Seewölfe - Piraten der Weltmeere 367. Fred McMason
er nach den Flögeln, suchte dann die vorausliegende Kimm ab und kniff die Lippen zusammen.
Klar, dachte er, da liegt was in der Luft. Kein Wunder nach den gestrigen Äußerungen Willaerts. Der hatte das mit seinen Worten ja geradezu hergebetet.
Noch etwas anderes mißfiel ihm an diesem Tag, und das war sein Erster Offizier van Dongen, der mit leerem Gesicht am Backbordschanzkleid stand und unbeteiligt ins Wasser starrte. Er schien erschöpft und müde zu sein, als hätte er sich wer weiß wie abgerackert. Doch das war nicht der Fall gewesen. In Havanna hatten sie selbst keine Hand zu rühren brauchen, um den Tabak an Bord zu nehmen. Das hatten die Spanier bereitwillig getan.
Bontekoe musterte seinen schläfrigen Ersten scharf. Dem fielen alle Augenblicke die Augen zu, und wenn er sie öffnete, dann geschah das immer krampfhaft und ruckartig.
Trunkenheit scheidet aus, überlegte der Kapitän, denn der Erste trank nicht einmal Genever, von Rum ganz zu schweigen.
Die Inseln voraus wurden größer. Gleichzeitig schob sich auch die Wolkenbank höher an der Kimm hoch und wuchs in den Himmel. Dabei veränderte sie leicht die Farbe in lilagelb. Eine Lage sah aus wie schmutziger Schwefel.
Bontekoes Blicke wurden immer besorgter.
„Wir kriegen Sturm“, sagte er zu van Dongen, „wir segeln genau in das Unwetter hinein. Ich glaube, es wird im Lauf der Nacht zu heulen beginnen.“
„Ja“, sagte der Erste mit müder Stimme. „Ja, Kapitän.“
„Wir könnten es bis Crooked Island schaffen. Wir wären auch in der Lage, den Sturm abzureiten. Aber das möchte ich schon wegen der Passagiere nicht riskieren. Die Verantwortung ist mir zu groß.“
„Ja, Kapitän.“
„Wenn es schlimmer werden sollte, laufen wir die Insel an und gehen in der Südbucht vor Anker. Wir waren schon einmal dort. Es ist ein gutes und geschütztes Plätzchen. Hören Sie mir überhaupt zu, van Dongen?“ fragte der Kapitän scharf.
„Ja, Kapitän.“
„Verdammt, was ist mit Ihnen los? Sind Sie krank?“
„Ich fühle mich saft- und kraftlos. Offenbar ist mir das Essen nicht bekommen. Mir ist oft übel.“
„Gehen Sie zu Doktor Laurens, und sagen Sie es ihm.“
Der Erste riß sich gewaltsam zusammen und versuchte Klarheit und Frische in seinen Blick zu legen.
„Geht schon wieder“, murmelte er. „Jeder fühlt sich mal unpäßlich. Das gibt sich meist von allein.“
„Wie Sie wollen. Legen Sie sich eine Weile aufs Ohr und schicken Sie mir Cronberg aufs Achterdeck.“
Der Erste versuchte, aufrecht zu gehen, doch sein Blick wurde wieder trübe, und seine Schultern hingen herab. Er schlurfte etwas beim Gehen.
Kurz darauf erschien achtern Arie Cronberg, der Zweite Offizier.
Bontekoe wiederholte das, was er van Dongen gesagt hatte. Cronberg nickte sofort.
„Ja, bis nach Crooked schaffen wir es, bevor es richtig losgeht. Ich bin auch dafür, daß wir Schutz suchen, eben wegen der Passagiere. Mevrouw Willaerts scheint mir besonders anfällig und wetterfühlig zu sein. Sie klagte über Kopfschmerzen und hat offenbar Angst vor einem Unwetter.“
Die See war jetzt noch dunkler. An Backbord tauchte in ein paar Meilen Entfernung eine der kleinen Inseln auf, eine winzige Oase im Meer, unbewohnt, voller hoher Kokospalmen und einem Strand, der wie mit dem Lineal gezogen war.
Die winzigen Inseln wiesen kaum Buchten auf. Jedenfalls waren sie nicht groß genug, um bei einem Sturm Schutz zu geben. Wie ein riesiger Halbkreis zogen sie sich durchs Meer. An Steuerbord war jetzt die nächste zu sehen, die der ersten wie ein Ei glich.
Als sie die Inseln passierten und wieder andere auftauchten, sahen sie, daß starker Wind die Palmwedel bog. Er schüttelte sie durch, peitschte sie heftig, bis sich die Wedel tief nach unten bogen, und ließ dann sofort wieder nach. Ein untrügliches Zeichen, daß sich nicht nur ein Wetterchen näherte, sondern daß orkanartige Stürme bevorstanden. Über die See fuhr es wie mit tausend Peitschen. Es schäumte auf, bewegte sich heftig und verlor sich dann in langrollender Dünung.
