verfahren wir?“ fragte Mardengo, um scheinheilig kundzutun, daß er Duvalier die Führerrolle überlasse.
„Deine Leute besetzen die eine Jolle“, erwiderte Duvalier, „meine Leute die andere. Wir lassen uns zuerst nach Süden treiben, bis wir genug Abstand von den Hunden haben. Der Wind steht ja von Norden. Dann pullen wir leise nach Osten hinüber bis zum Ufer und am Ufer entlang wieder rauf nach Norden, wo wir auf dieser Seite auch auf den Kanal stoßen. Falls die Kerle zwischenzeitlich was bemerkt haben sollten, können wir immer noch in die Bayous flüchten. Ich kenn mich da aus, da findet dich keine Sau mehr!“
An und für sich war Duvaliers Plan ihrer Flucht hieb- und stichfest und die einzige Möglichkeit, ungeschoren davonzukommen. Er hatte sehr richtig erkannt, daß es nur noch ums Überleben ging. Aber Mardengo wollte überleben und gleichzeitig einen Schnitt machen. Er dachte eben ein bißchen weiter. Das war der Unterschied zwischen diesen beiden Strolchen. Nicht, daß Mardengo darauf erpicht war, sich noch einmal mit den englischen Bastarden anzulegen. Da war er ganz der Meinung Duvaliers. Diese Hundesöhne waren derzeitig zu überlegen und zu stark, die waren nicht zu schaffen. Aber er hatte einen anderen feinen Plan, und jetzt war es soweit, ihn in die Tat umzusetzen.
Er nickte Duvalier zu und sagte: „Gut, packen wir’s. Gib deinen Leuten Bescheid, in eure Jollen abzuentern. Ich kümmere mich um meine Kerle, laß die sechs Posten aber so lange wie möglich an Oberdeck, damit sie von den englischen Hunden gesehen werden. Einverstanden?“
„Geht klar“, flüsterte Duvalier und huschte nach achtern, wo seine Kerle, zum Teil vermischt mit Mardengos Kumpanen, in dem Gang zum Achterdecksschott warteten.
Mardengo flüsterte inzwischen mit seinen beiden Kerlen, die auf der Kuhl die indianische Wache markierten. Dann schlich er zur Back zu seinen beiden anderen Kerlen, und auch dort tuschelte er und gab seine Befehle.
Erst dann eilte er geduckt und in der Deckung des Schanzkleides zurück nach achtern, wo Duvaliers Galgenvögel bereits eine Jolle vorsichtig an die achtere Backbordseite der Karavelle heranzogen, die von der „Isabella“ her nicht einzusehen war. Zwei Kerle von Duvalier hatten indessen achtern an Backbord eine Jakobsleiter ausgebracht.
Als die Jolle dort längsseits lag, enterten Duvaliers Männer einer nach dem anderen ab. Mardengos Kumpane zogen die zweite Jolle dichter zum Heck. Mardengo selbst flüsterte mit Oka Mama, huschte dann zur Backbordseite und beobachtete, wie Duvaliers Kerle nach unten stiegen.
Duvalier kletterte als letzter über das Schanzkleid.
„Wartet auf uns!“ zischte ihm Mardengo zu.
„Beeilt euch!“ flüsterte Duvalier zurück und verschwand nach unten.
Mardengo nickte. Daß er dreckig grinste, sah Duvalier nicht. Und er sah auch nicht, daß Mardengo sich zur Back wandte, den Arm hob und scharf nach unten sausen ließ.
Diese Gebärde besagte: Kappt die Ankertrosse!
Immer noch grinsend, löste Mardengo die Vorleine der Jolle Duvaliers von einer Klampe und warf sie lässig hinunter in die Bootsplicht.
Duvalier flüsterte sogar: „Danke!“
Er hatte noch nichts begriffen. Er wunderte sich nur, warum Mardengo die Jakobsleiter nach oben holte.
Was soll das denn? dachte er.
Und er erstarrte, als er den dumpfen Laut hörte – vorn am Bug der Karavelle. Gleichzeitig platschte etwas ins Wasser, und ein Ruck durchlief den Zweimaster.
