Seewölfe - Piraten der Weltmeere 493. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 493 - Roy Palmer


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den Atlantik in die Neue Welt führe, wo sie das gelobte Land vorfinden würden.

      Zu diesem Zweck müsse man in England allen Besitz aufgeben und verkaufen und eine Anzahl von Galeonen erstehen, mit denen man das Jammertal und das Sündenbabel hinter sich lassen werde. Schließlich könne man nicht über das Meer spazieren, wie es dereinst Jesus getan hatte.

      Man konnte auch nicht erwarten, daß sich die Fluten teilten, wie es der Fall gewesen war, als Moses und das Volk der Juden Ägypten verlassen hatten, um nach einer neuen Heimat zu suchen. Damals hatte es eben noch keine so guten und soliden Schiffe gegeben. Außerdem war der Atlantik größer als der See Genezareth oder das Rote Meer.

      All das sahen Websters Anhänger ein. Prompt verkauften sie Haus und Hof und sahen sich in Plymouth nach entsprechenden Schiffen um. Vier Galeonen mußten schon her, um die Gemeinde Jehovas zu befördern. So kauften die Auserwählten die Segler und tauften sie auf Namen um, die dem Sinn und Ziel ihrer Sache entsprachen. „Kyrie eleison“ hieß das Flaggschiff – Herr, erbarme dich! „Cherubim“ lautete der Name der zweiten Galeone, und die dritte und vierte hatten ähnliche Namen biblischer Herkunft.

      Die Gläubigen hatten also ihr letztes Hemd hergegeben, um die Schiffe zu kaufen. Webster indes hatte nicht im Traum daran gedacht, auch die Golddukaten zu verwenden. Die behielt er für sich – als Rücklage für schlechtere Zeiten. Man konnte nie wissen, was kam.

      Im übrigen hatte Webster seiner Gemeinde wohlweislich vorenthalten, daß er sozusagen auf den sanften Druck des Königshauses hin England verließ. Nein, das brauchte keiner zu wissen. Sein Weichen wäre als Schwäche ausgelegt worden. Das schadete dem Charisma. Also erwähnte es Webster erst gar nicht.

      Innerlich frohlockte er. Er nannte vier wertvolle Schiffe sein eigen, hatte einen Sack voll Gold und auch sonst alles, was er wollte: Wein, genug zu essen, Frauen. Was wollte er mehr? In der Neuen Welt würde er sich ein gutes Stück Land aneignen. Vielleicht eine Insel? Er würde sehen, wie sich die Dinge ergaben. Auf jeden Fall brauchte er selbst keinen Finger zu rühren. Die Jünger Zions würden wie üblich für ihn schuften. Sie würden Häuser bauen und Vieh züchten, die Felder bestellen und ernten. Websters Aktivitäten würden sich auf Predigen, aufs Teufelaustreiben und eventuell auf die Vermehrung der Gemeinde beschränken.

      Jeremiah Josias Webster öffnete noch eine Flasche Wein und holte ein Stück kaltes Schweinefilet aus dem Schapp, das er mit ein paar Scheiben Brot verspeiste. Ja, auch das konnten die Auserwählten Jehovahs: Sie hatten säckeweise Mehl mit an Bord gebracht. Jede Woche der Überfahrt wurde frisches Brot gebacken.

      Und jede Woche wurde auch eins der Tiere geschlachtet, mal ein Schwein, mal ein Schaf oder eine Ziege. Auf den Galeonen standen Verschläge, in denen die Tiere untergebracht waren. Es gab auch Federvieh – Legehennen und Suppenhühner, aber auch junge, kräftige Hähne, die die Fortpflanzung der Art sicherten.

      Schmatzend beendete Webster seine Mahlzeit. Dann leerte er auch die zweite Flasche Wein. Er wollte sich erheben, um sich eine der jungen Frauen zu holen und zum gemütlicheren Teil des Abends überzugehen, doch plötzlich näherten sich der Kapitänskammer polternde Schritte. Webster hob den Kopf. Seine Augen verengten sich. Sein Gesichtsausdruck war lauernd. Was hatte das zu bedeuten?

      Orman Smead atmete auf. Ein Wunder schien geschehen zu sein: seine Frau hatte fast kein Fieber mehr. Endlich lächelte sie wieder, und eben hatte sie von der heißen Suppe gegessen, die von den anderen Frauen zubereitet worden war. Judith war über den Berg, wie die Frauen dem Mann glaubhaft versichert hatten. Der Sturm schien ihre Krankheit weggeblasen zu haben.

      Jawohl, es war der Glaube, der ganze Berge versetzte. Orman Smead legte seiner Frau ergriffen die Hand auf die Stirn.

      „Dem Herrn sei Dank“, sagte er.