In der Wolkenwand erschien ein dunkler, fast schwarzer Fleck, der sich langsam ausbreitete.
Als die Nacht anbrach, lief die Dünung hoch. Die ersten Seen türmten sich auf. Gischt stieg donnernd auf und verteilte sich wie ein Regenguß über alle Decks.
Das war der Zeitpunkt, daß es auch dem Zweiten Offizier dreckig ging und er über Übelkeit klagte. Van Dongen lag immer noch in seiner Koje, erschien aber zwei Stunden später auf dem Achterdeck.
„Sie werden mir doch nicht seekrank werden!“ scherzte der Kapitän.
Doch dem Zweiten war nicht nach Scherzen zumute. Er fühlte sich so hundeelend wie noch nie in seinem Leben. Bontekoe schickte ihn ebenfalls nach unten und war ziemlich ratlos.
Doktor Laurens konnte nichts Besonderes feststellen. Er gab Cronberg einen Becher voll Essigwasser zu trinken, bis der Zweite sich erbrach. Vorerst glaubte jeder noch an eine Magenverstimmung, wie sie nicht selten war. Dafür sprachen alle Anzeichen. Merkwürdigerweise ging es den anderen Männern gut.
Kurz nach Mitternacht heulte es laut über die See. Fauchend fuhr es heran, peitschte ins Meer und türmte es zu schäumenden Wogen auf, die donnernd heranjagten.
Die „Nieuw Hoorn“ begann auf den Wellen zu tanzen, rannte nur noch bockig durch das Wasser und schüttelte die gewaltigen Fluten ab, die immer wieder auf sie niederdonnerten.
Bontekoe bezeichnete das noch nicht als Sturm. Das waren erst die Vorläufer. Das dicke Ende folgte noch. Etwa gegen Morgen würde sich der Sturm in aller Heftigkeit austoben.
Zwei Sturmsegel standen noch, unter denen der Dreimaster jetzt schäumend, rollend und schlingernd durch die See jagte.
Der Kapitän ging nach achtern, um nach seinen Gästen zu sehen. In der einen Kammer, die durch ein Schott mit der danebenliegenden verbunden war, hatten die Willaerts ihr Quartier. Doktor Laurens Kammer lag schräg gegenüber.
„Wird es schlimm, Kapitän?“ fragte Willaerts.
„Keine Sorge, Mijnheer, der richtige Sturm bricht erst später los. Aber dann liegen wir in einer geschützten Bucht vor Anker und warten das Unwetter ab. Sagen Sie das Mevrouw Willaerts und auch Ihrer Tochter, damit sie sich nicht ängstigen. Ich wollte Ihnen das nur mitteilen. Haben Sie noch einen Wunsch?“
„Danke, Kapitän. Wir verlassen uns ganz auf Sie und Ihr Schiff. Ich werde es meiner Familie sagen.“
Bontekoe zog sich wieder zurück und ging aufs Achterdeck. Willaerts Glaube an das Schiff schien unerschütterlich zu sein.
Die „Nieuw Hoorn“ jagte weiter dahin. Sie bäumte sich wild auf, hob den Bug steil in den Himmel und donnerte unter ohrenbetäubendem Krachen in die See zurück.
Die Nacht war pechschwarz. Kein Stern zeigte sich. Der Mond versteckte sich hinter schnell dahinjagenden, finsteren Wolken. Weit voraus waren weiße Schaumkronen zu sehen, die wie Lämmerherden in der See standen.
Als der Morgen graute, begann der Sturm an Heftigkeit zuzunehmen. Aber jetzt sahen sie bereits Backbord voraus die fast fünfzig Meilen lange und schmale Crooked Insel Long Island. Ihr vorgelagert waren eine Handvoll kleiner Inseln. Der Sturm zerfetzte bereits die Palmen, ließ das Wasser über die Eilande schaumig aufsteigen und verwüstete die Vegetation.
Bontekoe jagte seine holländische Galeone in die enge Passage hinein, wo das Wasser sofort ruhiger, wurde. Die langgezogene Bucht mit dem langen V-förmigen Einschnitt bot Schutz. Ein paar Hügel davor hielten noch zusätzlich den Wind ab.
Das Unwetter tobte weiter und nahm an Heftigkeit zu. In der Bucht merkte man kaum etwas davon. Da waren nur das wilde Fauchen, Brausen und Heulen und das Donnern der See zu hören, die wütend gegen die Insel anrannte.