„He!“ brüllte eine Stimme auf dem Achterdeck der „Isabella“.
Der Zweimaster trieb über den Achtersteven, aber da stand Mardengo am Ruder, das er nach Backbord gelegt hatte. Die Karavelle schwang in sanfter Rückwärtsfahrt bei Backbordgegenruder nach Steuerbord. Sie drehte gemächlich, aber da wurden bereits die beiden Lateinersegel am Hauptmast und am achteren Mast gesetzt.
Duvalier schrie auf.
Und seine Kerle brüllten ihr Entsetzen hinaus.
Denn die Karavelle drehte von ihnen ab, der Wind aus Norden stieß in die beiden Segel, die noch backgehalten, dann aber auf Vorwindkurs getrimmt wurden – und schon rauschte der Zweimaster ab nach Süden.
Die Jolle Duvaliers lag wie auf dem Präsentierteller.
Mardengo winkte höhnisch zu Duvalier hinüber. Das Gelächter von Bord der Karavelle klang, als lachten alle Teufel der Hölle.
„Du Schwein!“ brüllte Duvalier. „Du mieses, dreckiges Schwein!“
Er stand aufrecht achtern in der Jolle und schüttelte die Fäuste. Seine Kerle tobten auf den Duchten und brüllten.
Vom Achterdeck der „Isabella“ stachen Blitze auf die Jolle zu – Musketenschüsse. Dann krachte eine Drehbasse auf dem Achterdeck der englischen Galeone. Ihre Ladung schlug knapp hinter dem Ruder der ablaufenden Karavelle ins Wasser. Ein Brandpfeil stieg in den Himmel und senkte sich nieder. Für einen Moment holte er die Karavelle mit seinem Licht aus der Dunkelheit. Dann stieß er an ihrer Backbordseite ins Wasser und verlöschte.
Zwei, drei Kerle in der Jolle Duvaliers griffen nach den Pistolen und Musketen, die sie aus der Waffenkammer der Karavelle mitgenommen hatten, und feuerten sinnlos hinter dem Zweimaster her, drei andere eröffneten das Feuer auf die „Isabella“.
„Hört auf, ihr Idioten!“ brüllte Duvalier. „An die Riemen! Wir müssen verschwinden, verflucht noch mal …“
Was er noch sagen wollte, ging im Schußlärm unter. Feuerblitze zuckten auf dem Achterdeck der „Isabella“ auf, Blei zirpte heran, durchschlug die Planken der Jolle, Holz zerbarst, zwei Kerle sprangen voller Panik ins Wasser, drei andere sanken in sich zusammen.
Duvalier bäumte sich jäh auf und griff sich an die Brust.
„Nein …“, gurgelte er. Dann kippte er langsam vornüber und krachte zwischen die Duchten.
Dies war das Ende eines Mannes, der mit und von der Gewalt gelebt hatte, und er war noch ehrenvoll mit einer Kugel in der Brust gestorben. Der Tod am Galgen oder an der Rah, wie ihn dieser wüste Mensch und mehrfache Mörder verdient hätte, blieb ihm erspart.
Wenn er etwas aus seinem üblen und gewalttätigen Leben mit hinüber in das dunkle, unbekannte Jenseits nahm, dann mußte es in seinen letzten Sekunden vor dem Endgültigen die Erkenntnis gewesen sein, daß er kaltblütig und schamlos betrogen worden war.
Es war eben doch möglich gewesen, mit der Karavelle zu fliehen, aber man mußte die Aufmerksamkeit von sich ablenken, und dafür war die Jolle das geeignete Objekt. Daß Duvalier und seine zehn letzten Kumpane dabei über die Klinge sprangen, war ihr persönliches Pech. Warum waren sie so dumm, sich von Mardengo einwickeln zu lassen, nicht wahr?
Die Jolle begann zu sinken.
Die Karavelle wurde von der Dunkelheit verschluckt.
Von der „Isabella“, auf der jetzt mehrere Lichter brannten, löste sich ein Boot und wurde auf die wracke Jolle zugepullt. Philip Hasard Killigrew selbst hatte die Pinne übernommen. Dan