      Etwas später, als Judith Smead eingeschlafen war, beschloß ihr Mann, die Kuhl aufzusuchen und ein Gebet zu sprechen. Immer wenn er nachts sein Antlitz dem Mond und den Sternen zuwendete, hatte Smead das Gefühl, besonders enge Zwiesprache mit Gott zu halten.

      Orman Smead schritt durch das Schiff, tief in seine Gedanken verstrickt. Fast überhörte er die Geräusche, die gedämpft aus einer der Kammern drangen. Dann aber schien es eine innere Stimme zu sein, die ihn bremste und alarmierte. Himmel – was für Laute waren das?

      Betroffen verharrte Smead. Einen Augenblick stand er mit verhaltenem Atem da. Dann konnte er nicht anders – er mußte sein Ohr an das Schott der Kammer legen und lauschen. Heilige Mutter Gottes, dachte er, was geht hier vor?

      Die Laute schienen ziemlich eindeutig darüber Auskunft zu geben. Die Töne der Lust waren da zu hören, mal ein unterdrücktes Stöhnen und dann wieder eine Art Keuchen.

      Orman Smead richtete sich wieder auf und schnappte nach Luft. Er war versucht, das Schott einzurennen und empört in die Kammer zu stürmen. Doch durfte er das? Nein – es lag nicht im Bereich seiner Kompetenzen. Nur einer war befugt, in einem Fall wie diesem einzuschreiten, und das war der Großmeister selbst.

      Smead zögerte keine Sekunde. Statt das Oberdeck aufzusuchen, eilte er geradewegs zur Kammer des Kapitäns und klopfte heftig gegen das Schott.

      Von innen ertönte eine dumpfe Stimme. Klang sie nicht auch etwas verzerrt? Unsinn, es konnte nur die Einbildung sein, die Smead etwas Derartiges vorgaukelte. Der Großmeister war allzeit wach und bereit, nichts konnte seine Umsicht und Aufmerksamkeit beeinträchtigen.

      „Was ist los?“ brummte die Stimme.

      „Erhabener?“ sagte Smead vorsichtig.

      „Ja. Was willst du?“ Um ein Haar hätte Webster gesagt: ‚Was, zum Teufel, willst du?‘ Aber er konnte sich gerade noch rechtzeitig genug beherrschen.

      „Ich habe etwas zu melden“, erwiderte Smead drängend.

      Jeremiah Josias Webster war mit einem Satz auf den Beinen, mußte sich jedoch mit einer Hand am Pult festhalten, weil er ins Schwanken geriet. Diese Art von Gleichgewichtsstörung war nicht auf den Seegang, sondern auf den Rotwein zurückzuführen. Webster brummelte etwas Unverständliches, dann ging er zum Schott und riß es auf.

      Moses höchstpersönlich schien ihm gegenüberzustehen, es fehlten nur die Gesetzestafeln. Argwöhnisch und fragend zugleich musterte Webster den weißbärtigen Riesen, der im dämmrigen Licht der Öllampe, die am Deckenbalken der Kammer baumelte, auf ihn zutrat.

      „Nun?“ fragte der Großmeister. „Was ficht dich an, Orman Smead?“

      Smead erwiderte: „Es geschieht Ungeheuerliches auf diesem Schiff, Erhabener.“

      „Geht es deiner Frau schlechter?“

      „Nein. Das Fieber hat nachgelassen.“

      Websters Miene hellte sich etwas auf. „Dann freue dich. Der Herr hilft seinen Schäflein. Da hast du wieder den Beweis. Laß uns gemeinsam beten, Bruder.“

      „Es geht nicht um meine Frau Judith“, erklärte Smead. „Es gibt Schlimmeres zu vermelden.“

      „Spann mich nicht auf die Folter.“

      Smead senkte die Stimme. „In einer der Kammern geht es drunter und drüber. Ich fürchte, da wohnt einer der Seeleute einem der Mädchen bei.“

      Fast hätte Webster wegen der Ausdrucksweise des anderen aufgelacht, aber auch das konnte er sich verkneifen. „Bist du ganz sicher?“

      „Ja, leider.“

      „Diese Nattern gehören bestraft“, sagte Webster.

      „Ich wollte schon einschreiten“, sagte Orman Smead. „Aber erst wollte ich mich deiner Zustimmung vergewissern.“

      „Das übernehme ich selbst“, sagte Webster. Er drehte sich um, stolperte durch die Kammer und nahm die neunschwänzige Katze vom Haken. Dann kehrte er zu Smead zurück. „Ich werde sie schon züchtigen, diese Sünder!“ verkündete er.

      Smead war ein wenig irritiert. Wäre er nicht ganz sicher gewesen, daß Webster in Askese und Abstinenz lebte, dann hätte er in diesem Augenblick geschworen,


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